BVB - Stimmungsbericht zur verpassten Meisterschaft von Borussia Dortmund: Echte Liebe trotz großem Schmerz und "jede Menge Bier"

Von Tim Ursinus
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Es hat nicht sollen sein: Der BVB hat die deutsche Meisterschaft auf den letzten Metern doch noch verspielt. Bei den Fans herrschte danach freilich Katerstimmung, wobei diese wohl erst am Sonntag so richtig einsetzen wird. Ein Stimmungsbericht aus Dortmund.

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Es herrschte Totenstille im Westfalenstadion, als Schiedsrichter Marco Fritz das Spiel und den Traum von der neunten Meisterschale beendete. Die Spieler gingen fassungslos zu Boden, während sich zahlreiche Ordner vor der Südtribüne versammelten, um einen Platzsturm zu verhindern. Doch auf das Feld wollte niemand. Durch das bittere 2:2 gegen Mainz 05 jubelte zum Ende der Saison 2022/23 mal wieder nur ein Verein.

Nach der kurzen Schockstarre ereigneten sich allerdings herzzerreißende Szenen, die es in Köln wohl so nicht gegeben hätte, wenn der BVB am Ende die Schale in die Finger bekommen hätte. Das hatten zahlreiche Anhänger des FC Bayern bereits am vorletzten Spieltag nach der Niederlage gegen RB Leipzig bewiesen. Die Dortmunder Fans machten ihrer Mannschaft keineswegs Vorwürfe, stattdessen sprachen sie ihr singend Trost zu. Das Stadion hatte zu diesem Zeitpunkt noch niemand verlassen, auch nicht auf der Haupt- und Gegentribüne. Ein bedingungsloser Romantiker würde, angelehnt an den Leitspruch des Vereins, vermutlich sagen: Echte Liebe trotz großem Schmerz.

Die ausnahmslose Unterstützung bekam auch Trainer Edin Terzic zu spüren. Der 40-Jährige trat mit einigen Metern Abstand zu seinen am Boden zerstörten Spielern vor die Gelbe Wand, klopfte sich mit der rechten Hand aufs Herz und ließ seinen Gefühlen freien Lauf, während er mit lauten Sprechchören gefeiert wurde. Dabei wischte er die Tränen mit beiden Händen aus dem Gesicht. Das eigene Wort war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu verstehen. Anschließend drehte er ganz alleine eine Ehrenrunde, um sich bei allen Zuschauern zu bedanken.

"Es fühlt sich heute komplett beschissen an", sagte Terzic wenig später am Sky-Mikrofon und sprach damit allen Fans aus der Seele: "Wenn man die Leere bei den Jungs sieht, dann fühlt sich das heute sehr unfair an." In der Kabine habe "absolute Stille" geherrscht, ergänzte Sebastian Kehl in der Mixed Zone.

Vor dem Spiel herrschte Ausnahmezustand in Dortmund.
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Vor dem Spiel herrschte Ausnahmezustand in Dortmund.

BVB: "Begreifen kann ich es nicht"

An dieser Stelle könnte man dem BVB natürlich jede Menge Vorwürfe machen. Was ist, wenn die Punkteausbeute in der Hinrunde nicht so schwach gewesen wäre? Was ist, wenn Torhüter Gregor Kobel in München nicht über den Ball haut und was ist, wenn Sébastien Haller nicht den Elfmeter versemmelt? Es ist dennoch mühsam, nach einem Erklärungsansatz zu suchen.

Den suchte auch Kehl vergebens. "Vom Spielverlauf ist heute alles gegen uns gelaufen. Ich weiß noch nicht warum. Ich werde lange darüber nachdenken müssen, warum und weshalb das heute hier so passiert ist, aber begreifen kann ich es nicht", sagte der Sportdirektor gegenüber der ARD. Für eine Analyse habe er heute "keine Kraft" mehr: "So ehrlich bin ich. Ich denke, das darf man als Verantwortlicher in so einer Situation auch mal zulassen." Die gesamte Saison lässt sich mit einer Achterbahnfahrt zusammenfassen, die gegen Mainz in einem Tiefpunkt endete.

Ein Tiefpunkt, den die BVB-Fans nach diesem Samstag nicht verdient haben. Schon während des Spiels hatte es nach jedem Gegentor aufbauende Reaktionen gegeben, ehe kurz vor Schluss ob des Spielstandes in Köln panische Blicke in Richtung der TV-Geräte im VIP-Bereich zu sehen waren. Ein dauerhafter Ausnahmezustand, der schon Stunden vor Anpfiff um das Stadion und in der Stadt geherrscht hatte. So hätte es auch am Sonntag bei den Feierlichkeiten auf dem Borsigplatz sein sollen, der hinsichtlich der Vorbereitungen schon am Samstag gesperrt war. Nun erwartet die Stadt wohl einen unerwartet ruhigen Tag.

BVB: Bee Gees und "jede Menge Bier"

Wirklich ruhig ging es rund um den Signal Iduna Park nach Abpfiff aber nicht zu, wo sich noch tausende schwarz-gelbe Trikots versammelten. "Jetzt hilft nur noch jede Menge Bier", sagte ein Fan gegenüber SPOX und GOAL und ging schnellen Schrittes zurück Richtung Getränkestand, der sich vor Kundschaft kaum noch retten konnte. In der an die Arena angrenzenden Fankneipe "Strobels" lief passenderweise (oder ironischerweise) der Hit "Stayin' Alive" von den Bee Gees. Solche schmerzhaften Tage und Krisen gilt es zu "überleben" - und in Dortmund schafft für so manch einen eben Brinkhoff's No. 1 Abhilfe.

Bier und andere alkoholische Getränke hätte es sicher auch auf dem geplanten Treffen der Spieler am Abend gegeben. Es fiel jedoch wenig überraschend ins Wasser. "Wir werden heute nichts mehr machen. Wir werden morgen nochmal mit der Mannschaft sprechen und uns sicherlich nochmal alle in den Arm nehmen", erklärte Kehl in den Katakomben des Stadions: "Jeder wird das ein Stück weit mit sich selbst ausmachen müssen. Sie werden sich untereinander Halt geben, dafür ist viel zu viel gewachsen in den letzten Wochen. Trotzdem sind das die Momente, die dann jeder mit nach Hause nimmt und mit seiner Familie durchlebt."

Jetzt gilt es, bis zur neuen Spielzeit wieder aufzustehen und die nächste Achterbahnfahrt mit einem Höhepunkt zu beenden. Das gab auch der emotional aufgewühlte Terzic auf der anschließenden Pressekonferenz zu verstehen: "Am Ende waren wir ein Tor davon entfernt. Morgen sind wir wieder 34 Spieltage davon entfernt. Dann werden wir es verarbeiten, werden aufstehen, werden Anfang Juli wieder alles investieren, um es noch besser zu machen als dieses Jahr. (...) Jetzt geht es wieder darum, die nächsten 34 Spieltage zu nutzen, um es dann endlich zu schaffen."

Edin Terzic nach Abpfiff vor der Gelben Wand.
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Edin Terzic nach Abpfiff vor der Gelben Wand.

Bundesliga: Die Abschlusstabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München3492:385471
2.Borussia Dortmund3483:443971
3.RB Leipzig3464:412366
4.Union Berlin3451:381362
5.Freiburg3451:44759
6.Bayer Leverkusen3457:49850
7.Eintracht Frankfurt3458:52650
8.Wolfsburg3457:48949
9.Mainz 053454:55-146
10.Borussia M'gladbach3452:55-343
11.Köln3449:54-542
12.Hoffenheim3448:57-936
13.Werder Bremen3451:64-1336
14.Bochum3440:72-3235
15.Augsburg3442:63-2134
16.Stuttgart3445:57-1233
17.Schalke 043435:71-3631
18.Hertha BSC3442:69-2729
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