BVB-Erkenntnisse zum Sieg über Union Berlin: Schluss mit dem Welpenschutz!

Von Christian Guinin
Borussia Dortmund, BVB, Sebastian Kehl, Edin Terzic
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Trotz einer echten Chance im Titelkampf traut man sich bei Borussia Dortmund nicht, die Meisterschaft als klares Ziel auszugeben. Für Sébastien Haller muss der Welpenschutz ein Ende haben. Außerdem: Die Vertragsverlängerung mit Raphael Guerreiro ist alternativlos. Die Erkenntnisse nach dem 2:1-Sieg des BVB gegen Union Berlin.

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Sebastian Kehl, Edin Terzic
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BVB - Es fehlt an klarer Kommunikation

Die gute Nachricht für die Dortmunder an diesem 27. Spieltag lautete: glücklicherweise ist nichts passiert. Durch den knappen Sieg gegen Union Berlin liegt der BVB nach wie vor auf Rang zwei der Tabelle, nach wie vor beträgt der Rückstand auf den FC Bayern nur zwei Zähler und nach wie vor befindet man sich inmitten des Kampfes um die deutsche Meisterschaft.

Und doch: So rosig sich das vielleicht auch anhören mag - schließlich zeigte man sich im Vergleich zu den Pleiten gegen die Bayern und RB Leipzig in nahezu allen Belangen verbessert - so wenig wird diese eigentlich positive Tatsache nach außen getragen.

Unmittelbar vor dem Anpfiff im Signal Iduna Park hatte sich Sebastian Kehl bereits zur aktuellen sportlichen Situation geäußert und dabei eine äußerst defensive Wortwahl an den Tag gelegt. "Wir werden sehen, was die Bayern in den nächsten Wochen anstellen, wir wollen uns aber auch weiterhin in dieser Position halten, dass wir der Jäger sind", sagte der BVB-Sportdirektor dort, vermied aber - auch nach expliziter Nachfrage von Sky-Reporter Patrick Wasserziehr - eine klare Ansage bezüglich der Zielsetzung im Saisonendspurt. Die Bundesliga sei "der einzige Titel, um den wir jetzt noch kämpfen, daher werden wir alles versuchen." Eine ähnliche Wortwahl legte Kehl auch nach dem Spiel an den Tag.

Wie so oft in der Vergangenheit bekommt man den Eindruck, als hätte der BVB große Angst davor, den unbedingten Wunsch auszusprechen, Meister werden zu wollen. Nach dem Motto: Wenn ich es nicht versuche, kann ich auch niemanden enttäuschen. In einem derart engen Rennen, in dem es für die Dortmunder ungeachtet des letztendlichen Ausganges eigentlich nichts zu verlieren gibt, lässt das schon das ein oder andere Fragezeichen aufkommen.

BVB: Dortmund vermeidet klare Ansagen

Überhaupt geben die Schwarz-Gelben in Sachen Kommunikation in den letzten Wochen ein teils verheerendes Bild ab. Berechtige Kritik wird von Kehl und Trainer Edin Terzic bisweilen unter den Teppich gekehrt, während Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach der Pokal-Niederlage gegen Leipzig zum Rundumschlag gegen die Mannschaft ausholte und dabei vor allem die Führungsspieler in die Pflicht nahm.

"Das war in der ersten Halbzeit eine Nicht-Leistung. Ich war vor allem maßlos enttäuscht", sagte der BVB-Boss nach dem Leipzig-Spiel gegenüber den Ruhr Nachrichten. "Wir haben viele Spieler in der Mannschaft, die Führungsspieler sein wollen und es eigentlich auch können. Das haben sie in dieser Saison auch schon gezeigt. Ob du ein Führungsspieler bist, zeigt sich aber auf dem Platz. Und nur da."

Bestes Beispiel für die Probleme in der Außendarstellung ist der Umgang mit Jude Bellingham. Seit Wochen schafft es der Youngster nicht, sein Leistungspotenzial auf den Rasen zu bringen. Anstatt jedoch deutlich in Richtung des Youngsters zu werden - speziell nach dessen diversen Schimpftiraden auf die eigenen Mitspieler - vermisst man klare Ansagen von Seiten Terzics und Kehls. Wohl auch, um sich dessen Unmut nicht auszusetzen und einen Vereinswechsel im Sommer zu bestärken.

"Es ist ein Teil seiner Entwicklung. Ich finde, dass er sich unglaublich gut entwickelt hat. Er gibt dieser Mannschaft unglaublich viel", sagte Kehl vor dem Union-Spiel, angesprochen auf die Kritikfähigkeit Bellinghams. Relativierung und Ausweichen anstatt der notwendigen Deutlichkeit.

Unterm Strich ist es vor allem die Mannschaft, die mit dieser fehlenden Klarheit zu kämpfen hat. Auch gegen Union merkte man vielen Spielern die Unsicherheit an, die die Dortmunder Verantwortlichen derzeit an den Tag legen. Die breite Brust, die man sich in den Spielen nach der Winterpause erarbeitet hat, ist weg. Die ängstlichen Aussagen und Statements der Verantwortlichen färben auf die Leistungen der Mannschaft ab.

Sébastien Haller
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BVB - Der Welpenschutz für Sébastien Haller muss es ein Ende haben

In den 74 Minuten, in denen Sébastien Haller gegen Union Berlin auf dem Rasen stand, sammelte er nicht unbedingt Argumente, auch in Zukunft den Status als Stürmer Nummer eins der Borussen zu genießen. Mit lediglich 28 Ballaktionen verzeichnete der Ivorer die wenigsten aller Startelf-Akteure im schwarz-gelben Trikot, auch in Sachen Torgefahr blieb er deutlich hinter seinen Nebenleuten zurück.

Auch dreieinhalb Monate nach seiner Rückkehr auf den Platz bleibt das Gefühl, dass dem Stürmer die vollständige Integration in die Mannschaft fehlt. In seinen Auftritten wirkt der 28-Jährige zu oft wie ein Fremdkörper, was Terzic aber nicht davon abhält, ihn Woche für Woche in die Startelf zu beordern.

Freilich muss an dieser Stelle eingeräumt werden, welchen Weg Haller im vergangenen Jahr beschritten hat. Kurz nach seinem Wechsel zum BVB wurde beim Stürmer ein bösartiger Hodenkrebs entdeckt, was eine Operation und monatelange Chemotherapie zur Folge hatte. Dass er nach seinem Comeback im Januar die gesamte Bundesliga kurz und klein schießen würde, hatte deshalb auch niemand erwartet.

Nur kann der BVB nicht länger Rücksicht darauf nehmen. Im Saisonendspurt braucht Terzic die bestmögliche Leistung von allen Akteuren und die scheint Haller aktuell nicht abrufen zu können.

BVB: Hallers Qualitäten kommen nicht zum Tragen

Auf dem Papier mag er vielen Mannschaften mit seiner Körperlichkeit und Präsenz im Sturmzentrum weiterhelfen, für das BVB-Spiel kommen seine Qualitäten aber nicht ausreichend zum Tragen. Dafür verfügen die Dortmunder schlichtweg über zu wenig schnelle und gleichzeitig torgefährliche Außenstürmer. Aus der aktuellen Mannschaft fällt lediglich Karim Adeyemi in diese Kategorie, der 21-Jährige fiel jedoch selbst jüngst erst aufgrund eines Muskelfaserrisses wochenlang aus.

Terzic wäre deshalb gut beraten, den Welpenschutz, unter dem sich Haller augenscheinlich befindet, endlich aufzuheben und Alternativen wie Youssoufa Moukoko Chancen geben, sich (neu) zu beweisen. Dass er die Art von Killerinstinkt besitzt, welcher Haller (derzeit) fehlt, konnte man beim Sieg gegen Union bestens begutachten.

Den scheinbar harmlosen Zweikampf zwischen Marco Reus und Berlins Mittelfeldspieler Paul Seguin antizipierte Moukoko herausragend, schnappte sich die Kugel, umkurvte Keeper Frederik Rönnow und schob in Mittelstürmer-Manier zum 2:1-Siegtreffer ein.

Raphael Guerreiro
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3. BVB - Raphael Guerreiros Vertragsverlängerung ist ein Muss

Völlig gegensätzlich zur eher schwachen Leistung Hallers präsentierte sich Raphael Guerreiro gegen Union Berlin. Dieses Mal wieder auf der Position des Linksverteidigers aufgeboten, war der Portugiese der stärkste Borusse auf dem Platz.

Bei beinahe allen aussagekräftigen Parametern war Guerreiro auf der Spitzenposition zu finden. Nicht nur hatte er von allen Akteuren die meisten Ballkontakte, auch brachte er die meisten Pässe an den Mann und schlug die meisten (erfolgreichen) Flanken in den Sechzehner der Unioner - so auch beim 1:0 der Dortmunder, als er Donyell Malen mit einer mustergültigen Hereingabe von der linken Seite bediente.

Zuletzt hatte Terzic den 29-Jährigen überwiegend in der Mittelfeldzentrale aufgeboten, wo dessen Stärken noch stärker zum Tragen kamen. Mit dem Ball am Fuß ist Guerreiro ohne Frage einer der besten und intelligentesten Spieler der Bundesliga. Wie kaum ein anderer Akteur im Dortmunder Kader hat er ein Gefühl für den Raum und die technischen Voraussetzungen, diesen auch zu nutzen.

Dabei muss man dem Portugiesen auch seine offensichtlichen Schwächen im Spiel gegen den Ball verzeihen. Als Linksverteidiger interpretiert Guerreiro seine Rolle ohnehin seit jeher äußerst offensiv. Auch im Mittelfeld ist er keineswegs der fleißige Arbeiter, sondern mehr der offensive Freigeist, der neben etwas defensiver eingestellten Nebenleuten wie Emre Can oder Salih Özcan mit seinen Fähigkeiten glänzen kann. Vor allem gegen Mannschaften wie Union Berlin, welche mit zwei dicht gestaffelten Ketten dem Gegner wenig Raum anbieten, ist so ein Spieler goldwert.

BVB: PL-Klubs an Guerreiro interessiert

Auch deshalb ist für den BVB die Verlängerung des auslaufenden Vertrages ein Muss. Selbst wenn Rami Bensebaini von Borussia Mönchengladbach nach Dortmund wechseln sollte und Guerreiro damit einen weiteren Konkurrenten auf der Position des linken Verteidigers hätte - die Qualitäten des Portugiesen, ist er denn in Top-Verfassung, sind für den BVB unverzichtbar.

Dass grundsätzlich das Interesse an einem Verbleib in Dortmund besteht, signalisierte Guerreiro erst kürzlich gegenüber beIN Sports. "Es ist großartig, beim BVB zu spielen, in diesem großartigen Stadion. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Karriere in Deutschland, die Stadien sind immer voll", sagte er dort. Von Seiten des BVB hätte es aber noch keinen Vorstoß gegeben. "Eine Vertragsverlängerung? Im Moment hat der Klub noch kein Angebot gemacht."

Zu lange Zeit sollte man sich jedoch nicht lassen, schließlich bleiben die guten Leistungen des Portugiesen nicht verborgen. Verschiedenen Medienberichten zufolge soll es aus der Premier League großes Interesse geben. Und einen Verlust der Qualitäten Guerreiros kann sich Dortmund eigentlich nicht erlauben.

Bundesliga: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayern München2777:294858
2.Borussia Dortmund2759:362356
3.Union Berlin2742:301251
4.RB Leipzig2750:331748
5.Freiburg2739:36347
6.Bayer Leverkusen2751:411043
7.Eintracht Frankfurt2748:40841
8.Mainz 052745:38741
9.Wolfsburg2646:341239
10.Borussia M'gladbach2640:44-432
11.Werder Bremen2742:52-1032
12.Köln2736:45-931
13.Augsburg2735:50-1529
14.Bochum2628:57-2926
15.Hoffenheim2635:46-1125
16.Hertha BSC2731:50-1922
17.Schalke 042621:48-2721
18.Stuttgart2629:45-1620

 

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