Frank Geideck von Borussia Mönchengladbach im Interview: "Ich dachte, für Favres Fußball bräuchte es eine Barca-Mannschaft"

Frank Geideck ist seit 2009 Co-Trainer von Borussia Mönchengladbach.
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Favre hat den Ruf, ein begnadeter Taktik-Tüftler, aber auch ein Zauderer zu sein. Stimmt dieses Bild?

Geideck: Die Öffentlichkeit kategorisiert die Menschen immer sehr gerne. Dabei ist es doch vollkommen selbstverständlich, dass er und viele andere, die in Schubladen gepackt werden, weitaus vielfältiger sind. Die Entscheidungen, die er getroffen hat, sind immer sehr klar gewesen und wir haben immer klaren Fußball gespielt. Ihn also darauf zu reduzieren, wäre vollkommen ungerecht. Man kann mit ihm auch sehr gut über viele Themen außerhalb des Fußballs sprechen.

Favre ist in Gladbach im September 2015 vom einen auf den anderen Tag zurückgetreten und kommunizierte das noch vor dem Verein, was diesen natürlich brüskierte. Es ist bestätigt, dass er schon zuvor immer mal wieder seinen Rücktritt einreichte, vom Klub aber umgestimmt wurde. Wie denken Sie heute darüber?

Geideck: Das können Sie mir glauben oder nicht, aber an diesen Tag erinnere ich mich nicht. Ich kann auch nicht sagen, ob er vorher schon mehrfach seinen Rücktritt eingereicht hat, weil er das nicht bei mir tat. Als er damals von sich aus gegangen ist, hat mich das natürlich überrascht und war für uns alle sehr schade. Auf der anderen Seite sind solche spontanen Entscheidungen nichts Ungewöhnliches im Fußball. Man muss sich eigentlich immer wieder auf neue Begebenheiten oder Situationen einstellen, entweder von Saison zu Saison oder von jetzt auf gleich.

Stehen Sie mit ihm noch in Kontakt, wollte er Sie vielleicht sogar mit nach Dortmund nehmen?

Geideck: Wir haben losen, unregelmäßigen Kontakt. Es war aber weder von ihm, noch von mir ein Thema, mit nach Dortmund zu kommen.

Ähnlich überraschend kam in der Vorsaison das Aus von Hecking. Wie haben Sie davon erfahren?

Geideck: Ich war zuvor nicht eingeweiht, was auch nicht üblich und richtig so ist. Wir haben das morgens erfahren, auch hier war ich sehr überrascht. Daran erinnere ich mich auch deshalb gut, weil die Verkündung an meinem Geburtstag stattfand. Sonst wird immer für das Geburtstagskind gesungen, doch das wurde an dem Tag irgendwie vergessen. Ich habe zumindest kein Ständchen bekommen. (lacht)

Wenn ein Trainer aufhört, ist es für Sie als Co nie in Stein gemeißelt, dass es auch für Sie weitergehen wird. Wie sehr beschäftigt das einen in solchen Situationen?

Geideck: Es gibt angenehmere Dinge, als dann nicht zu wissen, wie es weitergeht. Der Moment des Übergangs ist deshalb unangenehm, weil ich mit den Cheftrainern immer auch sehr gerne und eng zusammengearbeitet habe und ein Bestandteil des Teams plötzlich nicht mehr da war. Man kann halt einfach nicht aktiv werden. Die eigenen Handlungsmöglichkeiten sind ziemlich beschränkt, denn als Co-Trainer gestalte ich die Cheftrainerfrage ja nicht mit. Man wartet einfach, was passiert und wie es weitergeht. Bislang hatte ich immer etwas Glück, aber auch zuvor etwas geleistet, dass ich unter den verschiedenen Trainern bleiben konnte.

Hat Ihnen das Ende von Hecking leidgetan?

Geideck: Leidtun ist das falsche Wort. Das würde der Sache auch nicht gerecht. Es war letztlich für alle überraschend. Dann schluckt man einmal und es geht weiter. Das ist der normale Ablauf. Das Persönliche kommt eher über die Frage, ob man künftig weiter in Kontakt bleibt und hin und wieder mal telefoniert.

Mit Rose bestreitet Gladbach nun einen neuen Weg, der Fußball der Borussia soll sich unter ihm weiterentwickeln. Wie gehen Sie jetzt in dieser Anfangsphase mit dem neuen Input um?

Geideck: Ich muss Marcos Idee bestmöglich adaptieren, kann mich aber auch mit Vorschlägen einbringen, die wir dann gemeinsam diskutieren. Wir sprechen permanent im Trainerteam und analysieren Spiele zusammen, um Marcos Vorstellungen bis ins Detail zu verstehen. Es ist wie ein Haus mit einem gewissen Fundament, bei dem nun eine neue Etage hinzukommt. Salzburg hatte unter Marco viel und sehr guten Ballbesitz, den sie mit klugen Bewegungen und Abläufen wunderbar ausgespielt haben. Diese grundsätzlichen Abläufe sind nahezu identisch zu dem, was wir zuvor in Ballbesitz ohnehin schon gemacht haben. Was neu hinzukommt, ist das Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz.

Neu hinzugekommen ist auch vieles rund um den Fußball über die letzten Jahre gesehen. Welche Veränderungen finden Sie am erstaunlichsten?

Geideck: Mich betreffen ja die sozialen Medien nicht, weil ich nicht in der ersten Reihe stehe und ich mich damit auch nicht beschäftige. Ich bewundere aber die Spieler total, die dem Druck und den teils unsachlichen Anfeindungen standhalten, der durch diese permanente Öffentlichkeit und die Erfindung der Fotohandys entstanden ist. Das ist schon extrem schwer und nötigt mir großen Respekt ab, erst recht bei jungen Spielern, die 18 oder 19 Jahre alt sind.

Wie blicken Sie als 52-Jähriger denn auf die Verhaltensweisen der 18- und 19-Jährigen im Gladbacher Kader?

Geideck: Ich habe kürzlich ein Interview mit einem Schuldirektor aus Schleswig-Holstein gelesen, der einen pinkfarbenen Irokesenschnitt trug. Auf eine Frage zu den oft kritisierten Verhaltensweisen der heutigen Jugend zitierte er eine Textpassage. Sinngemäß hieß es da, dass die Jugend von heute nicht mehr nach den gewohnten Prinzipien lebt, dass bei ihr alles auf dem Ruder läuft und sie die Götter nicht mehr ehren würden. Dann hat er den Interviewer gefragt, was er denkt, aus welcher Zeit diese Passage stamme. Aus dem alten Griechenland, antwortete der. Doch er zitierte Keilschrift von den Sumerern, also im Prinzip die älteste schriftliche Überlieferung, die es überhaupt gibt. Auch damals hat man auf die Jugend geschimpft und ihr vorgehalten, man würde die Werte der älteren Generationen nicht mehr leben. Ich habe mich kaputtgelacht, weil ich das fantastisch fand und es ein tolles Beispiel war.

Wofür?

Geideck: Für mich ist es vollkommen daneben zu behaupten, die Jugend von heute würde etwas falsch machen. Die ist heute halt so und es ist auch okay, dass sie so ist. Ich bin ganz weit davon entfernt, es zu verurteilen, dass sie beispielsweise ständig auf ihr Handy schauen. Die sollen und werden in der Gesamtheit alle ihren Weg finden. Ich möchte generell meine Urteile oder Denkweisen niemandem aufzwingen oder gar 18-Jährigen überstülpen. Die Zeiten ändern sich. In den 1970er Jahren hat man die Fußballer nichts trinken, sondern sie nur den Mund mit Wasser ausspülen lassen. Darüber lachen wir doch heute. Man muss sich halt nur auch bewusst sein, dass die Leute in 30 Jahren genauso über das lachen, was wir heute machen.

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