"Man darf Heldt nicht unterschätzen"

Jens Keller war fast zwei Jahre lang Cheftrainer auf Schalke
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SPOX: Schalke tat sich unter Ihnen dennoch leichter, wenn man nicht gezwungen war, das Spiel zu machen. Ist der reaktive Fußball die Art, wie Sie gerne spielen lassen?

Keller: Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch gegen die kleinen Teams häufig gewonnen. Dass uns manche Mannschaften gelegen haben und andere nicht, kann man so nicht sagen, denke ich. Denn man wird nicht Dritter oder Vierter, wenn man nicht auch gegen die Vereine der unteren Tabellenhälfte gewinnt.

SPOX: Leistungsschwankungen gab es dennoch immer wieder. Warum war es so schwer, diese zu verhindern?

Keller: Auch nach meiner Zeit hat man gesehen, dass es nicht einfacher wurde, das Team zu stabilisieren. Es gibt wenige Vereine, die wirklich konstant sind. Leverkusen und Dortmund hatten ähnliche Phasen. Man darf nicht vergessen, dass die Probleme, die wir hatten, auch mit Verletzungen und den vielen Nationalspielern zu tun hatten. Neben dem FCB und Dortmund hatten wir die meisten Spieler bei der WM. Dass die nicht topfit zurückkamen, konnten wir nicht so wegstecken wie die Bayern.

SPOX: Sie erlebten teilweise im wöchentlichen Wechsel die Extreme zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Wie sehr hat Ihnen das Ihre Arbeit erschwert?

Keller: Schalke ist ein sehr extremer Klub mit sehr begeisterten Fans. In Deutschland gibt es nur zwei oder drei Vereine, die so emotional sind. Dennoch ist kein Verein begeistert, wenn die Mannschaft mal ein paar Spiele verliert, das ist nicht nur auf Schalke so. Damit muss man umgehen können. Als Trainer weiß man, dass der Verlauf der kommenden Woche immer von den 90 Minuten am Spieltag abhängig ist.

SPOX: Sie folgten auf Huub Stevens - einem sehr erfahrenen und renommierten Bundesliga-Trainer. Machte sich Horst Heldt mit dieser Personalentscheidung angreifbar?

Keller: Das kann er wohl besser beantworten als ich. Letztlich hat er die Entscheidung getroffen und sie war erfolgreich. Die Zusammenarbeit hat funktioniert, schließlich haben wir zweimal hintereinander die Champions League erreicht, worauf ich stolz bin.

SPOX: Merkten Sie ihm den Spagat zwischen Rückendeckung für Sie und Sorge um die eigene Außenwirkung dennoch an?

Keller: Man darf Horst Heldt und seine Erfahrung nicht unterschätzen. Er wurde in Stuttgart als Sportdirektor direkt deutscher Meister und hat seitdem schon einige Jahre als Manager gearbeitet. Er wusste, was er tat. Dass die Anspannung für uns beide riesig war, ist doch klar.

SPOX: Denkt man dann nicht auch mal darüber nach, freiwillig den Schritt aus der Schusslinie zu machen?

Keller: Das war für mich nie eine Option, da mir die Arbeit mit der Mannschaft großen Spaß gemacht hat. Das Drumherum habe ich so akzeptiert. Natürlich habe ich manchmal die Faust geballt, aber es gab nie die Überlegung zurückzutreten. Immerhin habe ich gesehen, dass das, was wir gemacht haben, Früchte trug.

SPOX: Man ging mit Ihnen auch in die dritte Saison, in der es aber doch schnell zur Trennung kam. Hatten Sie sich schon frühzeitig darauf geeinigt, diesen Schritt zu gehen, sollte der sportliche Erfolg ausbleiben?

Keller: Nein, in der Situation kam der Schlussstrich für mich dann doch überraschend, denn wir hatten von den letzten sechs Spielen zuvor nur eines verloren. Deshalb war das für mich nicht absehbar.

SPOX: Hatte die Trennung auch dadurch einen bitteren Beigeschmack, dass binnen weniger Stunden Roberto Di Matteo als Nachfolger präsentiert wurde?

Keller: Welche Gefühle man in so einem Moment hat, behält man besser für sich. (lacht) Gar keine Frage, diese Situation war schwierig. So ist aber das Fußballgeschäft. Der Manager möchte etwas bewegen und kann nicht noch zwei oder drei Wochen mit einer Entscheidung auf sich warten lassen. Im Profi-Geschäft sitzt man immer auf gepackten Koffern - bei einem Verein etwas früher, beim anderen etwas später.

SPOX: Unter Andre Breitenreiter scheint sich die gesamte Situation auf Schalke aber deutlich zu beruhigen. Woran kann das liegen?

Keller: Das Gefühl habe ich gar nicht. Die Saison ist noch relativ jung, zudem spielt der Verein in dieser Saison nicht in der Champions League. In der Europa League sollte man als Schalke 04 die Gruppenphase auch weitestgehend souverän bestreiten. Lassen Sie uns noch einmal nach der Vorrunde oder gegen Ende der Saison darüber sprechen. Dann kann man sehen, wie ruhig es ist und ob sich eine gewisse Konstanz eingestellt hat. Nach dem 0:3 zuhause gegen Köln hat man gesehen, wie schnell die Stimmung wieder umschwenken kann.

SPOX: Sie persönlich benötigten auch mehrere Wochen, um mit dem Kapitel Schalke abzuschließen. Bei aller Enttäuschung: Fiel durch die Trennung auch eine große Last von Ihnen ab?

Keller: Natürlich, das ging Thomas Tuchel und Jürgen Klopp ja nicht anders. Wenn man zwei Jahre alles reinhängt, braucht man diese Pausen einfach. Es ist ein 24/7-Job, bei dem man nie frei hat. Ich hatte nach meiner Trennung von Schalke schnell viele Anfragen, jedoch habe ich mich bewusst dazu entschieden, erst einmal eine Auszeit einzulegen. Ich musste Energie tanken, um bei einem neuen Verein wieder mit 100 Prozent dabei zu sein.

SPOX: Also warten Sie geduldig weiter auf ein passendes Angebot?

Keller: Genau, wobei ich auch zuhause ausreichend beschäftigt bin. Meine Frau und ich haben zwei Kinder und einen Hund. Da komme auch ich nicht drum herum, in viele Bereiche eingespannt zu werden. (lacht) Ich bin aber wieder häufiger unterwegs und schaue mir viele Spiele an. Der Fußball ist nach wie vor Mittelpunkt in meinem Leben. Generell kann ich mir viele unterschiedliche Dinge vorstellen. Mal sehen, was die Zukunft bringt.

Seite 1: Keller über den Weg zurück auf die Schulbank und die Hospitanz bei van Gaal

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Jens Keller im Steckbiref

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