"Sie hatten nichts, nur Chaos"

Von Jan-Hendrik Böhmer
Lotus hatte bei den Testfahrten in Jerez Probleme
© Getty

Am 14. März startet die Formel 1 in Bahrain in die neue Saison. Die etablierten Teams scheinen gut gerüstet - doch was machen die Neueinsteiger? Bisher konnten lediglich Virgin und Lotus testen. Campos konnte gerettet werden - USF1 droht weiterhin das Aus - den Saisonstart werden die Amerikaner auf jeden Fall verpassen. Stefan-GP steht bereits in den Startlöchern. SPOX hat die Newcomer unter die Lupe genommen.

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Virgin: Wir sind anders!

Situation: "Ich weiß, dass ein neues Team Zeit braucht, aber ich habe kein Problem damit zu warten. Auch wenn es mehr als ein oder zwei Jahre dauert", sagt Timo Glock im SPOX-Interview. Und: "Unser Ziel ist es, bestes Newcomer-Team zu werden. Zudem wollen wir kontinuierlich Schritte nach vorne machen. Am besten immer einen mehr als die anderen, um irgendwann den Anschluss an die Mittelfeld-Teams zu bekommen." Die Finanzierung des früheren Manor-Teams durch Ex-Brawn-Gelgeber Richard Branson steht.

Auto: Der komplett am Computer entwickelte VR01 hatte bei den Tests mit diversen Kinderkrankheiten (besonders Hydraulik-Probleme) zu kämpfen. Außerdem fehlten die Ersatzteile. Magere 231 Runden konnte man absolvieren - die wenigsten aller Teams. Auch Technik-Direktor Nick Wirth musste eingestehen, dass man hinter dem eigentlichen Plan zurückhängt. Vom Speed her lag man zwar knapp vor Lotus, aber immer noch drei bis vier Sekunden hinter der Spitze. Gegen Ende der Tests lief es besser, die Fortschritte seien "sehr ermutigend" so Wirth. Die Zuverlässigkeits-Probleme scheinen behoben.

Fahrer: Timo Glock ist die klare Nummer 1 im Team und war bei den Tests auch deutlich schneller als Teamkollege Lucas Di Grassi, der aus der GP2-Serie kommt. Glocks Talent ist unbestritten. Di Grassi hat bereits F-1-Test-Erfahrung bei Renault gesammelt und war in der GP2 zuletzt dreimal hintereinander unter den Top-3. Keine schlechte Mischung.

Fazit: Vom reinen Speed her im Moment etwas schneller als Lotus - jetzt muss nur noch die Zuverlässigkeit stimmen. Zwar hat man im Vergleich mit Lotus die etwas schwächere Fahrerpaarung. Dennoch scheint man aktuell das beste Newcomer-Team zu sein.

Alle Testzeiten aus Jerez im Überblick

 

Lotus: Hauptsache ankommen

Situation: Das Team von Airline-Besitzer Tony Fernandes ist solide aufgestellt, die Finanzen scheinen durch die Unterstützung der malaysischen Regierung zu stimmen. Die Erwartungen sind realistisch. "Ich will das Rennen in Bahrain nur beenden", so Fernandes. "Mehr nicht. Das wäre idiotisch. Große Teams fangen schließlich immer unten an, bauen eine Struktur auf. Da haben wir eine exzellente Basis geschaffen. Schauen wir, wohin uns das bringt." Und mit Technik-Direktor Mike Gascoyne (früher z.B. bei Toyota, Jordan, Renault, Force India) hat man einen erfahrenen und gerissenen Mann, der immer wieder für Überraschungen gut ist (siehe Markus Winkelhock im Spyker 2007).

Das Auto: "Bremsen, Getriebe und besonders der Motor fühlen sich gut an. Aber uns fehlt es in schnellen Kurven an Abtrieb", sagte Heikki Kovalainen gegenüber "Motorsport aktuell". Entsprechend langsam die Zeiten. An drei von vier Testtagen lag man abgeschlagen am Ende des Feldes. Die Zuverlässigkeit des T127 ist hingegen laut Kovalainen (abgesehen von Hydraulik-Problemen und einem gebrochenen Auspuff) bereits ziemlich gut. 349 Runden spulte das Team an vier Tagen ab - deutlich mehr als Konkurrent Virgin.

Die Fahrer: Mit Jarno Trulli und Heikki Kovalainen hat Lotus die beste Fahrerpaarung unter den Neueinsteigern. Kovalainen ist nach seinen Jahren bei McLaren, in denen er klar im Schatten von Lewis Hamilton stand, hochmotiviert: "Die besten Rennen meiner Karriere liegen noch vor mir." Trulli hat sich vorgenommen, der Welt zu zeigen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört. Er kann dem Team mit seiner Erfahrung helfen und als Top-Qualifyer für Überraschungen sorgen.

Fazit: Lotus geht konservativ in die Saison. Und das ist in diesem Fall vielleicht sogar ein Vorteil. Solide Finanzen, solide Fahrer und ein Auto, das vermutlich durchfahren kann.

Die besten Bilder vom neuen Lotus

 

Stefan GP: Die Alternative

Situation: Eigentlich ist alles für einen Start in Bahrain bereit. Eigentlich. Würde da nicht eine Kleinigkeit fehlen: die Starterlaubnis. Denn das Team des serbischen Geschäftsmanns Zoran Stefanovic ist von der FIA nicht als Team zugelassen. Es gilt lediglich als Nachrücker, sollte USF1 tatsächlich ausfallen (siehe unten). Dennoch arbeiten rund 60 Mitarbeiter am Projekt im ehemaligen Kölner Toyota-Werk. Und: Stefan-GP will auch ohne FIA-Lizenz die Boliden nach Bahrain verschiffen. Angeblich ist auch die Finanzierung sicher.

Auto: Vermutlich das Newcomer-Auto mit dem meisten Potenzial. Denn eigentlich ist der SF01 gar kein Newcomer-Auto, sondern der 2010er Bolide von Toyota (mit denen man technisch eng zusammenarbeitet) - inklusive Motor. "Beim ersten Anlassen lief er perfekt - wir könnten sofort starten", schwärmte Teamchef Zoran Stefanovic gegenüber "Autosport". Leider musste das Team die für Februar geplanten Testfahrten wegen fehlender Reifen absagen. Wie gut der SF01 tatsächlich ist, kann man also nicht sagen.

Fahrer: Kazuki Nakajima ist ein Zugeständnis an Toyota. Das heißt allerdings nicht, dass er ein schlechter Fahrer ist. Nennen wir ihn: solide. Auch wenn er bei Williams zuletzt gegen Nico Rosberg alt aussah. Jacques Villeneuve brennt seit langem auf ein Formel-1-Comeback und trainiert bereits den gesamten Winter über mit Physiotherapeut Erwin Göllner. Dennoch ist fraglich, wie fit er wirklich ist. Sein Versuch, in der NASCAR Fuß zu fassen, ist gescheitert - zuletzt fuhr er die 24-Stunden-Rennen von LeMans.

Fazit: Sieht vielversprechend aus, was Zoran Stefanovic da auf die Beine gestellt hat. Mit dem Toyota-Know-How könnte er überraschen. Dazu müsste er allerdings erstmal eine Starterlaubnis erhalten. Außerdem hat bisher niemand das Auto fahren sehen.

 

Campos: Besser spät als nie

Situation: "Meine Aufgabe ist es, das Chaos aufzuräumen! Sie hatten nichts, nur Chaos", erklärte der frischgebackene Teamchef Collin Kolles dem britischen Journalisten Adam Cooper. "Die einzige Abteilung, die es schon gibt, ist eine Softwareabteilung mit acht Leuten, die in ihrem gesamten Leben noch kein Formel-1-Auto gesehen haben. Dann gibt es noch zwei oder drei Ingenieure mit Erfahrung in der Königsklasse. Mehr nicht." Doch seit Colles und Investor Jose Ramon Carabante das Team übernommen haben, geht es aufwärts. Die Finanzierung steht, das Team ist auch dank Bernie Ecclestones Eingreifen gerettet.

Auto: Wie genau der Campos-Bolide aussehen wird, ist unklar. Fest steht nur: es wird wieder gearbeitet. Aktuell versucht Kolles, ein Rennteam zusammenzustellen und hat zum Beispiel Felipe Massas ehemaligen Renningenieur und langjährigen BMW-Mann Mike Krack geholt. Das Chassis kommt von Dallara aus Italien - von wo aus das Team operiert. Befeuert wird es vom selben Cosworth-Motor, den auch Lotus, Virgin und Williams einsetzen. Einen Rollout vor Saisonstart wird es wohl nicht geben, doch Kolles ist sich sicher: "Wir werden in Bahrain zwei Autos an den Start bringen. Egal wie diese aussehen."

Fahrer: Bruno Senna ist gesetzt. Zwar hat er seinen Vertrag noch bei Ex-Teamchef Adrian Campos unterschrieben, doch er gilt als PR-Zugpferd und Günstling von Ecclestone. Außerdem bringt er das nötige Kleingeld mit - genau wie Jose Maria Lopez, den man von USF1 abwerben will. Denn: "Wir brauchen das Budget, um das Team am Leben zu erhalten. Auch bei Jordan mussten wir damals zuerst Pay-Driver verpflichten. Das ist nun mal so", erklärt Kolles. Als weiterer Kandidat ist der Inder Karun Chandhok im Gespräch.

Fazit: Schafft man es beim Saisonauftakt in Bahrain tatsächlich in die Startaufstellung, ist allein das schon eine enorme Leistung. Mit einem so kurzfristig zusammengestellten Team kann das Ziel nur lauten: durchfahren, Erfahrung sammeln und irgendwie die Saison überstehen. Klappt das, kann man in Zukunft darauf aufbauen.

 

USF1: Chaos regiert

Situation: In einem Wort: Chaos. Kein Geld. Kein Auto. Die Mitarbeiter laufen weg. Und: Keine Teilnahme am Saisonauftakt in Bahrain. Aktuell verhandelt Teamchef Ken Anderson mit der FIA darüber, wie viele Rennen man verpassen kann. Dabei ist er selbst angeblich das größte Problem. "USF1 bricht auseinander, weil Ken nicht dazu in der Lage ist, ein solches Projekt zu managen", sagte ein Mitarbeiter gegenüber "motorsport-total.com". Anderson selbst räumt ein: "Im Moment ist noch ziemlich unklar, was die Zukunft für USF1 bereithält." Retten könne das Projekt nur noch Hauptinvestor Chad Hurley, erklärt ein Mitarbeiter. Der müsse sich von Anderson trennen und mit zusätzlichen finanziellen Mitteln aushelfen. Doch ausgerechnet der verhandelt aktuell angeblich auch mit Campos. Die FIA hat reagiert und Inspektor Charlie Whiting nach Charlotte geschickt.

Das Auto: Welches Auto? Eigentlich wollte USF1 im Februar testen - doch die Produktion des Boliden hängt Wochen hinter dem Zeitplan zurück. Der Grund: Die Design-Abteilung ist komplett unterbesetzt, dringend nötige Entscheidungen wurden immer wieder vertagt. Erst im Mai soll das Team in der Lage sein, einen rennfertigen Boliden auf die Beine zu stellen.

Die Fahrer: Keine. Denn der Abgang von Jose Maria Lopez zu Campos wird immer wahrscheinlicher. Dabei hätte man die acht Millionen Dollar an Sponsoren-Geldern, die der Argentinier angeblich mitbringen soll, gut gebrauchen können. Der Anspruch an künftige Kandidaten ist also klar: Sie müssen in erster Linie Geld mitbringen.

Fazit: Das Team wird den Saisonauftakt verpassen. Ob es 2010 überhaupt an den Start geht, hängt von der FIA ab. Erlaubt sie einen verzögerten Start, könnte sich USF1 noch einmal berappeln. Aber selbst dann wird man den anderen Teams wegen der enormen Entwicklungs-Verzögerung hoffnungslos hinterher hängen. Ein Aus ist wahrscheinlich.

Ferrari kritisiert FIA und Newcomer-Teams