Bauernopfer Briatore im Renault-Skandal

Von Robert Seiwert
Flavio Briatore übernahm 2002 das Amt des Teamchefs bei Renaults Formel-1-Team
© Getty

In einem der größten Skandale in der Geschichte der Formel 1 zog Renault die Reißleine und feuerte Flavio Briatore und Pat Symonds. Dadurch will der Autohersteller die FIA vor der Anhörung am Montag milde stimmen.

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Die Pressemitteilung von Renault am Mittwoch klang nüchtern: "Wir werden die aktuellen Anschuldigungen der FIA bezüglich des Singapur-Grand-Prix nicht bestreiten. Wir möchten ebenso bekannt geben, dass Teamchef Flavio Briatore und Chefingenieur Pat Symonds das Team verlassen haben."

Oder anders ausgedrückt: Wir geben zu, dass Nelson Piquet Jr auf Anweisung der Teamleitung beim Singapur-GP in der vergangenen Saison absichtlich in die Mauer gerast ist, um Fernando Alonso den Sieg zu ermöglichen. Zudem haben wir Briatore und Symonds gefeuert, um die FIA bei der Verhandlung am kommenden Montag milde zu stimmen.

Der laut SKY-Experte Jaques Schulz "größte Skandal in der Neuzeit der Formel-1-Geschichte" war perfekt!

Pressestimmen: "Briatore fällt einer Giftwelle und Racheakten zum Opfer"

Sogar Ecclestone überrascht

Das Schuldbekenntnis des Rennstalls kam aus heiterem Himmel. Nicht einmal Formel-1-Boss Bernie Ecclestone hatte mit diesem Paukenschlag gerechnet. "Ich bin sehr überrascht von den Vorgängen und auch davon, dass sie am Mittwoch entschieden haben, davonzulaufen", erklärte Big Bernie gegenüber "PA Sport".

In der Tat muss man sich die Frage stellen, warum Renault fünf Tage vor der Verhandlung der Crashgate-Affäre vor dem World Council die Grundfesten der Motorsport-Welt erschüttert. Warum hatte der Rennstall noch vor wenigen Tagen eine Klage wegen "falscher Behauptungen und versuchter Erpressung" gegen die Piquet-Familie eingeleitet?

Briatore und Symonds als Bauernopfer

Die Franzosen hatten wohl eingesehen, dass sich die Schlinge um ihren Hals schon zu weit zugezogen hatte und nur noch in der Flucht nach vorn einen Ausweg aus der Misere gesehen. "Die FIA scheint glasklare Beweise zu haben, wonach die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen", mutmaßte der ehemalige Teamchef Eddie Jordan bei der "BBC".

Das Gespann Briatore/Symonds also ein Bauernopfer in Renaults größter Schlacht. Mit dem Rauswurf der beiden prominentesten Gesichter wollen die Franzosen den Rest des Teams aus der Schusslinie nehmen.

"Verhandlungen positiv beeinflussen"

"Renault hofft, durch den Rauswurf von Briatore und Symonds die Verhandlungen am Montag positiv beeinflussen zu können", sagte Schulz zu SPOX: "Es soll helfen, einem totalen WM-Ausschluss entgegenzuwirken."

Genauso verkauft es Briatore selbst in einem ersten Statement gegenüber dem "Mirror": "Ich habe nur versucht, das Team zu retten. Es ist meine Pflicht. Das ist der Grund, weshalb ich aufgehört habe."

Lauda: "FIA muss Renault hart bestrafen"

Ob es dazu kommen wird, ist ungewiss. Der FIA wird einerseits wenig daran liegen, das französische Werksteam aus der Königsklasse des Motorsports zu verbannen. Nach der Rettung von BMW-Sauber und dem Wiedereinstieg von Lotus war man froh, die Planungen für die kommende Saison endlich abgeschlossen zu haben.

Andererseits muss die FIA hart durchgreifen, um den Schaden für das Ansehen der Formel 1 halbwegs in Grenzen zu halten. "Das ist der größte Schaden, der der Formel 1 jemals zugefügt wurde. Die FIA muss Renault hart bestrafen, um die Glaubwürdigkeit des Sports zu wahren", sagte Niki Lauda der "Daily Mail".

"Formel Farce" dank Skandalen

Der Kampf der Teamvereinigung FOTA gegen Max Mosley und Co. ist noch in schlechter Erinnerung. Schon dort konnte der Weltverband das Ende der uns bekannten Formel 1 nur durch Zugeständnisse gegenüber den Teams abwenden.

Doch das sind nur Spekulationen in einer Zeit, in der die Formel 1 immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Zu viele Skandale abseits der Rennstrecke in kurzer Zeit lassen den sportlichen Aspekt immer mehr in den Hintergrund rücken, die "Formel Farce" ist ein geflügeltes Wort.

Flavio, der Lügner

Und mittendrin im Geschehen: Flavio Briatore. Der Exzentriker, der Playboy - der Lügner. Mit einer Verleumdungsklage wegen "unerhörter Lügen" wollte er Piquet Jr und seinen Vater in der Crashgate-Affäre ruhig stellen.

Flavio selbst war allerdings alles andere als still. Erst hatte er seinen ehemaligen Piloten als "verzogenen Jungen mit labilem Charakter" bezeichnet. Und dann noch eine Schippe des schlechten Geschmacks drauf gelegt und Piquet Homosexualität unterstellt.

Höhepunkt einer verbalen Schlammschlacht

Es war der Höhepunkt einer verbalen Schlammschlacht, die Piquet nach seinem Rauswurf begonnen hatte. Briatore habe keine Ahnung von der Formel 1, hatte der 23-Jährige gestichelt. Was dem Brasilianer zunächst als Frustreaktion ausgelegt wurde, erscheint nun in einem ganz anderen Licht.

Piquet soll schon immer ein ausgesprochen schlechtes Verhältnis zu seinem ehemaligen Teamchef und gleichzeitig auch Manager gehabt haben. Wie groß der Druck seitens Briatore auf dem jungen Rennfahrer gelastet haben muss, wird erst nach dem Renault-Geständnis deutlich.

War Piquet noch bei Verstand?

Von der menschlichen Seite aus betrachtet: Wer würde auf Anweisung seines Chefs das Risiko eingehen, großen körperlichen Schaden bereitwillig in Kauf zu nehmen?

"Um in der Formel 1 eine Safety-Car-Phase herbeizuführen, muss man schon ordentlich in die Mauer krachen. Es ist unvorstellbar, dass jemand so etwas freiwillig tut", erklärt Schulz.

Dabei ging es ja nicht einmal um die eigene Chance auf den Sieg, sondern um die seines Kollegen Alonso. Für den gesunden Menschenverstand ist diese Aktion kaum begreiflich.

Größenwahn bei Briatore?

Ebenso muss man sich fragen, warum Briatore in den vergangenen Tagen nicht einfach seinen Mund halten konnte. War ihm etwa nicht bewusst, dass Piquet den Skandal an die Öffentlichkeit bringen könnte? Schwer zu glauben, schließlich ist der Italiener aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung mit allen Wassern gewaschen.

Eine mögliche Erklärung für sein lächerliches Verhalten hat Piquet Senior parat: "Ab einem gewissen Punkt bekommen Leute wie Flavio soviel Macht, dass sie glauben, sie könnten über Wasser gehen. Er ist tatsächlich davon ausgegangen, dass ihm trotz der eindeutigen Beweislage niemand etwas anhaben kann."

Formel 1 der große Verlierer

Es ist müßig, schon jetzt über einen Nachfolger von Briatore bei Renault zu spekulieren. Die FIA-Anhörung am kommenden Montag wird weitere Klarheit in einem der peinlichsten Skandale der Formel-1-Geschichte bringen.

Nur etwas ist bereits jetzt sicher: Der größte Verlierer der Crashgate-Affäre ist die Formel 1 selbst.

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