Lesnar, Hunter, oder das totale Chaos?

Von Maurice Kneisel / Walandi Tsantiridis / Sven Spingler
Im Main Event des SummerSlam trifft Triple H auf The next big Thing Brock Lesnar
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World-Heavyweight-Champion Sheamus vs. Alberto Del Rio

Spingler: Erst war das Match weg, dann wieder da. Gut oder schlecht? Die Frage wird sich wohl selbst in der Nacht von Sonntag auf Montag nicht eindeutig beantworten lassen. Doch man kann es drehen und wenden, wie man will: Sheamus fehlen die Gegner. Es gibt im ganzen SmackDown-Roster keinen Athleten, der in den letzten Monaten noch nicht umgekickt wurde. Del Rio eingeschlossen. Und genau da liegt das Problem: die Spannungskurve geht gegen Null. Mal im Ernst, wer erwartet hier schon einen Titelwechsel? Für einen Sheamus-Sieg würde man im Wettbüro eine Quote von 1,01 bekommen. Die einzige Unbekannte ist Ziggler. Wird er wieder versuchen, nach dem Match einzucashen? Sicherlich. Nur die Erfolgschancen scheinen verschwindend gering. Selbst ein zerstörter Sheamus braucht nur seinen Brogue Kick out of nowhere und die Sache ist gegessen. Die Hoffnung stirbt aber bekanntlich zuletzt. Viel interessanter ist nicht die Frage, ob Sheamus das Ding macht, sondern ob das WHC-Match wieder als Opener herhalten muss.

Kneisel-Lee: Einen Titelwechsel zu "erwarten", wäre wohl etwas zuviel des Guten, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Irgendwann wird auch Sheamus den Titel abgeben müssen, wobei das wohl eher "unfair" durch Dolphs Cash-in passieren wird. Der neue (na ja), toughe Alberto gefällt mir und ich bin nach wie vor der Meinung, dass er einen glaubwürdigen, guten Heel-Champ abgeben kann. Die zwei Probleme bei der Konstellation sind, dass 1.) die Beiden bei Money in the Bank schon ein stinklangweiliges Match abgeliefert haben und die Leute dieses Mal sicher nicht weniger auf ihren Händen sitzen werden, und 2.) dass, wie du schon erwähntest, das Hin und Her bei der Ansetzung einfach affig war und den Stellenwert des Matches weiter reduziert hat. Ganz davon zu schweigen, dass man einen Del Rio kurz vor seinem großen Titelkampf nicht noch unnötig dadurch schwächen sollte, dass man ihn clean gegen Randy Orton verlieren lässt - einen Mann, der nach aktuellem Stand nicht mal auf der PPV-Card steht. Um Ryback zu zitieren: "STUPID!" Letzten Endes ist das aber ähnlich irrelevant wie der Titlerun der menschlichen Kalkwand, der definitiv zu den langweiligsten der letzten Dekade zählt. Ich hoffe auf Del Rio, tippe aber auf Sheamus.

Tsantiridis: Alberto Del Rios Aussehen wurden zwei neue schwarze Accessoires hinzugefügt, um ihm noch mehr Aggressivität zu verleihen - die Ringhose ist das eine, aber was ist mit den Haaren? Genau, die grauen Ansätze an den Seiten wurden gefärbt. Er ist zwar immer noch der Gesichtsälteste der WWE, dennoch eine Verbesserung. Im Gegensatz zu Maurice kann ich jedoch dem neuen Gesamtpaket noch nichts abgewinnen. Sein Stil im Ring passt vorne und hinten nicht zu dem aggressiven Auftreten. Man nehme beispielhaft seinen Enzuigiri. Der sieht so elegant, wunderschön und graziös aus - wie ein gemaltes Kunstwerk. Der muss aber krachen! Und wo wir gerade bei unpassendem Auftreten sind: Ein muskelbepackter, rothaariger Schlägertyp aus Irland, der mit einem schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift "Brogue Kick Hooligan" auftritt, wird als der ewig lächelnde, freundliche Strahlemann porträtiert. Für Sheamus persönlich nicht verkehrt, wenn man bedenkt, dass Babyfaces in der WWE grundsätzlich besser dargestellt werden. Dennoch bringt dieser Titelrun einfach keinen Spaß, wird jedoch auch meiner Ansicht nach vorerst weiter andauern.

WWE-Champion CM Punk vs. John Cena vs. The Big Show

Tsantiridis: Wäre der Turn von CM Punk vernünftig durchgezogen statt solch einer halbseidenen Geschichte, die derzeit in den Shows abläuft, böte dieses Match tatsächlich einen Kaufanreiz. So bleibt es einfach nur ein Triple-Threat-Match. In meinen Augen eine der schlimmsten Matcharten, weil immer dieselbe Matchstory abläuft. Zu Beginn teamen zwei gegen einen Gegner. Dann geraten sie selbst aneinander. Daraufhin hält sich ein Beteiligter immer für einen längeren Zeitraum "angeschlagen" außerhalb des Rings auf. Es findet de facto ein Einzel-Match zwischen wechselnden Akteuren statt. Nun zurück zu CM Punk: In seinen Interviews macht er sich ständig über Aussehen, Schwächen und andere Auffälligkeiten seiner Gegner lustig, stellt sich großkotzig als der Beste der Welt dar, trägt es unterstützend offenkundig auf seinem Shirt zur Schau, hält sich für etwas Besseres als den Durchschnittsbürger, weil er keinen Alkohol trinkt und ist ständig unrasiert. Auf dem Papier ist dies der klassische Heel. Der braucht keinen Turn. CM Punks Gimmick ist darauf angelegt, unsympathisch zu sein. Er ist der Anti-Schwiegersohn. Für den schwärmen die Mädels in ihrer Teenie-Zeit und später klagen sie, dass sie einen Fehler gemacht haben. Der braucht keinen Heel-Turn - und erst recht keinen halbherzigen. Big Show wird in diesem Match die Statistenrollen einnehmen. Entweder wird er gepinnt oder er knockt John Cena aus, und CM Punk staubt den Sieg ab.

Kneisel-Lee: Deine Kritik an den WWE-Three-Ways kann ich zu einhundert Prozent unterschreiben. Wobei es schon irgendwie faszinierend ist, wie immer wieder zufällig einer ausgeknockt wird und aus dem Ring rausrollt - fast so glaubwürdig wie Reys 619-Ansatz. Man könnte beinahe glauben, es geht einfach nicht anders - wenn anderweitig nicht schon zigfach bewiesen worden wäre, dass an einem Three-Way tatsächlich alle drei Wrestler gleichzeitig teilnehmen können. Das bekämen Cena, Show und Punk sicher auch hin. Apropos Punk, deine Kritik an seinem Turn... ist leider auch berechtigt. Ob er nun schon Voll-Heel ist oder noch ein halber Tweener, spielt dabei keine Rolle. Das Ganze - so gut es auch bei RAW 1000 eingeleitet wurde - fesselt mich einfach nicht. Er ist zwar miesepetrig und arrogant, doch die Pipe Bombs und das besondere Etwas, das ihn beispielsweise während seiner Fehde mit Jeff Hardy so unglaublich hassenswert gemacht hat, fehlen. Hoffentlich lassen die Writer sich etwas einfallen, damit CM beim SummerSlam die Kurve bekommt. Big Show würde ich als Sieger ebenfalls ausschließen, er wird ordentlich rumkloppen, dann längere Zeit außerhalb des Rings rumliegen und am Ende das Pin einstecken. Bleibt die Frage, von wem. Mich beschleicht das ungute Gefühl, dass der aktuell besonders schmierige John Cena (ich habe deinen Baggerversuch bei AJ neulich durchaus bemerkt, Mr. Grünspan!) nach seinem erfolglosen Cash-In hier den Gürtel holt.

Spingler: Ich befürchte leider Gottes dasselbe. Punk will Spotlight und was bekommt er? Einen Titelverlust. Da das Pin selbstverständlich an Big Show verübt wird, geht der "neue" Punk (O-Ton Eve) an die Decke, verkloppt nach dem Match den jubelnden John Cena und verschwindet mit dem Gürtel in den Backstagebereich. Dieses Szenario wäre meiner Meinung nach der bestmögliche Weg, die Fehde wieder spannend zu machen, auch wenn Cena dann einen Grund mehr hätte, den Strahlemann zu spielen. Allerdings kann ich in Sachen Punk nur widersprechen. An ihm liegt es am wenigsten, dass wir beim SummerSlam einen halbgaren Three-Way bekommen. Egal, ob er sich am Pult mit Lawler streitet oder The Rock den GTS verpasst - es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen und zu -hören. Der Zeitpunkt des "Turns" war sehr gut gewählt und hat Punk nochmal einen ordentlichen Schub nach vorne gegeben, da nicht jeder die Chance bekommt, eine Jubiläums-Ausgabe zu beenden. Was zurückbleiben wird, sind ein Heel!-Punk und ein Big Show, der sich hoffentlich aus dem Titelrennen verabschiedet.

Triple H vs. Brock Lesnar

Kneisel-Lee: Ich steige mit meinem Tipp ein, ums hinter mir zu haben: Triple H gewinnt. Einhundertprozentig. Ohne jeden Zweifel. Wieso? Weil er eben Hunter ist und sich das nicht nehmen lassen wird. Weil er nach den Attacken von Brock auf HBK noch motivierter ist und den bösen Lesnar dafür unbedingt zur Rechenschaft ziehen muss. Und weil dieser Mist wichtiger ist als langfristige Planung. Man holt Lesnar zurück, um ihn nächstes Jahr bei WrestleMania in einem der Hauptmatches einzusetzen. Aber nach der Niederlage gegen Cena bei Extreme Rules und nachdem er in den letzten Wochen immer wieder vor HHH weggelaufen ist, wäre eine Niederlage beim Slam verheerend. Klar, Brock ist ein Monster, aber selbst wenn er hier halbwegs dominieren darf, glaubt nach der nächsten Pleite wohl kaum mehr irgendjemand, dass er bei WrestleMania einem Taker, Cena, Rock oder wem-auch-immer ernsthaft gefährlich werden kann. Das Match an sich hat man durch die persönlichen Attacken von Paul Heyman zugegebenermaßen recht gut aufgebaut. Aufgrund der geringen Zahl an vertraglich geregelten Auftritten von Brock musste man nach den ersten Attacken auf Hunter leider eine (zu) lange Pause einlegen, hat aber doch noch einigermaßen die Kurve bekommen. Vom Match erwarte ich vor allem Brawling und jede Menge Härte. Ob es am Ende besser wird als Lesnar vs. Cena wage ich allerdings zu bezweifeln.

Spingler: Ich befürchte dasselbe. Durch die wenigen Auftritte ist der Impact beinahe schon komplett weg und nach einer weiteren Niederlage Lesnars könnte man ihn - übertrieben ausgedrückt -direkt zu Superstars schicken. Selbst wenn er 90 Prozent des Matches dominieren sollte, eine cleane Niederlage würde ihm das Genick brechen. Doch einem Sieg steht Triple Hs Ego im Weg; dieses ist bekanntlich höher als die kolportierten 8848 Meter des Mount Everest. Doch ich glaube an den Verstand der Verantwortlichen. Keiner kauft sich ein teures Spielzeug, nur um es nach wenigen Monaten zu entwerten. Ich denke, es wird zu einem No Contest kommen. Da das Match normale Regeln hat, bietet sich dieser Ausweg geradezu an. Heyman greift ein oder Triple H zum Vorschlaghammer - Möglichkeiten gibt es viele. Doch ein Sieg allein wird Hunter als Rache nicht reichen. Vielmehr wird er versuchen, Brock Lesnar die Verletzungen heimzuzahlen. Die Hoffnung bleibt, dass The next big Thing danach endlich sinnvoll eingesetzt wird und die Money-Matches abgehakt sind.

Tsantiridis: Einen No Contest? Über Monate hinweg den PPV aufbauen, 45 bis 50 Dollar für die Veranstaltung verlangen, die UFC dafür kritisieren, dass deren Kämpfe teilweise nach wenigen Minuten vorbei sind und sie daher dem zahlenden Kunden nicht den Gegenwert zurückgeben. Dann soll hier ein No Contest den Main Event beenden? Niemals! Ich denke, die Position auf der Card wird eine Tendenz aufzeigen, wie das Match ausgeht. Als letztes Match wird wohl das Babyface Triple H triumphieren. Einen Platz davor kann eine Story entwickelt werden, bei der im Match etwas Schockierendes geschieht, um dies im weiteren Verlauf auszuspielen. Ähnlich geschehen beim SummerSlam 1996, als Paul Bearer gegen den Undertaker turnte. Zurück zu diesem Match: Der Aufbau war wie aus dem Lehrbuch. Man hat den Heel bei der letzten Show als große Bedrohung für das Babyface dargestellt, Lesnar hat sogar Shawn Michaels außer Gefecht gesetzt. Auf der Homepage wird nun an einem Auftritt des Heartbreak Kids gezweifelt. Ich erwarte ihn aber trotzdem und Brock Lesnar wird am Ende das Match dennoch für sich entscheiden.

Fazit

Tsantiridis: Wie bereits erwähnt, rechtfertigt einzig und allein Dolph Ziggler den Kauf des PPVs. Unterm Strich hatte die WWE in den letzten Jahren mehr Hype um den SummerSlam als zweitgrößter Show des Jahres entwickelt. Es erwartet uns kein groß aufgebautes Titelmatch. Das WWE-Championship-Match scheint wie eine Zwischenstation auf dem Weg zu CM Punk vs. John Cena, das wiederum zum Gegner von The Rock führt. Lesnar vs. Triple H hat natürlich den großen Aufbau und einen Paul Heyman in Hochform. Irgendwie erwarte ich allerdings, dass sich diese Geschichte im Sande verlaufen wird. Bei Del Rio und Sheamus weigere ich mich, von einem Main Event zu sprechen. Wahrscheinlich kann uns nur ein Auftritt der One Man Band Heath Slater retten, der gegen eine Legende aus der SummerSlam-Geschichte verliert. Wie wäre es mit dem Brooklyn Brawler oder Barry Horowitz (der hat immerhin einen SummerSlam-Sieg 1995 auf dem Konto stehen), um den besten Edeljobber aller Zeiten auszumachen?

Spingler: Ich sehe das Ganze nicht so kritisch. Wenn ich die Card isoliert betrachte, kann man sich sogar auf den einen oder anderen Leckerbissen freuen. Lesnar vs. Triple H wird auf jeden Fall ein spannendes, wenn wohl auch nicht hochklassiges Match. Auch das WWE-Titel-Match hat seine Reizpunkte: Was macht Punk? Wie viel Super-Cena werden wir sehen? Und kann Big Show langsamer als langsam wrestlen? Dazu noch den Showstealer des Abends: Chris Jericho vs. Dolph Ziggler. Alles in allem kann man sagen, dass die WWE sich Mühe gegeben hat, nicht zu viele Random Matches auf die Card schmeißen zu müssen. Squash Matches hätten auf der zweitgrößten PPV-Bühne der WWE wirklich nichts verloren. Wünschenswert wären auch ein bisschen Sommer- und Bikini-Feeling - starring Layla und Eve. Eine deutliche Steigerung war seit Money in the Bank spürbar, aber diese musste auch kommen. Jetzt freue ich mich einfach auf das Event und hoffe für unseren Maurice, dass bei AJ das Sommerfeeling nicht zu kurz kommt.

Kneisel-Lee: Ein SummerSlam ohne komplett sinnfreie, aber schön anzusehende Bikini-Battle-Royal? Schwer vorstellbar. Hatten wir andererseits schon vor ein paar Wochen bei RAW, inklusive PG-tauglichen Outfits. Ich kann allerdings - bis auf die offensichtliche Ausnahme - auf die Mädels beim Slam dankend verzichten, da die Diven-Division aktuell so grottig und belanglos wie nie zuvor ist. Dann doch lieber das gerüchtete und semi-akzeptabel aufgebaute Match zwischen Damien Sandow und dem Tanzbären. Ich stimme Sven zu, Jericho vs. Ziggler wird definitiv zu begeistern wissen, weiterhin freue ich mich mächtig auf Bryan vs. Kane (v.a. dank D-Bry). Dazu der garantiert heftige Main Event zwischen Lesnar und Triple H sowie ein ganzer Sack voll Titelmatches. Außerdem schwelt im Hinterkopf noch die ganz kleine Hoffnung auf einen Überraschungsauftritt von Mark Henry, Wade Barrett... oder meinetwegen auch Heath Slater. Der Slam mag nicht so extrem gehypt worden sein wie in den letzten Jahren und einige Ansetzungen wirken zugegebenermaßen wie Übergangsstationen; nichtsdestotrotz erwartet uns eine stark besetzte Card mit mindestens acht mehr oder minder attraktiven Matches. In dem Sinne: die größte Party des Sommers kann steigen, Baby!

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