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"LeBron fehlt noch ein Schritt zu Jordan"

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Mit einem weiteren Ring schließt LeBron zu MJ auf

Thorben Rybarczik: Ich finde es unheimlich schwer für Leute, die in den 2000ern mit Basketball sozialisiert wurden, die GOAT-Diskussion zu führen oder zu beurteilen. Ich kenne von MJ nun einmal nur Bücher, Reportagen, Highlights, Stats, Re-Lives von bestimmten Playoff-Spielen oder Herausforderungsreihen bei NBA 2k. Auf der anderen Seite erlebe ich LeBron in der Blüte seiner Zeit und kann seine Entwicklung mitverfolgen. Dabei frage ich mich: Wird man in 20 Jahren über LeBron so sprechen, wie man heutzutage über MJ spricht? Ich denke nicht. Denn das Phänomen "globaler Basketball-Superstar" gab es nun einmal schon vor ihm. Auch in Sachen Marketing ist ja MJ noch das Maß aller Dinge. Sportlich betrachtet finde ich die Art und Weise, wie LeBron das Spiel beeinflusst und dominiert, absolut beeindruckend. Er hat ja selber zuletzt wieder gesagt, dass er sich fragt: 'Was kann ich tun, um meinem Team zu helfen, wenn ich nicht score?' Diese Vielseitigkeit mit diesem Körper hat es noch nie gegeben. Und er wird von Jahr zu Jahr besser. Vergleicht man beispielsweise die Finals von 2011 mit den Playoffs heute, liegen Welten dazwischen. Kurz: Ich halte LeBron für den komplettesten und wohl auch besten Basketballer des neuen Jahrtausends. Aber ob er mit ein paar Ringen mehr zum GOAT aufschließt, vermag ich nicht zu beurteilen.

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Alex Schlüter: Ich habe Jordan in seiner Prime erleben dürfen. Was ihn meiner Meinung nach von James unterscheidet: Nach der Anfangsphase seiner Karriere - in der er ja individuell schon herausragend war, aber man ihm die Championship-Mentalität noch nicht so angeheftet hatte - hat er in seinen Titeljahren immer das Gefühl vermittelt, dass er Spiele, Serien und Meisterschaften auf jeden Fall gewinnt. Es gab einfach dieses Selbstverständnis, wenn Jordan nicht gerade Baseball gespielt hat: Steht er auf dem Parkett, gewinnen diese Bulls alles. Das ist bei LeBron nicht so. Nun kann man natürlich streiten: Was wäre gewesen, wenn es in der Jordan-Ära einen Gegner vom Warriors-Format gegeben hätte? Was, wenn es diese Warriors zurzeit nicht gäbe - wie viele Titel hätte LeBron? Wobei er natürlich auch gegen die Spurs oder gegen Dirks Mavs Finals verloren hat. Aber nochmal: Dieses Gefühl, dass er auf jeden Fall den Titel gewinnt, habe ich bei James noch nicht gehabt. Und das, obwohl er schon gute Teams um sich herum hatte, damals in Miami und auch heute in Cleveland. Deswegen sage ich: LeBron fehlt noch ein Schritt zu Jordan.

Thorben Rybarczik: Genau dieses Gefühl habe ich inzwischen bei LeBron, und zwar seit Game 7 in den letztjährigen Finals. Er hat einfach alles schon gesehen und erlebt und auf alles eine Antwort. Steht er auf dem Feld und übernimmt ein Spiel, gehe ich von einem Sieg aus. Das war beispielsweise auch beim legendären Christmas Game so, obwohl Irving wieder den entscheidenden Wurf getroffen hat. Erweitert man dieses Gefühl auf eine ganze Serie oder auf eine ganze Saison, traue ich LeBron aufgrund seines Auftretens und seiner Dominanz alles zu - auch einen erneuten Sieg in den Finals gegen diese Warriors.

Andre Voigt: Das Thema ist und bleibt extrem schwierig, weil es keine Parameter gibt, anhand derer man das messen kann. Jordan hat keine Finals verloren? Schön - aber Bill Russell hat mehr Titel. Und so weiter. Geht es jedoch "nur" darum, über den besten Basketballer aller Zeiten zu sprechen, muss man die beiden auf jeden Fall in einem Satz nennen! Ich stelle mir folgende Frage: Welchen Spieler würde ich wählen, wenn ich eine Finalserie gewinnen will - rein vom basketballerischen Standpunkt aus? Doch auch das ist aufgrund der unterschiedlichen Zeiten schwer, in denen beide gespielt haben. Bei Jordan war Handchecking noch erlaubt, dafür war die Zonenverteidigung verboten. Trotzdem sollte man sich darauf einigen können, dass Jordan der bessere Scorer war, da er unaufhaltsamer und unberechenbarer als LeBron agierte. Und das, obwohl LeBron inzwischen den Dreier hat und körperlich stärker einzustufen ist. Aber Jordan hatte mehr Waffen, man bedenke nur den Fadeaway aus seiner späteren Zeit. Dieses Attribut, immer punkten zu können, spreche ich LeBron ab. Wenn man aber alles zusammenrechnet und den Effekt auf die eigene Mannschaft mit einbezieht, hat LeBron tatsächlich den größeren Einfluss. Das zeigt sich schon daran, dass er in absolut jedem Spiel ein Triple-Double auflegen kann, und zwar mit Leichtigkeit. Auch ist er der bessere Passgeber als Jordan, obwohl dieser ja schon jede Menge Assists gespielt hat. Also: Geht es darum, einen Spieler für den Gewinn einer Serie zu wählen, geht der Zuschlag von mir an James.

Alex Schlüter: Da du die Entwicklung von Jordan ansprichst hinsichtlich des Fadeaways: Dann sollte man LeBron zugutehalten, dass er dieses zweite Element - das Post-up-Spiel - in sein Repertoire mit aufgenommen hat. Im Prinzip ist die Cavs-Offense nur auf zwei Dinge fixiert. Entweder auf James im Post, wo er seine Physis einsetzt oder den freien Mann findet, oder auf James als Ballhandler an der Dreierlinie, der das Pick-and-Roll läuft. Nebenbei glaube ich, dass die zweite Variante gegen die Warriors zum Tragen kommt. Es ist ja zu beobachten, dass die Cavs komplette Serien auf das eine oder andere ausrichten. Um auf den Vergleich MJ/LeBron zurückzukommen: Ein Unterschied ist, dass es gegen LeBron die Defensiv-Waffe gibt, ihm den Jumper zu lassen. Wenn der nicht fällt oder er ihm nicht vertraut, kann er aus dem Spiel genommen werden. Nun war Jordan auch nicht der beste Dreierschütze - doch er hatte mehr Wege, um das zu kompensieren. Es gibt einfach keinen Spieler aus der Jordan-Ära, der eine Idee hatte, was man ihm anbieten soll, ohne dafür von ihm bestraft zu werden.

Ole Frerks: Um es klipp und klar zu sagen: Ich hasse die GOAT-Diskussion. Keiner von uns hat Bill Russell live erlebt, nicht alle Jordan. Schon bald wird es eine Generation geben, die mit LaMelo Ball aufgewachsen ist. Na gut, vielleicht nicht. Aber der Punkt ist: Obwohl niemand alle gesehen hat, hat jeder eine Meinung - auch der 13-Jährige, der Crying Jordan besser kennt als MJ. Es kursiert da so viel unqualifiziertes Gelaber, dass es nicht wirklich Spaß macht, über Nuancen zu diskutieren, zumal es immer noch eine riesige verkalkte "Jordan wäre das nie passiert!"-Fraktion gibt. Ich würde auch angesichts der verschiedenen Regeln vorschlagen, dass wir uns darauf einigen, dass Jordan nicht der GOAT, sondern der GOHT ist - the Greatest of his Time. So wie LeBron heute, so wie Russell in den 60er Jahren. Ich weiß aber, dass das utopisch ist, daher noch kurz meine Meinung: LeBron ist der beste Basketballer, den ich jemals gesehen habe. Das kompletteste Paket, die (mittlerweile) brutale mentale Stärke, diese unfassbare Langlebigkeit. Er ist gleichzeitig der stärkste und intelligenteste Spieler der Liga und das seit zehn Jahren. Und bisher macht er keine Anzeichen, dass er demnächst nachlässt, obwohl er jetzt schon mehr Meilen auf dem Tacho hat als Jordan. Das wird etwas häufig vergessen, wenn man die beiden vergleicht. Ich muss aber gleichzeitig auch gestehen, dass ich LeBron von Anfang an verfolgt habe, während ich bei Jordan eben erst am Ende eingestiegen bin. Vielleicht würde ich sonst genau so über MJ denken, wobei mir das passlastige Spiel LeBrons vom Typ her stärker zusagt als der Iso-Ball der 90er Jahre. Wie auch immer: Die Frage ist zu subjektiv, als dass es jemals einen echten Konsens geben könnte.