NBA

Alte Schule mit neuem Twist

Von Linus Braunschweig
Kemba Walker und sein Team spielen diese Saison auf einem anderen Level
© getty

Die Charlotte Hornets haben einen überraschend guten Saisonstart hingelegt. Die Gründe dafür sind der einzigartige Spielstil und ein Kemba Walker, der zur Höchstform aufläuft.

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Nach 48 Minuten Spielzeit stand das Ergebnis am vergangenen Sonntag fest: Hornets 93, Cleveland 100. Die zweite Niederlage in Folge. Trotzdem lag weder Frust, noch Enttäuschung in der Luft. Denn auch wenn man das Spiel am Ende nicht gewinnen konnte, zeigten Kemba Walker und Co., dass auch ein amtierender Meister nicht einfach über sie hinwegspazieren kann.

Das Spiel war bis zuletzt knapp, auch wenn man offensiv nie richtig ins Spiel kam und eine Trefferquote von 37,9 Prozent aufwies. Die anderen Stärken kamen jedoch zum Tragen: James traf durch Michael Kidd-Gilchrists exzellente Verteidigung nur acht von 21 Würfen, Walker kam trotz guter Cavs-Defense auf 21 Punkte und Nicolas Batum wurde seiner Rolle als Allrounder mit 15 Punkten, neun Rebounds und sieben Assists gerecht.

Dass es nicht zum Sieg reichte, lag letztendlich vor allem an Cavs-Reservist Channing Frye, der 11 seiner 20 Punkte im vierten Viertel erzielte.

Besser als erwartet

Aber wer hätte überhaupt gedacht, dass diese Partie ein Topspiel darstellen würde? Derzeit stehen die Hornets mit 7-3 auf dem dritten Platz im Osten, nur die Cavs und die Atlanta Hawks stehen besser da. Und dabei war von Michael Jordans Franchise eigentlich eher ein Rückschritt erwartet worden, nachdem in der Vorsaison 48 Siege geholt wurden.

Im Sommer verließen mit Jeremy Lin, Courtney Lee und Al Jefferson drei Schlüsselspieler der letzten Saison die Mannschaft - und auch mit den Deals, die getätigt wurden, war nicht unbedingt jeder glücklich. Die Neuzugänge Roy Hibbert, Marco Belinelli und Brian Roberts sorgten für keine Jubelarien, ebenso wenig wie die teuren Vertragsverlängerungen von Batum (120 Millionen), Marvin Williams (54,5) und vor allem Cody Zeller (56).

Head Coach Steve Clifford hingegen frohlockte bei der Batum-Verlängerung: "Die Dinge, die er tut, kann man nicht lehren. Er ist ein super Passspieler und hat ein großartiges Spielgefühl. Er macht immer den einfachen und richtigen Spielzug", sagte Clifford schon im Sommer. Er weiß, wie wichtig der Franzose für seine Spielphilosophie ist - und in diese passen auch Zeller und Williams.

Charlotte sucht den Superstar

Die Hornets haben keinen Star wie LeBron. Dagegen hat jeder Spieler in der Starting Five seine Spezialität und Rolle: Batum ist der Alleskönner, der von allem ein bisschen macht. Kidd-Gilchrist ist der Edelverteidiger, an dem sich die besten Scorer die Zähne ausbeißen. Williams stellt den "Stretch-Four" dar, Zeller hat die Rolle des Rim-Protectors verinnerlicht, auch wenn er keine fette Blockstatistik wie Whiteside oder Howard hat.

Und dann gibt es noch Kemba Walker, der eine phänomenale Saison spielt. Er erzielt bisher 25,8 Punkte pro Spiel mit einer Wurfquote von 49,1 Prozent und trifft seine Dreier mit einer Curry-esquen Quote von 47,8 Prozent! Garniert mit 3,8 Rebounds, 5,5 Assists und 1,9 Steals bedeutet das derzeit ein Player Efficiency Rating von 29,14, das sich auf einem Level mit Kevin Durant und Anthony Davis befindet. Walker scheint sich endlich zu dem Star aufzuschwingen, den viele schon zu College-Zeiten in ihm gesehen hatten.

Die "Bench Force 1" ist gelandet

Doch ein Star macht noch kein Team, eine gute Starting Five noch kein Topteam. Bei Charlotte liefert auch die Bank beständig ab, obwohl sie vor der Saison nach den Abgängen von Lin und Jefferson noch als eine der schlechtesten der Liga angesehen wurde.

Indes wurde das Vakuum kollektiv von Ramon Sessions, Jeremy Lamb, Belinelli, Frank Kaminsky und Spencer Hawes gefüllt. Das Überraschende: Die eben genannten Spieler bilden die Aufstellung mit dem besten Plus/Minus dieses Jahres mit +11 und werden in dieser Konstellation, sobald Lamb wieder fit ist, wohl häufiger zu sehen sein.

Bisher gehört die "Bench Force 1" zu den besseren Second Units der NBA, sowohl den Pacers als auch den Heat knallte der zweite Anzug bereits starke 51 Punkte rein.

"Float like a butterly, sting like the Hornets"

Der Stil, den Charlotte spielt, ist dabei ziemlich einzigartig. Sie spielen in einem gemäßigtem Tempo und sehr defensiv - gerade die Verteidigung ist bekanntlich eindeutig das Steckenpferd von Clifford.

Sein Team lässt gerade einmal 99,8 gegnerische Punkte pro Spiel zu, was den achten Rang in der NBA belegt. Und das erreichen die Hornets nicht etwa über Steals und Blocks: Sie zwingen die Gegner stattdessen dazu, schlechte Würfe zu nehmen. Im Football würde man die Verteidigung der Hornets als "Bend-Don't-Break-Defense" bezeichnen. Sie lassen Drives und Würfe zu, verteidigen diese aber extrem gut.

Cliffords Team versucht den Angriff durch gute Off-Ball-Defense zu ersticken und dem Aufbauspieler die Anspielstationen zu nehmen. Dadurch gerät das gegnerische Team unter Zeitdruck und muss auf die Schnelle einen Spielzug ausführen, wodurch das Ganze oft schlampig wird.

Die schlechten Würfe, die dadurch entstehen, bedeuten eine gegnerische Wurfquote von nur 42,9 Prozent (5. Platz in der Liga). Besonders die Distanzwürfe werden überragend verteidigt: Gegner treffen im Durchschnitt gerade einmal 33,1 Prozent ihrer Dreier, was der achtbeste Wert der NBA ist. Kurzum macht es einfach keinen Spaß, von diesem extrem disziplinierten Team verteidigt zu werden.

San Antonio Spurs light?

Aber auch die Offense in Charlotte ist interessant. Die Devise ist Ballkontrolle, was die geringen Turnover-Zahlen zeigen: Die letzten drei Saisons war Buzz City "Spitzenreiter" in Sachen Turnover pro Spiel. Bisher verlieren sie den Ball gerade einmal 10,9 Mal pro Abend, was abermals den absoluten Topwert bedeutet. Noch beeindruckender ist aber, dass die Charlotte Hornets gleichzeitig starke 24,2 Assists pro Match auflegen.

Die Schwerpunkte in der Offensive lassen erahnen, dass sich Clifford vom vielleicht besten seines Fachs hat inspirieren lassen. Wie unter Gregg Popovich ist Ball-Movement Trumpf, der Ball soll nicht "kleben", um das maximale Spacing zu erreichen. Dieses erreicht Charlotte aufgrund der merkwürdigen Wurftechnik von MKG allerdings auf etwas eigene Art und Weise.

Floor-Spacing mal anders

Da der No.2-Pick von 2012 aufgrund seiner Defense unverzichtbar, gleichzeitig aber ein katastrophaler Schütze ist, tauscht er offensiv meist mit Power Forward Williams die Rolle. Das heißt Williams bewegt sich viel am Perimeter und nimmt Dreier, während Kidd-Gilchrist oft in der Zone verweilt und unterm Korb versucht, Rebounds zu holen.

Seine Punkte macht MKG fast ausschließlich nach Cuts und Putbacks und in Charlotte hofft mehr oder weniger insgeheim jeder, dass er eines Tages zumindest aus den Ecken hochprozentig abschließt. In der Zwischenzeit funktioniert es aber auch so, solange vor allem Walker sich in Weltform befindet: Die Hornets treffen durchschnittlich 10,5 Dreier pro Spiel und belegen damit immerhin den zehnten Rang.

Bis MKG seinen Wurf verbessert, spielen die Hornets eben Oldschool-Basketball mit einem modernen Twist - denn dass Clifford auf ihn baut, ist kein Geheimnis: "Er kann die besten Scorer verteidigen und ist einer der besten Rebounder auf seiner Position. Er ist unheimlich verbissen und allzeit bereit. Er tut die Dinge, mit denen man gewinnt", schwärmte der Coach kürzlich.

Wo geht's hin?

Apropos Gewinnen - in Charlotte gewöhnen sie sich langsam an die Idee. Dennoch mahnte Walker: "Wir sollten nicht zu weit voraus denken. Das Ziel sind die Playoffs, dann sehen wir weiter." Und das vollkommen zu Recht, denn einige Fragezeichen bestehen.

Zum einen ist da die Gesundheit von MKG: Letzte Saison absolvierte er nur sieben Spiele, nun meldete sich schon wieder der Rücken - aber in diesem Jahr stünde kein Lee mehr bereit, der als primärer Verteidiger einspringen könnte. Zudem werden sich Defenses zusehends auf den brandheißen Walker einstellen, wie es Cleveland am Sonntag bereits vormachte.

Und dennoch: Es gibt gibt mindestens genauso viele Gründe, um hoffnungsvoll zu sein. Clifford etabliert sich immer mehr unter den Top-Coaches der Liga - sein System funktioniert und Kidd-Gilchrist beispielsweise hat schon behauptet, dass er für seinen Coach durch eine Mauer rennen würde.

Solange die Mannschaft diesen Spirit verinnerlicht, können sie jedem Gegner einen miesen Arbeitstag bereiten. Vielleicht ja auch eines Tages LeBron.

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