Die Wandlung der Überflieger

Von Daniel Börlein
Thomas Morgenstern (l.) gewann in dieser Saison schon vier, Andreas Kofler zwei Weltcups
© Imago

Lange Zeit standen Andreas Kofler und Thomas Morgenstern im Schatten von Gregor Schlierenzauer und fast vor dem Karriereende. Nun gehen die beiden allerdings als Top-Favoriten in die 59. Vierschanzentournee, dank eines Reifeprozesses, Paulo Coelho und Heavy Metal.

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Noch hat die 59. Vierschanzentournee nicht begonnen, viele Österreicher sind aber schon jetzt richtig enttäuscht. Der Grund: Gregor Schlierenzauer wird den Gesamtsieg auch in diesem Jahr nicht holen.

Der 20-Jährige muss wegen einer Bänderverletzung im Knie zumindest auf das Auftaktspringen in Oberstdorf (Mittwoch, 16 Uhr im LIVE-TICKER) verzichten und ist damit im Kampf um Tournee-Sieg völlig chancenlos.

Wieder nichts beim vierten Anlauf

Dabei hat man den Tiroler in Österreich eigentlich seit Jahren als Tournee-Seriensieger eingeplant. Schlierenzauer gilt in der Alpenrepublik als Jahrhundertspringer. Für Deutschlands Bundestrainer Werner Schuster ist er trotz einer Formschwäche zu Saisonbeginn "das größte Talent seit Nykänen", für die österreichischen Skisprung-Fans ein echter Volksheld.

Einen Olympiasieg, zwei Weltmeistertitel und insgesamt 32 Weltcupsiege hat Schlierenzauer in seiner jungen Karriere schon errungen. Mit einem Tournee-Sieg, der in Österreich mindestens so viel Wert ist wie ein Erfolg bei Olympia, wird es aber auch im vierten Anlauf nichts werden.

Duell Morgenstern - Kofler?

Dass Österreich am Ende dennoch etwas zu feiern haben wird, ist allerdings durchaus wahrscheinlich, schließlich kamen die Sieger der letzten sieben Tournee-Springen allesamt aus Österreich. Und: Mit Thomas Morgenstern und Andreas Kofler hat der ÖSV auch ohne Schlierenzauer die beiden Top-Favoriten auf den Gesamtsieg im Aufgebot.

Sechs von sieben Springen dieser Saison gewannen Morgenstern (4) und Kofler (2), nur in Kuopio durchbrach Ville Larinto die Dominanz des österreichischen Duos, das von einem Zweikampf um den Tournee-Sieg allerdings nichts wissen will. "Es ist klar, dass jetzt so geredet wird. Aber ich gehe meinen Weg. Ich möchte mit dem gleichen Gefühl an den Start gehen, wie schon den gesamten Weltcup", sagt Morgenstern.

"Morgi? Das passt nicht mehr"

Der 24-Jährige gibt sich betont locker. Aus gutem Grund. Vor drei Jahren reiste Morgenstern nach sechs Siegen in den ersten sieben Springen als haushoher Favorit zur Tournee, wurde am Ende Zweiter und fühlte sich als großer Verlierer.

Seitdem hat sich viel verändert. Und vor allem: Morgenstern hat sich verändert. Seinen Spitznamen "Morgi" will er nicht mehr hören. "Das passt nicht mehr zu mir", sagt er. Mit Freundin Kristina wohnt er seit dem Frühjahr in einem eigenen Haus. Morgenstern ist gereift.

"Ich setze mich heute selbst nicht mehr so unter Druck wie früher", sagt er. Nach dem verpassten Tournee-Sieg 2008 fiel er in ein Loch. "Mir ist der Spaß an der Sache verloren gegangen. Ich habe zu oft die Brechstange hervorgeholt."

Probleme mit Schlierenzauer

Die Ergebnisse blieben dadurch aus. Der Überflieger landete meist viel zu früh und hatte durch den rasanten Aufstieg Schlierenzauers plötzlich einen Konkurrenten im eigenen Lager, der ihn als Nummer eins im ÖSV-Team und bei den Fans abgelöst hatte.

"Ich war vorher die zentrale Figur, dann hatte ich Mühe, damit fertig zu werden, dass er plötzlich da ist", sagt Morgenstern, der sich sogar mit einem vorzeitigen Karriereende beschäftigte. "Vor Bischofshofen bei der Vierschanzentournee 2010 wollte ich sogar aufhören, weil du in der Öffentlichkeit natürlich an Ergebnissen gemessen wirst. Dann ist mir der Sieg gelungen und Druck abgefallen."

Es war sein erster Erfolg seit knapp zwei Jahren. Seitdem geht es wieder aufwärts. "Ich habe meine Lehren gezogen und denke nicht mehr so ergebnisorientiert", sagt Morgenstern. "Ich habe den Spaß am Skispringen wiedergefunden."

Motivation durch Coelho und Heavy Metal

Der war zwischendurch auch Andreas Kofler abhanden gekommen. Nach seinem ersten Weltcup-Sieg Anfang 2006 und zwei Medaillen bei Olympia in Turin war der 26-Jährige einige Zeit nur noch Mitläufer und tauchte nach einem Sturz beim Skifliegen in Oberstdorf 2008 völlig ab.

Morgenstern, Loitzl und Schlierenzauer waren die neuen Stars im Team, Kofler hatte fortan Probleme, sich überhaupt für die Mannschaft zu qualifizieren. Doch er gab nicht auf und suchte sich Vorbilder und Wegweiser, an denen er sich bei Rückschlägen wieder aufrichten konnte.

In seinem privaten Fitnessraum hängt ein großes Poster von Alpin-Star Hermann Maier, das ihn stets darauf aufmerksam machen soll, nie aufzugeben, egal wie schwer die Rückschläge sind. Auf Reisen gibt ihm Paulo Coelhos "Handbuch des Kriegers des Lichts" Kraft, aus dem er sich regelmäßig Denkanstöße holt. Unmittelbar vor Wettkämpfen motiviert er sich mit Heavy Metal. "Ich bin ein Mensch, der mit Musik seine Stimmung beeinflussen kann", sagt er.

Das alles trug dazu bei, dass aus Kofler wieder ein Siegspringer wurde. Im vergangenen Jahr gewann er erstmals die Tournee. In dieser Saison ist er zusammen mit Morgenstern der Top-Favorit auf den Gesamtsieg - und die große Hoffnung einer ganzen Nation. Schließlich wollen die Österreicher nicht auch nach der Tournee richtig enttäuscht sein.

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