WM

Kollektiv aus Komparsen

Von Daniel Reimann
Hulk, Fred und Co. müssen gemeinsam den Ausfall von Neymar kompensieren
© getty
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Die Schwächen

Scolaris mangelnde personelle und taktische Flexibilität wurde unlängst erst ausführlich thematisiert. Der Ausfall von Neymar macht sie abermals auf beeindruckende Weise deutlich. "Wir dürfen jetzt nicht in Panik verfallen, denn wir haben Spieler, die das Problem lösen können", sagte Willian, neben Ramires und Bernard ein möglicher Neymar-Ersatz, im Vorfeld. Doch zu dieser Aussage gehört eine gehörige Portion Optimismus.

Spielerisch und technisch ist Neymar Brasiliens personifiziertes Nonplusultra, ideell erst recht. Er ist das Gesicht dieser WM, der Hoffnungsträger von Fans und Vermarktern. Weder die eine, noch die andere Rolle können Ramires, Bernard oder Willian auch nur im Ansatz ausfüllen. "Neymar war und ist die Seele unseres Teams", brachte es Fred, selbst eine Schwachstelle dieser Mannschaft, auf den Punkt.

Bei Brasilien sei "alles in Bewegung. Nur Fred, der geht", sagte Mehmet Scholl kürzlich. "Ich versuche immer noch, etwas an diesem Spieler zu entdecken." Englands früherer Top-Stürmer Alan Shearer legte noch einen drauf: "Brasilien spielt eigentlich nur zu zehnt." Fred wusste das in ihn gesetzte Vertrauen unter Scolari lange durch Tore zu rechtfertigen. Tore waren quasi die Entschuldigung dafür, dass er zwischen all den Ballkünstlern in Brasiliens Offensive auch mitmischen durfte.

Doch schießt er keine Tore, wirkt Fred hilf- und teilnahmslos. So wie bei der bisherigen WM. Weil Scolari aber seit Amtsbeginn auf Fred und das 4-2-3-1 schwört, scheint weder eine personelle, noch taktische Umstellung denkbar. Dabei würde beispielsweise ein 4-2-4-0 mit Bernard Brasiliens Offensive zumindest theoretisch weitaus mehr Kreativität und Spielfreude verleihen. Doch eine Alternative zum Scolari-System wurde nie ernsthaft praktiziert. Ein Plan B für einen Neymar-Ausfall gibt es nicht.

Ein weiteres Handicap ist die Rechtsverteidiger-Problematik. Dani Alves scheint über den Zenit seines Schaffens hinaus und macht derzeit einen konsequenten Abstieg durch. Seine zahlreichen Stellungsfehler im bisherigen Turnier kosteten ihn zuletzt seinen Platz in der Startelf. Doch der ebenfalls alternde Maicon konnte Alves' Offensivdrang gegen Kolumbien nicht im Ansatz imitieren.

Solche individuellen Schwächen oder die fehlende Formstärke eines Hulk oder Paulinho wurden bisher stets durch die Genialität anderer Spieler aufgefangen. Neymars Ausfall jedoch muss das Kollektiv gemeinsam kompensieren.

Jenes Kollektiv, das bei der bisherigen WM meist nur Komparse bei der großen Neymar-Show war, muss es richten. Denn auf individueller Ebene ist der verletzte Star nicht zu ersetzen. Oder, um es mit Freds Worten zu formulieren: "Es wäre für mich ein Traum, mal ein Tor zu machen, nachdem ich fünf Gegner ausgespielt habe. Aber das vergesse ich besser. Das ist unmöglich."

Spielweise und Personal: Fehlender Fixpunkt

Stärken: Effizienz, Teamgeist und haufenweise Fouls

Schwächen: Kein Plan B, kein Ersatz und: Fred

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