WM

Kollektiv aus Komparsen

Von Daniel Reimann
Hulk, Fred und Co. müssen gemeinsam den Ausfall von Neymar kompensieren
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Die Stärken

"Meine Teamkollegen werden alles tun, um diesen Pokal in die Höhe zu stemmen. Sie werden den Titel holen, und ich werde bei der Mannschaft sein. Ganz Brasilien wird zusammen feiern", sprach Neymar in seiner Videobotschaft. Und seine Teamkollegen schworen, ihm seinen größten Wunsch zu erfüllen.

Zweifelsohne wird der Ausfall Neymars, der in seiner medialen Inszenierung beinahe Märtyrer-Züge annimmt, die Selecao noch stärker zusammenschweißen, Team und Fans einander noch näher bringen. Der emotionale Schub, die Trotz-Reaktion ist gewaltig. Doch ob Scolaris Elf deshalb auf dem Platz nochmals zusätzliche Kräfte mobilisieren kann, bleibt fraglich.

Schon in den ersten Spielen zeigte sich: Brasilien spielt emotional bereits am Limit. Der Druck ist unmenschlich, die psychische Belastung enorm. So auch die Motivation, die die Spieler aus ihr ziehen. Genauso wie Angst im Zweifels- und Erleichterung im Erfolgsfall, wie der fanatische Jubel von David Luiz gegen Kolumbien zeigte.

Den Teamgeist wird Neymars Ausfall also gewiss beflügeln, die Opferbereitschaft auf dem Platz hingegen scheint bereits auf dem Gipfel. Auch gegen Kolumbien bewies die Selecao abermals eine außergewöhnliche Form der Galligkeit, die es dem Gegner kaum ermöglichte, ein geordnetes Angriffsspiel aufzuziehen. An Einsatz und Hingabe fehlte es den Brasilianern bisher nie.

Dazu präsentierte sich Scolaris Elf stets effektiv. Trotz diverser Defizite - hierauf wird noch einzugehen sein - kämpfte sich Brasilien ins Halbfinale. Ob verdient, glücklich oder schmutzig, ist egal. Die Zeiten des "jogo bonito" sind vorbei. Der Stellenwert eines Titels bei der Heim-WM wäre mit nichts vergleichbar, Schönspielerei braucht es dafür nicht.

"Die Brasilianer sind hier nicht die Zauberer, die Mannschaft hat sich verändert, die spielen anders als früher", erkannte auch Bastian Schweinsteiger. Heutzutage greift die Selecao lieber zu klassischen, effizienteren Stilmitteln. So fielen alle drei Tore in der bisherigen K.o.-Runde nach Standards.

Neben Effektivität beweist die Selecao auch Geschick. Taktische Fouls sind wie schon beim Confederations Cup 2013 Teil der Methode. Mit zehn Gelben Karten führt Brasilien die Sünderkartei an, dazu wurde die Rate an Fouls über das Turnier sukzessive gesteigert: Vom Auftaktspiel über Kroatien (fünf Fouls) über Mexiko (13), Kamerun (19) und Chile (28) bis hin zum Höhepunkt gegen Kolumbien (31 Fouls).

DFB-Chefscout Urs Siegenthaler hatte schon vor dem Turnier vor diesem Mittel gewarnt: "Ich habe das eigens bei der FIFA angesprochen. Wenn die Schiedsrichter da nicht durchgreifen, dann ist der Pokal vergeben. Beim Confed Cup wurden bis zu 90 Prozent der gegnerischen Gegenstöße von den Brasilianern durch taktische Fouls unterbunden", sagte er der "Frankfurter Rundschau".

2013 wütete schon Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque nach dem verlorenen Finale über die Spielweise des Gegners: "Brasilien hat eine Reihe nicht bösartiger Fouls begangen. Das war eine Strategie, die sich durch das ganze Spiel zog. Damit kam kein Spielfluss auf."

Dieses Element von Scolaris Taktik ist eng verbunden mit der Rolle der Schiedsrichter: "Es gehört natürlich auch Mut dazu, vor 80.000 Zuschauern einem brasilianischen Spieler wegen zwei taktischen Fouls Gelb-Rot zu zeigen", kündigte Siegenthaler bereits an.

Und tatsächlich lassen die Schiedsrichter bei dieser WM außergewöhnlich viel durchgehen. Schon bei Gelben Karten halten sie sich vornehm zurück und verteilen oft lediglich gestenreiche Ermahnungen. Laut "Bild" habe Schiri-Chef Massimo Busacca die Referees sogar angewiesen, möglichst lange auf Verwarnungen zu verzichten. Eine Gangart, die Spieler zu kleinen, aber wichtigen Fouls einlädt und besonders den brasilianischen Hochfrequenz-Foulern zugute kommt.

Spielweise und Personal: Fehlender Fixpunkt

Stärken: Effizienz, Teamgeist und haufenweise Fouls

Schwächen: Kein Plan B, kein Ersatz und: Fred

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