Heidenheims gemächlicher Durchmarsch

Von Martin Jahns
Michael Thurk ist seit letztem Winter für den 1.FC Heidenheim am Ball
© Imago

Seit 2007 gelang dem 1. FC Heidenheim der Sprung vom Kleinstadt-Amateurverein zu einem professionell geführten Drittligisten. Spätestens mit der Verpflichtung von Michael Thurk in der vergangenen Winterpause machte der Klub unmissverständlich klar, dass als nächster Schritt der erstmalige Aufstieg in die 2. Liga ansteht. Doch wie gelang den Heidenheimern diese furiose Entwicklung?

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Beim Blick auf die aktuelle Drittliga-Tabelle dürfte dem geneigten Fußballinteressierten eine Frage in den Sinn kommen: Was haben baden-württembergische Provinzstädte eigentlich, was Hof, Schwerin oder Castrop-Rauxel nicht haben? Sandhausen, Aalen und Heidenheim klopfen mit Macht an die Tür zur 2. Liga, und vor allem bei den Heidenheimern hat das wenig mit einem Fußballwunder oder einer einmaligen Traumsaison, als vielmehr mit langfristiger, guter Arbeit, einer besonnenen Führung und nicht zuletzt einem finanzstarken Umfeld zu tun.

Bisher verband die Bundesliga mit Heidenheim lediglich ein Brüderpaar, das in der Jugend in der 50.000-Einwohner-Stadt die Töppen schnürte: Andreas und Michael Zeyer verdienten sich vor allem in den 90er Jahren beim SC Freiburg in der Bundesliga ihre Sporen. Andreas Zeyer ist noch immer der Rekordbundesligaspieler der Breisgauer. Ansonsten war Fußball in Heidenheim an der Brenz Amateurvergnügen.

Seit der Gründung der Turngemeinde Heidenheim, auf die sich der heutige 1. FC Heidenheim als Vorgängerverein beruft, gingen über 160 Jahre ins Land, in denen der Aufstieg in die erste Amateurliga 1955 das einzige Highlight der Klub-Historie blieb. Doch in den letzten Jahren ist der 1. FC Heidenheim fast unbemerkt aus dem Dornröschenschlaf erwacht, stieg 2008 aus der Oberliga in die Regionalliga, 2009 von dort in die 3. Liga auf.

FCH: Mittelfristig nach oben

Für bundesweites Aufsehen sorgten die Heidenheimer erstmals im DFB-Pokal, als sie mit dem 2:1-Erstrundensieg gegen Werder Bremen im Juli 2011 Potenzial erahnen ließen. In der zweiten Runde taten sich Lucien Favres Gladbacher in Heidenheim schwer und gewannen erst im Elfmeterschießen. In der 3. Liga steht Heidenheim inzwischen auf Rang vier und damit weit vor Teams wie Wehen-Wiesbaden oder dem VfL Osnabrück, die von den Trainern vor der Saison zu den Aufstiegsfavoriten erkoren wurden.

Aus dem örtlichen Amateurverein, den es in dieser Form wohl zigfach in Deutschland gibt, ist ein Klub mit professionellen Strukturen, einem modernen Stadion und ambitionierter Transferpolitik geworden. Schon ein Blick auf die Vereins-Homepage macht klar, dass es für den FCH mittelfristig nach oben gehen soll: Die 2009 modernisierte Voith Arena lockt mit Sekt-Empfängen und als Austragungsort für Firmen-Events, die Jugendakademie wirbt im Stile eines Wirtschaftsunternehmens um junge Talente.

Die Kraft der Region

Der Macher hinter dieser Professionalisierung ist Holger Sanwald. Der CDU-Kommunalpolitiker trieb 2007 die Abspaltung der Fußballabteilung vom Sportbund Heidenheim voran, nachdem dieser das finanziell anspruchsvolle Husarenstück Regionalliga nicht mitangehen wollte. Seitdem ist es Sanwald gelungen, sowohl die Stadt, wie etwa beim Stadionumbau, als auch die regionale Wirtschaft für den Verein zu gewinnen.

Die Heidenheimer Unternehmen Hartmann und Voith machen jährlich Milliardenumsätze und führen einen Sponsorenpool an, der auch einem Zweitligisten gut zu Gesicht stünde. "Die Begeisterung in der Region ist so groß, dass wir uns um Sponsoren keine Sorgen machen", so Geschäftsführer Holger Sanwald zum "Kicker". In der letzten Mitgliederversammlung präsentierte der Verein eine schwarze Null im Finanzbericht.

Im finanziellen Haifischbecken 3. Liga eine Rarität. Nicht nur wirtschaftlich, auch sportlich setzt Heidenheim auf die Kraft der Region. Trainer Frank Schmidt lernte als Kind das Fußballspielen im Nachbarort Giengen. Seit 2007 ist Schmidt nun im Amt und führte den Verein Liga um Liga nach oben. Der benachbarte VfR Aalen verschliss während dieser Zeit ganze sechs Trainer.

Zudem sind ein Großteil der Spieler im Kader Baden-Württemberger. Linksverteidiger Ingo Feistle kickte bereits 2005 zu Oberliga-Zeiten für Heidenheim gegen Vereine wie Normannia Gmünd oder den FV Lauda. Im Winter kamen zudem Michael Thurk nach dessen Vertragsauflösung beim FC Augsburg und Patrick Mayer auf Leihbasis. Die Transfers glichen einer Kampfansage an die Konkurrenz, doch sie war keineswegs teuer erkauft.

Thurk: "Heidenheim hat mich überzeugt"

Beide Spieler kamen ablösefrei. "Ich kann sagen, dass alle Neuzugänge sehr leistungsorientierte Verträge unterschrieben haben. Außerdem hatten wir durch den Sieg im DFB-Pokal gegen Werder Bremen und dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach Mehreinnahmen, die wir nun in die Mannschaft reinvestieren können", so Sanwald.

Gegenüber "11Freunde" erklärte Thurk, warum er den Gang zwei Ligen tiefer auf sich genommen hat: "Es gab viele Anfragen, auch aus der zweiten Liga und meiner Heimat Frankfurt, doch Heidenheim hat mich überzeugt. Wir haben große Ziele hier, vielleicht packen wir schon im Sommer den Aufstieg."

Die Mischung in der Mannschaft scheint zu stimmen: Mit Thurk und dem diese Saison ebenfalls verpflichteten Nico Frommer stützen zwei Routiniers einen Kader, der größtenteils aus Spielern zwischen 23 und 27 Jahren zusammengesetzt ist. Und der Verein plant langfristig: Neben Frommer haben auch Verteidiger Tim Göhlert und Ingo Feistle ihre Verträge bereits verlängert.

Knüppeldickes Restprogramm wartet

Netter, aber wirtschaftlich nicht unbedeutender Nebeneffekt der Kaderplanung: Das Identifikationspotenzial der Fans mit der Mannschaft ist enorm. Mit durchschnittlich über 6400 Zuschauern pro Spiel liegt der Schnitt noch über dem von Traditionsvereinen wie dem 1. FC Saarbrücken oder Rot-Weiß Erfurt und bedeutend höher als beim VfR Aalen und dem SV Sandhausen. Doch sportlich läuft im Aufstiegskampf nicht alles nach Plan. Auswärts ist Heidenheim in dieser Saison eher graues Mittelmaß als Aufstiegskandidat.

Lediglich drei Siege stehen in 16 Spielen zu Buche. Kein anderer Aufstiegsaspirant hat eine derart schlechte Auswärtsbilanz. Beim abgeschlagenen Tabellenletzten Werder Bremen II verspielte der FCH in den letzten zwei Minuten noch eine 1:0-Führung und verlor am Ende noch mit 1:2. Zudem plagen die Heidenheimer schon über die gesamte Saison erhebliche Verletzungssorgen.

Neben Frommer, der sich nach seinem fulminanten Start mit fünf Toren aus sieben Spielen einen Innenbandriss zuzog und bis Ende März ausfiel, fehlen auch die Hinrunden-Stammspieler Andreas Spann und David Schittenhelm. Patrick Mayer hat sich nach einem Tor und vier Vorlagen in fünf Spielen einen doppelten Bänderriss zugezogen und fällt auf unbestimmte Zeit aus.

Zudem bleibt ein knüppeldickes Restprogramm: In den verbleibenden sechs Begegnungen warten vier Teams, die um den Aufstieg kämpfen. Am letzten Spieltag müssen die Heidenheimer zum derzeitigen Tabellenführer SV Sandhausen reisen. Dann könnte der 1. FC Heidenheim trotz der Verletztenmisere den nächsten Schritt einer bemerkenswerten Entwicklung gehen - ganz geregelt natürlich.

Der Kader des 1. FC Heidenheim im Überblick

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