"Man ist eigentlich nie fertig"

Sebastian Kehl spielte von Januar 2002 bis Juni 2015 für Borussia Dortmund
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SPOX: Braucht es denn wirklich die zahlreichen sinnfreien Social-Media-Posts oder beispielsweise ein Rap-Video, in dem Pierre-Emerick Aubameyang und Marco Reus zu sehen sind?

Kehl: Das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Als Spieler hat man heute mittels der sozialen Medien die Möglichkeit, eine eigene Marke zu kreieren, seinen Marktwert zu steigern und eine enorme Reichweite zu erzielen. Auch früher gab es die vermeintlich verrückten Spieler, die haben dann halt bis vier Uhr morgens Karten gezockt.

SPOX: Das war aber nicht öffentlich.

Kehl: Weil es eine andere Generation war. Der Wandel der Zeit bringt solche Entwicklungen eben mit sich.

SPOX: Ist es für einen Spieler noch erstrebenswert, angesichts der vielen Annehmlichkeiten die eigene Komfortzone zu verlassen?

Kehl: Ich glaube weiterhin, einige Spieler bekommen nach dem Karriereende Probleme zu realisieren, dass das normale Leben mit der Fußballwelt nicht mehr viel gemeinsam hat. Es gibt Spieler, die sich extrem daran gewöhnt haben, dass ihnen alles abgenommen wird - durch den Verein, den Berater, die Familie. Es gibt aber auch genügend Spieler, die ihr Leben in die Hand nehmen, eine hohe schulische Ausbildung genossen haben und in der Lage sind, selbst eine Überweisung zu tätigen oder einen Flug zu buchen. Auch da hat sich viel getan und man sollte nicht zu sehr pauschalisieren.

SPOX: Bei der UEFA bekommen Sie nun erklärt, wie Themen wie die 50+1-Regel oder die Vermarktung der TV-Gelder genau funktionieren. Wie sehr ist man denn als Profi mit diesen Angelegenheiten konfrontiert?

Kehl: Man hat eine Meinung dazu, die jedoch relativ oberflächlich ist. Ein Fußballer muss nicht wie ein Verein, ein Verband oder die Liga denken. Daher ist man weit davon entfernt, sich ernsthaft damit auseinander zu setzen und Vor- und Nachteile der einzelnen Aspekte abzuwägen, auch im internationalen Vergleich. Der komplette Hintergrund ist somit eher vage.

SPOX: Sie wollen das nun mittels des Studiums für sich ändern.

Kehl: Genau. Es ist total spannend und hilft mir, viele Themen, die im Fußball eine immer wichtigere Rolle spielen, noch einmal auf eine andere Art und Weise kennen zu lernen. Es gibt nun mal im Ecosystem Fußball so viele unterschiedliche Interessensvertretungen, da spielt so viel mit hinein. Ich schärfe damit meine eigene Meinung und bekomme ein größeres Bild, um Sachlagen wie zum Beispiel die 50+1-Regel, das Transfersystem oder das Zustandekommen von TV-Verträgen intensiver zu verstehen.

SPOX: Zementierte Tabellen, häufig dieselben Teams im Champions-League-Viertel- oder Halbfinale, die Rufe nach einer Superliga - haben Sie den Eindruck, der heutige Fußball ist übersättigt?

Kehl: Die Zuschauerzahlen bleiben konstant, die Abonnentenzahlen und TV-Gelder steigen - das würde nicht funktionieren, wenn es keinen Markt dafür gäbe. Das Interesse in den Fußball ist weiterhin riesig, so dass die UEFA nun beispielsweise mit neuen Wettbewerben wie der Nations League darauf reagiert.

SPOX: Dieser Markt scheint sich jedoch von der Basis zu entfernen, wenn man ihn mit dem Zustand von vor 20 Jahren vergleicht.

Kehl: Aber woran machen wir fest, ob sich der Markt von der Basis entfernt hat? Weil vor 20 Jahren geringere Gelder gezahlt wurden?

SPOX: Von 80.000 Plätzen bei einem Champions-League-Finale werden nur die Hälfte von den Anhängern beider Vereine besetzt und der Rest wird unter Geschäftsleuten aufgeteilt, die das entsprechende Budget mitbringen. In England ist diese Entwicklung bereits weit fortgeschritten.

Kehl: Selbstredend befindet man sich dabei auch in einem Spagat, den man bewältigen muss. Einerseits wollen wir hier in Deutschland attraktive Spieler und Begegnungen, so dass wir mit anderen Märkten konkurrieren können. Dafür braucht man aber Geld, da Wettbewerbsvorteile mancher Mitkonkurrenten kompensiert werden müssen. Deshalb ist es der Anspruch besonders der großen Vereine, der Musik nicht hinterher zu laufen. Dadurch geht die Schere innerhalb der Ligen jedoch auch wieder ein Stückchen weiter auseinander, ganz klar.

SPOX: Was also tun?

Kehl: Zum Beispiel sollte bei der neuen Vergabe der TV-Gelder ein Schlüssel gefunden werden, der die Solidarität innerhalb der Liga beibehält. Das wird nicht leicht, da es viele Interessen gibt und man bestimmt nicht alle Klubs auf einmal glücklich machen kann. Denn eines ist auch klar und sicherlich nicht im Interesse vom FC Bayern oder Borussia Dortmund: dass die Bundesliga am Ende langweilig und eintönig wird. Es gilt, kompromissbereit zu sein und mit Augenmaß zu hantieren, um sich eben nicht von der Basis zu entfernen. Der Fan ist ein ganz wichtiger Bestandteil innerhalb des Fußballzirkus und soll das natürlich auch bleiben.

SPOX: Dass diese Komponente stärker zum Tragen kommt, ist ja auch eines der Argumente des kürzlich gegründeten "Team Marktwert".

Kehl: Selbstverständlich sollten bei der Verteilung die sportlichen Erfolge der Vereine den größten finanziellen Ausschlag geben. Den Ansatz der Traditionsklubs, aufgrund höherer Zuschauerzahlen eine größere Zahl an Leuten zu erreichen und damit mehr für den Fußball innerhalb des Landes zu tun, halte ich für legitim und fair. Es sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, ein Modell zu finden, bei dem die Gewichtung eine Rolle spielt, welcher Verein bei Fans und Abonnenten mehr zum Produkt Bundesliga beiträgt. Ich glaube auch, dass dies am Ende so umgesetzt wird.

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