"Warum tritt er überhaupt zurück?"

Oliver Kirch kam 2012 vom 1. FC Kaiserslautern zu Borussia Dortmund
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SPOX: In der Zeit vor dem Madrid-Highlight standen Sie oftmals nicht im Kader und mussten einige Nackenschläge verkraften. Mit welchen Augen sehen Sie nun einen Mitspieler wie Milos Jojic, der nun schon seit längerer Zeit eine ähnliche Durststrecke durchmachen muss?

Kirch: Ich habe schon häufiger mit ihm darüber gesprochen, weil dir in solch unschönen Situationen wenige Leute wirklich helfen können. Allerdings muss man in erster Linie selbst dafür sorgen, dass einem nichts vorgeworfen werden kann. Du darfst dir im Training nichts zu Schulden kommen lassen und musst versuchen, dich so gut es geht bei Laune zu halten. Das ist nicht immer einfach, aber irgendwann wird ganz sicher die nächste Chance kommen - und dann musst du da sein. Das ist in meinen Augen der einzige Ausweg in einer solchen Phase.

SPOX: Den Ausweg sucht auch Jürgen Klopp nach Ende der Saison. Wie überraschend kam denn sein Rücktritt für Sie?

Kirch: Zu dem Zeitpunkt total überraschend. Das hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten. Dass er sich im stillen Kämmerlein ab und zu auch einmal seine Gedanken macht, damit konnte man sicherlich rechnen. Die Saison tat ihm weh und ging nicht spurlos an ihm vorüber. Ich habe gehofft, dass es letztlich nicht passieren wird. Nun muss man seine Entscheidung einfach respektieren - auch wenn es jetzt wieder wunderbar bei uns läuft und sich alle irgendwie fragen: Warum tritt er überhaupt zurück?

SPOX: Hatten Sie eher gedacht, dass er nach der durchwachsenen Saison so ehrgeizig ist, diese sportliche Scharte persönlich wieder auswetzen zu wollen?

Kirch: Ich denke, es muss sich jetzt einfach etwas verändern. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass der Verein einen größeren Schnitt plant. Unter diesen Voraussetzungen dann auf die nächste perfekte Saison zu warten und erst danach aufzuhören, ist sehr schwierig. Man hat ja nie eine Garantie dafür, dass es in der nächsten Saison wieder einfacher wird. Möglicherweise würde es sogar noch schwieriger, wer weiß das schon?

SPOX: Wie haben Sie denn von der Entscheidung erfahren?

Kirch: Ich habe seinen Abschied quasi gegoogelt (lacht). Ich war noch verletzt und absolvierte an diesem Tag in Maastricht und Barcelona zwei PR-Termine für einen Sponsor. Auf der Messe in Barcelona kam ein Besucher auf mich zu, der ein Autogramm wollte. Er fragte mich, was ich denn dazu sage und meinte, das könne doch alles gar nicht wahr sein. Ich wusste zunächst von nichts und habe erst einmal das Handy gezückt, um mich im Internet selbst davon zu überzeugen.

SPOX: Das heißt, Sie waren nicht mit dabei, als Klopp seinen Abschied auch vor der Mannschaft verkündete?

Kirch: Nein. Ich bin erst relativ spät am Abend wieder nach Hause gekommen.

SPOX: Wie war Ihr erster Eindruck, nachdem sie sich wieder über den Weg gelaufen sind?

Kirch: Man hätte sicherlich annehmen können, dass es eine komische Situation oder Atmosphäre sein wird. Doch im Gegenteil, die Stimmung war relativ gelöst. Vom Trainer ging Lockerheit aus. Das kennt man ja: Sobald eine Entscheidung - in welcher Art auch immer - gefällt ist, fühlt man sich freier im Kopf. Diesen Eindruck hatte ich dann auch von ihm.

SPOX: Seit Klopps Verkündung läuft es beim BVB wieder rund, man gewann fünf von sieben Pflichtspielen. Wenn Ihnen jemand im Februar gesagt hätte, der BVB werde drei Monate später im Pokalfinale stehen und Chancen auf Europa haben, was hätten Sie demjenigen entgegnet?

Kirch: Wo kann ich unterschreiben? (lacht) Wir sind uns alle im Klaren darüber, dass diese Saison zu großen Teilen sehr, sehr bescheiden verlief. Im Endeffekt zählt aber oft auch der letzte Eindruck. Wir kommen vom absoluten Nullpunkt, haben uns im Laufe der Rückrunde aber so nach oben gekämpft, dass wir nun die Chance haben, die Saison mit einem i-Tüpfelchen zu beenden. Gelingt uns das, dann hätten wir eine versöhnlichere Saison gespielt als vielleicht sogar der eine oder Verein, der vor uns steht.

SPOX: Wie geht es denn dann mit Ihnen weiter? Sie besitzen ja noch einen Vertrag bis 2016. Als Sie 2014 um zwei Jahre verlängerten, fanden die finalen Gespräche erst im letzten Vertragsjahr statt.

Kirch: Wir haben bisher noch nicht gesprochen. Ich muss jetzt erst einmal schauen, wieder heranzukommen. Da schiele ich vor allem auch auf die nächste Saison, um mich dann von Beginn an wieder präsentieren zu können. Zumal die Kaderplanung für 2016/2017 noch weit weg ist. Ich denke, dass wir uns gegen Ende meiner Vertragslaufzeit wieder unterhalten werden.

SPOX: Gab es bereits Kontakt zu Thomas Tuchel?

Kirch: Nein, aktuell nicht. Wir haben uns aber vor drei, vier Jahren schon einmal getroffen, da ging es noch um einen möglichen Wechsel zu Mainz 05.

SPOX: Aus Dortmunder Sicht übernimmt Tuchel im Idealfall den amtierenden Pokalsieger. Was glauben Sie wäre los, wenn Jürgen Klopp mit dieser Trophäe den Verein verlassen würde?

Kirch: Totale Eskalation! Ich bin davon überzeugt, dass dann eine Feier abgehen würde, die alles bisher in der Stadt Dagewesene sprengt. Diese Bilder haben wir auch alle schon im Kopf. Jeder Einzelne würde es ihm von Herzen gönnen.

Seite 1: Kirch über seine Seuchen-Saison, die 20-Prozent-Quote und seinen Ruf

Seite 2: Kirch über Jojics Schicksal, den Klopp-Rücktritt und seine Zukunft

Oliver Kirch im Steckbrief

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