Aus Mangel an Reife

Von Kommentar: Stefan Rommel
Kevin Kuranyi
© Imago

Kevin Kuranyi ist nicht länger deutscher Nationalspieler. Seinem unrühmlichen Abgang am Rande des WM-Qualifikationsspiel in Dortmund folgte der Rauswurf durch Joachim Löw. Was ist vom Verhalten des Schalker Stürmers zu halten? Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Stefan Rommel.

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Mitten in die Feierlichkeiten nach dem 2:1-Sieg gegen Russland platzte die Nachricht vom Verschwinden Kevin Kuranyis aus dem Dortmunder Signal-Iduna-Park und von seinem angeblichen Rücktritt aus der Nationalmannschaft noch in der Nacht auf Sonntag.

Seitdem beschäftigt Kuranyis ungewöhnlicher Abgang mehr als das wichtige WM-Qualifikationsspiel, mit der Konsequenz, dass sich Bundestrainer Joachim Löw eine weitere Zusammenarbeit mit Kuranyi beim DFB nicht mehr vorstellen kann.

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"In Zukunft nicht mehr nominieren"

"Ich kann seine Enttäuschung verstehen, aber die Reaktion, die dann am Abend passiert ist, ist nicht akzeptabel und verständlich", echauffierte sich der Bundestrainer und fasste den folgerichtigen Entschluss: "Ich werde Kevin Kuranyi nicht mehr nominieren. Dass ein Spieler nach dem Spiel nicht mit der Mannschaft zurückkehrt und sein Zimmer räumt, kann man nicht tolerieren."

Es bleiben offene Fragen: Wieso hat Kuranyi so reagiert? Und warum äußert er sich nicht zur Angelegenheit?

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Infantiler Trotz

Eine realistische, kritische Selbsteinschätzung offenbart Kuranyis Aktion nicht. Dass er nach seiner Übersprungshandlung auch bis Sonntagnachmittag für niemanden - außer offenbar seinen Berater Roger Wittmann - zu erreichen war, gibt der Sache einen peinlichen Anstrich.

Hätte man noch darüber streiten können, ob Kuranyi jetzt mündig sein Schicksal in die Hand nimmt und sein Dasein als Lückenbüßer selbst beenden will, erscheint die Ignoranz gegenüber seinen mittlerweile ehemaligen Vorgesetzten aus dem DFB-Tross wie infantiler Trotz.

Den Teamkollegen gegenüber war die überstürzte "Abreise" ein Affront - dabei hatte Löw ihn noch vor der Partie gebeten, er solle trotz aller verständlicher Enttäuschung über seine Nichtberücksichtigung für den 18er Kader gegen Russland noch mal eine Nacht drüber schlafen und keine Überreaktion zeigen. Löws Worte verhallten offenbar ungehört.

Von einem 26-Jährigen mit der Erfahrung von über 200 Liga- und mehr als 50 Länderspielen, der in seinem Verein auch gerne zum Kreis der Führungsspieler gehören will, ist deutlich mehr zu erwarten.

Sportlich nachvollziehbare Entscheidung

Seine persönlichen Dinge aus dem Teamhotel in Düsseldorf nicht selbst, sondern von zwei Bekannten abholen zu lassen, passt da ins Bild. Vielleicht gibt es dafür auch eine plausible Erklärung. Nur sollte Kuranyi diese dann auch kundtun, anstatt wilden Spekulationen weiter Tür und Tor zu öffnen.

Viele sehen Kuranyi in der Opferrolle, er sich selbst als Sündenbock. Im Verein und in der Nationalmannschaft. Vor der WM 2006 wurde er ausgebootet, danach war er hinter Lukas Podolski und Miroslav Klose allenfalls dritte Wahl, am Samstag gegen die Russen nur noch Stürmer Nummer fünf und deshalb nur auf der Tribüne.

Löws Entscheidung, auf einen seiner fünf Angreifer zu verzichten, war logisch. Da sich der Bundestrainer für die in der Nationalelf bisher recht gut harmonierenden Klose und Podolski entschied und mit Patrick Helmes und Mario Gomez zwei Ersatzleuten vertraute, deren Leistungen und Torquoten in dieser Saison über jeden Zweifel erhaben ist, blieb nur Kuranyi übrig.

Jener Kuranyi, der bis vor Wochenfrist selbst in einer Sinnkrise steckte und bei einem nicht unerheblichen Teil der eigenen Fangemeinde einen schweren Stand hatte. Sportlich also eine nachvollziehbare Entscheidung von Löw.

Schlechtes Bild

Natürlich hatte auch Kuranyi starke Auftritte im DFB-Dress. Erinnert sei an seine beiden Tore zum 2:1-Sieg in der EM-Qualifikation gegen Tschechien. Aber das ist mehr als eineinhalb Jahre her. Ein vorzügliches Spiel alle zwei Jahre reicht aber nicht.

Im Endeffekt erübrigt sich aber selbst die Leistungs-Diskussion, da einzig und allein der Bundestrainer für Personal und Aufstellung verantwortlich ist. Und wenn man mit dessen Entscheidungen nicht einverstanden ist, zieht man - wie Kuranyi - die Konsequenzen.

Das ist sein gutes Recht. Die Art und Weise aber wirft ein sehr schlechtes Bild auf ihn. Und ganz nebenbei auch auf seinen Verein und seine Werbepartner.

Unprofessionelles Verhalten

Schon auf Schalke machte Kuranyi letzte Saison mit dem verweigerten Handschlag gegen seinen Trainer Mirko Slomka von sich reden, brachte Schalke am Tag des wichtigsten Triumphs der letzten Jahre - beim Einzug ins Champions-League-Viertelfinale - negativ in die Schlagzeilen und Slomka einige Wochen später zu Fall.

Sein Berater Roger Wittmann versuchte im "DSF" noch zu retten, was schwerlich zu retten ist. Die mehr oder weniger lustigen Spots für den nussigen Brotaufstrich mit Kuranyi im DFB-Dress werden in Zukunft kaum noch oft über den Bildschirm flimmern.

Die Assoziation ist einfach zu negativ, Kuranyi taugt als Sympathieträger nur noch bedingt für das Produkt.

Der 26-Jährige hat eine menschlich nachvollziehbare Reaktion gezeigt. Aber er hat sich nicht verhalten wie ein Profi. Der Zeitpunkt zwischen zwei wichtigen Qualifikationsspielen ist gelinde gesagt unglücklich.

Und er hat es immer noch nicht für nötig befunden, Licht ins Dunkel zu bringen und auch öffentlich zu seiner Entscheidung zu stehen.

"Trotz mehrerer Versuche haben ihn Oliver Bierhoff und ich bisher telefonisch nicht erreicht. Es besteht für uns noch Klärungsbedarf und danach werden wir uns noch einmal abschließend äußern", sagte Löw am Sonntagmorgen.

Kurze Zeit später beendete der Bundestrainer die Ehe zwischen Kevin Kuranyi und dem DFB.

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