Nicht elegant - aber ehrlich

Von Thomas Gaber
Andreas Ottl (l. mit Mario Gomez) spielt seit 1996 für den FC Bayern München
© Getty

Andreas Ottl kämpft seit Jahren um sportliche Anerkennung beim FC Bayern. Bei seinem womöglich letzten Versuch in München "profitierte" er vom Verletzungspech der Konkurrenz und überzeugt seitdem auf eine Art, die ihn für Trainer van Gaal derzeit unverzichtbar macht.

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Werner Kern strahlt. Er hört nicht auf zu reden, besser: er hört nicht auf zu schwärmen. Eine Heimatfilm läuft vor seinen Augen ab, wenn der Jugendleiter des FC Bayern München über Andreas Ottl spricht.

"Mei, der Andi, so a liaber Bua. Der war schon immer ein Musterprofi. Wenn andere nach dem Training ins Kino gegangen sind, hat er auf einem Platz mit Eisentoren hinter dem Trainingsgelände weitergekickt. Der Andi und der Philipp hatten nur Fußball im Sinn."

Mit Philipp ist Philipp Lahm gemeint, Ottls Bezugsperson aus gemeinsamen Zeiten in der Jugend beim FC Bayern. Beide sind in München aufgewachsen, beide kamen mit elf Jahren zum FCB, beide wohnten im Jugendinternat an der Säbener Straße, beide wollten beim größten deutschen Verein groß rauskommen. Heute haben beiden denselben Berater und Ottl war als einziger aktueller Bayern-Spieler zu Lahms Hochzeit Mitte Juli eingeladen.

Wie Lahm vermittelt Ottl das Selbstverständnis dieses Vereins auf einfache, aber prägnante Art. "Ich bin hier groß geworden. Mir wurde das eingeimpft", sagt Ottl.

Umweg Nürnberg

Sportlich sind beide auf unterschiedlichen Wegen unterwegs. Lahm ist seit Jahren Stammspieler in München und Vize-Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Der FC Barcelona wollte ihn mehrfach, auch englische Topklubs klopften an. Ottl kämpft dagegen um Anerkennung, seit er für die Profis spielt.

2005 machte er sein Debüt in der ersten Mannschaft. In der Saison 2006/07 stand er in der Bundesliga 17 Mal in der Startelf - der Durchbruch war das nicht. Es folgten sieben Startelf-Einsätze 2007/08 und sechs in der darauffolgenden Saison. Sein Talent schien nicht ausreichend, um beim FC Bayern Karriere zu machen.

Nach gerade mal 151 Bundesliga-Minuten unter Louis van Gaal ließ sich Ottl im Januar 2010 an den 1. FC Nürnberg ausleihen. Beim Club war Ottl sofort Leitwolf im Mittelfeld, demonstrierte ein Stück der Bayern-Selbstsicherheit und schoss die Franken mit seinem Tor im letzten Saisonspiel gegen Köln überhaupt erst in die Relegation.

Ottl: "Ich habe lange gewartet"

Nürnberg hätte ihn gerne verpflichtet, doch Ottl wollte einen letzten Versuch in München starten. Die Saison begann ähnlich unerfreulich, er schaffte es nicht jedes Mal in den 18-Mann-Kader.

Die Verletztenmisere spülte ihn Mitte Oktober in die Mannschaft. Seitdem stand er neun Mal in der Startelf und hat acht Spiele über die volle Distanz gemacht. Er tut das, was er immer getan hat, wenn er eine Chance bekam bei Bayern: er liefert ehrliche Arbeit ab.

Ottl ist kein eleganter Spieler, seine Ballbehandlung wirkt bisweilen hölzern, sein Umschalten behäbig. Er ist kein Mann fürs Spektakel, der Querpass hat Priorität. Aber Ottl er hat mit seiner mannschaftsdienlichen Spielweise, klugem Zweikampfverhalten und Einsatz dazu beigetragen, dass der FC Bayern seit neun Spielen ungeschlagen ist.

"Ich habe lange auf meine Chance gewartet. Jetzt drin im Team und zufrieden, wie es derzeit läuft: für die Mannschaft und für mich", sagte Ottl im Gespräch mit SPOX.

Van Gaal voll des Lobes

Ottl profitiert von seiner Anpassungsfähigkeit. Bastian Schweinsteiger hielt er als Partner auf der Doppelsechs den Rücken frei, Schweinsteiger war für den Spielaufbau zuständig. Seitdem er neben Anatolij Tymoschtschuk spielt, nimmt Ottl öfter die ersten Bälle aus der Viererkette entgegen.

"Die Rollen waren mit Basti klar verteilt. Neben Tymo spiele ich etwas anders. Ich habe mehr Ballkontakte im Aufbau und je mehr ich spiele, desto größer wird mein Selbstvertrauen, auch die Risikobälle nach vorne zu spielen", sagt Ottl.

Bei den Mitspielern genießt Ottl seit jeher eine hohe Wertschätzung, weil er sich nie über seine Reservistenrolle beklagt hat und stattdessen im Training Gas gibt. Mittlerweile will auch Louis van Gaal nicht auf seine Dienste verzichten.

"Er macht alles, was ich will. Er führt aus, was ich will und wir haben alles gewonnen. Er macht das Beste für die Mannschaft. Wenn jeder seinen Job so macht, sind wir eine starke Mannschaft", sagt der Trainer.

"Gebe meinen Platz nicht freiwillig her"

Ottl nimmt van Gaal durch seine guten Leistungen zusätzlich Arbeit bei der Integration der Rekonvaleszenten ab. "Es ist gut für die verletzten Spieler, dass sie nicht gleich wieder spielen müssen. Wenn Mark van Bommel zurückkommt, hat er sechs Wochen keine Minute gespielt. Es ist gut für ihn, dass er sich mehr Zeit nehmen kann", so der Coach.

Ottl ist zu oft enttäuscht worden beim FC Bayern, als dass er seine Situation nicht realistisch einschätzen könnte. "Ich weiß, dass ich nur durch Leistung im Team bleibe. Die Konkurrenz ist riesig, aber ich bin beim FC Bayern angestellt, um den Kampf aufzunehmen. Momentan bin ich im Team und werde meinen Platz nicht freiwillig hergeben."

Manchmal läuft Ottl mit seiner unauffälligen Art auf dem Platz Gefahr, übersehen zu werden. Vielleicht macht ihn aber gerade diese Fähigkeit derzeit so wertvoll für die Bayern.

Andreas Ottl im Steckbrief

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