Hamburg wankte, Bremen fiel

Von Stefan Moser
Werder Bremens Torsten Frings schämte sich für die Leistung im Nordderby beim Hamburger SV
© Getty

Wieder einmal präsentierte sich Werder Bremen auswärts wie ein Absteiger und schämte sich anschließend für die eigene Leistung. Das umgebaute Team des Hamburger SV dagegen setzte mit dem 4:0-Sieg ein Zeichen - keine Sekunde zu früh. Am Sonntag soll außerdem Frank Arnesen als neuer Sportdirektor vorgestellt werden.

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Ganze zwei Sätze lang hörte sich Sportchef Klaus Allofs tatsächlich so an, als hätte Werder Bremen das Nordderby beim HSV gewonnen: "Die Hamburger waren nach der Niederlage gegen St. Pauli heute sehr verunsichert. Nach 30, 35 Minuten hatten wir sie schon so weit, dass die Zuschauer gepfiffen haben."

Tatsächlich agierte der HSV in der ersten Hälfte zwar diszipliniert, im Spiel nach vorne aber bieder und gehemmt. Und tatsächlich hatten sich Teile der Fans als Wiedergutmachung für die Pleite im Stadtderby wohl mehr Leidenschaft und Poesie erwartet - und quittierten regelmäßige Rückpässe zunächst mit einem Raunen; nach einer halben Stunde schließlich auch mit Pfiffen.

Bis sich kurz vor der Pause jedoch zeigte: Bremen steckt steckt in einem noch viel schlimmeren Schlamassel und hat noch deutlich mehr mit sich selbst zu tun als der sichtlich angezählte Nordrivale. Per Mertesacker konnte einen langen Ball nicht sauber klären, Jonathan Pitroipa nahm die Einladung an und bereitete Mladen Petrics siebten Saisontreffer sehenswert vor. Die Führung für Hamburg. Und die Dinge nahmen ihren Lauf.

Nach weiteren Toren von Paolo Guerrero (64., 79.) und Änis Ben-Hatira (84.) stand es am Ende 0:4 aus Bremer Sicht - und so klangen dann auch Allofs weitere Ausführungen: "Wir hatten die Gelegenheit, gegen eine angeschlagene Mannschaft Punkte mitzunehmen, und haben sie fahrlässig liegengelassen. Einige sind scheinbar überfordert. Sogar erfahrene Spieler machen Fehler, die nicht zu erklären sind."

"Habe richtig Mist gespielt"

Vor allem Mertesacker erlebte einen seiner bittersten Samstagnachmittage: Auch die Gegentreffer zwei und drei gehen mit auf die Kappe des 26-Jährigen, der seine Leistung auch entsprechend kommentierte: "Heute habe ich richtigen Mist gespielt."

Dass die restliche Mannschaft aber nach der Pause schnell in ihre Einzelteile zerfiel, hatte allerdings wenig mit Mertesackers persönlichem Schicksal zu tun. Es entspricht vielmehr dem verhängnisvollen Muster, dem die Bremer Auswärtsspiele in beunruhigender Regelmäßigkeit folgen.

31 Tore hat Werder in der Fremde kassiert, so viele wie Hamburg insgesamt. Sechs von zwölf Spielen gingen mit drei Toren Unterschied oder höher verloren. Dem gegenüber steht nur ein einziger Auswärtssieg. Die Bilanz eines Absteigers.

Frings: "Da kann man sich nur schämen"

Nach dem 0:6 in Stuttgart war die Klatsche im Nordderby wohl der emotionale Tiefpunkt. "Das ist ein bitterer Moment. Da kann man sich als Bremer nur schämen. Für die Fans tut es mir auch leid. Wir schaffen es einfach nicht, die Fehler abzustellen", sagte Kapitän Torsten Frings.

Auch Allofs sprach von "katastrophalen Fehlern" und "Harakiri" seiner Mannschaft in der zweiten Halbzeit - und gab die Schuld dafür explizit den Spielern: "Sie haben Dinge gemacht, die von außen nicht vorgegeben waren, und dabei völlig die Ordnung aufgegeben."

Dass erfahrene Profis derart ihre Linie verlieren, sei mithin nicht der Fehler des unter Druck geratenen Thomas Schaaf: "Ich sehe den Trainer absolut nicht in der Schuld. Das muss ich den Spielern zuschreiben. Es gibt schlichtweg keinen Trainer, der in der aktuellen Situation mehr aus der Mannschaft herausholen würde. Aber einige Spieler haben heute gezeigt, dass sie nicht in dieses Team gehören."

Bremen fehlen die Alternativen

Ein hartes, aber grundsätzlich durchaus nachvollziehbares Urteil - das allerdings nur zu weiteren Problemen führt. Denn Werder fehlen die Alternativen. Gegen Hamburg wurden Tim Borowski und Sandro Wagner eingewechselt. Florian Trinks, Petri Pasanen und Danni Avdic saßen außerdem auf der Bank. Niemand mit der nötigen Form (oder der Klasse), um kurzfristig für eine Wende zu sorgen.

Ohne die verletzten Claudio Pizarro, Wesley und Naldo fehlt Bremen im Augenblick wohl die Qualität, um sich in absehbarer Zeit entscheidend von Relegationsplatz 16 abzusetzen. Mit Allofs Worten: "Wir können den Spielern nicht erzählen, sie wären eigentlich viel zu gut für den Abstiegskampf. Nein, das sind wir eben nicht. So wie wir im Moment platziert sind, so sind aktuell die Qualitäten. Und damit muss man die Spieler konfrontieren." Was die Fans wenig später auch taten: Rund 250 Werder-Anhänger blockierten den Mannschaftsbus und suchten den - friedlichen - Dialog.

HSV: Ohne van Nistelrooy und Elia

Der Hamburger SV dagegen muss sich um die individuelle Qualität im Kader keine Sorgen machen. Armin Veh konnte sich den Luxus leisten, neben Ruud van Nistelrooy auch David Jarolim und Marcell Jansen auf die Bank zu setzten und Eljero Elia gleich ganz aus dem Kader zu streichen.

Das Ergebnis jedenfalls rechtfertigte die Entscheidung des Trainers, ebenso wie seine überraschende Maßnahme, Westermann ins Mittelfeld zu ziehen und Gojko Kacar stattdessen wieder als Innenverteidiger aufzustellen.

Wie schon in der gesamten Rückrunde wirkte der HSV zwar im Spiel nach vorne lange Zeit statisch und ideenlos, ließ dafür aber in 90 Minuten nur eine echte Torchance für den Gegner zu. Veh legte in der Winterpause bewusst den Fokus auf das Defensivverhalten. Gegen Bremen gelang nun bereits das vierte zu Null in der noch jungen Rückrunde - und damit auch der vierte Sieg.

Zum ersten Mal allerdings schoss Hamburg selbst dabei mehr als nur ein Tor. Zum ersten Mal auch hatte man dabei das Gefühl, dass sich die Mannschaft nach dem 2:0 wirklich frei spielte.

Neuer Sportdirektor am Sonntag?

Ein wichtiges Signal für die Fans, die auch vor der Niederlage gegen St. Pauli schon eher kritisch auf den defensiven und pragmatischen Stil reagiert hatten. Die Ansprüche gehen an der Elbe eben auch in schweren Zeiten über ein nüchternes 1:0 hinaus. Schließlich hat die Mannschaft in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass sie auch das Potential zu leidenschaftlichem und attraktivem Tempofußball hat.

Um die Stimmung also nicht endgültig kippen zu lassen, war im prestigeträchtigen Nordderby dringend ein Ergebnis nötig. "Wir wollten unbedingt ein Zeichen setzen, auch wenn uns allen klar war, dass wir die Niederlage gegen St. Pauli nicht wieder gut machen können", sagte Westermann.

Dieses Zeichen sei gelungen: "Wir haben eine Reaktion gezeigt und sind wieder aufgestanden. So haben wir auch unsere Fans wieder ein bisschen auf unsere Seite holen können. Wir haben ja auch gespürt, dass die Unterstützung anfangs verhalten ausfiel, sich aber mehr und mehr steigerte. Das tut uns gut!"

Ein weiteres Zeichen für die Zukunft folgte übrigens nur kurz nach dem Schlusspfiff: Der HSV lud für Sonntag zu einer Pressekonferenz mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Otto Rieckhoff. Aller Voraussicht nach wird dabei Frank Arnesen als neuer Sportdirektor vorgestellt werden.

Hamburg - Bremen: Daten zum Spiel

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