Phil Ivey: Dauerhaft high

Von Anant Agarwala
Phil Ivey wird von seinen Gegnern gleichsam bewundert und gefürchtet
© Getty

Weltkriegsveteranen, Pornokönige und aberwitzige Millionensummen pflastern den Weg Phil Iveys zum besten Pokerspieler der Welt. Er ist ein Star, dabei will er eigentlich nur spielen.

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Aufstehen, müde winken, einem weiteren Opfer die Hand geben. Kurz ein schiefes Grinsen aufsetzen. Noch ein paar Hände schütteln. Das war's. Keine Siegerfaust, kein Jubelschrei, nichts. Große Gesten sind wider Phil Iveys Natur, da machen Bracelet-Siege keine Ausnahme.

Ob er seine Triumphe privat ausschweifender feiert? Party, Schampus, Koks und Nutten? Wohl eher nicht. Nach seinem siebten Goldarmband gibt Ivey in einem Interview Aufschluss: "Wahrscheinlich gehe ich noch ins Bellagio und spiele weiter Poker." Da huscht ein Lachen über sein Gesicht. Als würde er sich selbst eingestehen, dass das doch ein bisschen sonderbar ist.

Letztes Bracelet beim H.O.R.S.E.-Event

Aber es ist diese Sucht nach dem Spiel, die ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist: Der beste Allround-Pokerspieler der Welt. Acht Bracelets hat er schon gesammelt - schneller als jeder andere. Sein bislang letztes im Juni 2010 auf dem renommierten H.O.R.S.E.-Event (hier werden fünf verschiedene Pokervarianten gespielt).

Die restlichen Schmuckstücke sammelte er auf Pot Limit Omaha-, Seven Card Stud- oder Lowball-Turnieren - überraschenderweise blieb auf der Series allein ein reiner No Limit Hold'em Sieg bislang aus. Abseits der Turniere sind es besonders die High-Stakes Cashgames, mit denen Ivey Millionen an Dollars scheffelt. Angefangen hat er, selbstverständlich, mit ganz anderen Beträgen.

Pokern beim Opa gelernt

Roselle, New Jersey. 15 Menschen leben Mitte der 80er Jahre im Hause Simmons-Ivey. Leonard "Bud" Simmons ist das Familienoberhaupt und ein echter Held:  2. Weltkriegs-Veteran der US Army, aktives Mitglied der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den 50er und 60er Jahren, der erste schwarze Polizist in Roselle. Und - ein guter Pokerspieler.

Mit seinem achtjährigen Enkel Phillip spielt er Five-Card Stud um Pennys aus einem Glas. Nicht einmal gewinnt Phil gegen seinen Opa, weil das Schlitzohr schummelt. Um, so Iveys Interpretation, seinem Enkel die Lektion zu erteilen, nur aus Spaß und nicht um Geld zu spielen.

Ein kläglich gescheiterter Versuch. Simmons unterschätzt die Suchtgefahr der Droge Poker. Der kleine Phil ist angefixt - für immer. Schon in der Mittelstufe antwortet Ivey auf Fragen der Lehrer nach seinem Berufswunsch: "Ich werde später ein professioneller Pokerspieler sein." Er erntet meist Gelächter.

Heute hat Ivey mehr Millionen erspielt als jeder andere: Über 13 Millionen auf Turnieren, weitere 18,5 Millionen online. Ungezählte Abermillionen aus Cashgames kommen noch dazu. Ein zukünftiger Hall of Famer, der bei seiner Nominierung in diesem Jahr aber erklärte, aus Respekt vor Chip Reese erst mit 44 eine Berufung zu akzeptieren. Reese solle für immer das jüngste Mitglied der Ruhmeshalle bleiben.

Gefälschter Ausweis hilft Ivey

Der Aufstieg Iveys zum Multimillionär beginnt 1994 mit einer Bankroll von 500 Dollar Erspartem.

Atlantic City liegt keine zwei Stunden entfernt von Roselle. Ein glitzernder, pulsierender Magnet für alle Gambler der East Coast. Doch die kleine Schwester von Vegas lässt nicht jeden ran: Mindestens 21 Jahre muss die Driver's license ausweisen, um ihr an die Wäsche - die Casinos - zu dürfen.

Kein Problem für den 18 Jahre alten Phil Ivey. Er betritt "AC" als Jerome Graham, der glücklicherweise schon 21 ist. Sein gefälschter Ausweis ist die Eintrittskarte in die Tempel des Zockens. Bevorzugt im Tropicana oder Taj Mahal verbringt "Jerome" Stunden um Stunden an den Pokertischen. Er verliert mehr, als er gewinnt, ist immer wieder gezwungen, seinem Job als Call-Center-Agent nachzugehen, um sich eine Casino-taugliche Bankroll aufzubauen. Dann zockt er weiter. Um die 15 Stunden am Tag. Die erfahrenen Gambler an den Tischen taufen ihn deshalb "No Home Jerome".

Nachts liegt Phil lange wach, führt Tagebuch über die wichtigsten Hände, geht im Kopf seine Entscheidungen durch, analysiert seine Fehler, seine Gegner. Am nächsten Morgen versucht er als Jerome, die nächtlichen Erkenntnisse am Tisch in bare Chips umzumünzen.

Las Vegas: 14 Tage lang keine Sonne

Mit wachsendem Erfolg. 20-jährig zieht Ivey nach Atlantic City. Weniger Bahn fahren, mehr Pokern. Am 1. Februar 1995 betritt er das Tropicana Casino, und grinst die Schichtleiterin an: "Mein Name ist übrigens nicht Jerome Graham, sondern Phil Ivey. Hier ist mein echter Ausweis, seit heute bin ich 21." Sie lacht nur, und sagt: "Verdammt, ich hab's doch gewusst, dass du noch minderjährig warst. Aber dein gefälschter Ausweis war großartig."

Die Tage von "No Home Jerome" sind vorbei. Das ändert nichts daran, dass Ivey mehr Zeit am Tisch verbringt als zuhause. 14 Tage lang sieht Ivey bei seinem ersten Trip nach Las Vegas kein Tageslicht - er verlässt nicht einmal das Casino. Seine längste Session am Tisch beträgt 65 Stunden.

Die harte Arbeit zahlt sich schnell aus, mit 24 Jahren gewinnt Ivey im Jahr 2000 sein erstes Bracelet. Am Final Table des PLO-Events sitzen mit Phil Hellmuth und Dave Devilfish Ulliott echte Schwergewichte, und im Heads Up wartet Thomas Preston, besser bekannt als Amarillo Slim. Eine Legende. Respektlos nimmt Ivey auch diesen auseinander und zerstört nebenbei dessen Final-Table-Nimbus von vier Triumphen bei vier Gelegenheiten. Das neue Millennium wird es gut mit Ivey meinen. Im Jahr 2002 gewinnt er drei Bracelets, eine historische Leistung.

Pornokönig Flynt macht Ivey nackig

Doch wegen eines Pornokönigs ist Iveys Bankroll schneller aufgebraucht als gedacht. Larry Flynt, Erfinder des Hustler Magazines und Besitzer des Hustler Casinos in Downtown Los Angeles, ist beeindruckt vom jüngsten Star der Szene.

Er lädt ihn ein, am berüchtigten Tisch 55 seines Pokerraums mit Big Shots wie Barry Greenstein oder Chip Reese Seven-Card Stud zu spielen. Buy-In: 200.000 Dollar. Limits: 1.500 und 3.000 Dollar. Ante: 1000 Dollar.

Es dauert keine zwei Tage, dann haben die alten Hasen Ivey nackig gemacht. Fast 600.000 Dollar weg - einfach so. Ganz nebenbei auch eine gelungene Abwechslung für Flynt, der in der Regel der Fish der Runde ist.

Nach ein paar Monaten an Tischen mit kleineren Limits ist Ivey wieder da. Wieder mit 600.000 Dollar. Wieder verliert er alles. Doch auch Ivey ist ein Hustler. Er gibt nicht auf und arbeitet sich erneut an den kleinen Tischen nach oben. Bis er schließlich erstmals mit Gewinn vom Flynt-Tisch aufsteht.

Ivey und Greenstein sind gut befreundet

Barry Greenstein ist mittlerweile sein Kumpel und es ist der Philanthrop unter den Pokerstars, der Ivey auch ins berühmte Big Game im Bellagio einführt. "Er ist der beste Turnierspieler der Welt - sein Talent ist unerreicht", sagt Greenstein über seinen Freund. Ivey sei der erste Spieler überhaupt, der zunächst auf Turnieren Erfolg hatte und danach die Mixed-Cashgames mit den höchsten Einsätzen gemeistert hat; allein Patrik Antonius hätte es ihm mittlerweile nachgemacht.

Wenn Greenstein und Ivey gemeinsam in Privatjets zu Pokerturnieren rund um den Globus geflogen werden, spielen sie häufig Chinese Poker. In 10.000 Metern Höhe wechseln da in ein paar Stunden Hunderttausende an Dollars unter Freunden den Besitzer.

16 Millionen Dollar an einem Wochenende

Im Verhältnis lächerliche Summen. Denn sowohl Ivey als auch Greenstein sind Teil der "Corporation" - ein Zusammenschluss von Pokerprofis, die zwischen 2004 und 2006 immer wieder ihr Geld zusammenschmeißen, um es mit dem US-Milliardär Andy Beal im Heads-Up aufzunehmen. Stakes: Unfassbare 50.000 und 100.000 Dollar.

Im Februar 2006 liegt es an Ivey, der Corporation aus der Schuldenfalle zu helfen. Über 10 Millionen haben die Profis an einem Wochenende verloren. Und Ivey macht den Peter Zwegat: Er gewinnt an einem Wochenende über 16 Millionen Dollar.

Es sind diese Events, die Ivey nicht nur reich machen, sondern auch sein Image pflegen: Er zeigt auch bei den aberwitzigsten Beträgen keine Nerven, geschweige denn Emotionen. "Es gibt keinen Betrag, bei dem ich ins Schwitzen komme. Egal wie viel Geld ich verliere: Ich weiß, dass ich es wiederbekomme." Ein immens wichtiger Faktor am Tisch, denn seine furchtlose Aura schüchtert ein.

Ivey durchschaut seine Gegner

Iveys wohl größte Stärke ist jedoch eine andere: Niemand verkörpert die alte Poker-Weisheit - "Play the players, not the cards" - derart perfekt wie er. Sein starrer Blick scheint seine Gegner zu durchbohren, hochkonzentriert analysiert er jede Entscheidung, die um ihn herum am Tisch getroffen wird. Beinahe unmerklich passt er seinen Spielstil den Gegnern an - und nutzt ihre Schwächen eiskalt aus.

Positiver Nebeneffekt: Er selbst bleibt undurchschaubar. Was nicht zuletzt auch daran liegt, dass er Interviews meidet, ungern über sein Spiel spricht und den Rummel um seine Person am liebsten ganz vermeiden würde. Dabei ist Ivey nicht schüchtern. Er möchte nur nicht abgelenkt werden. Vom Pokern.

Denn er ist nach wie vor abhängig. "Nicht mal für 100 Millionen Dollar würde ich für ein Jahr aufs Pokern verzichten. Dafür mag ich mein Leben viel zu sehr", hat Ivey mal gesagt. Man will es ihm fast abnehmen. Denn der Entzug wäre für den Pokerjunkie wohl nicht auszuhalten.

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