Heads Up mit dem Tod

Von Anant Agarwala
Doyle Brunsons Markenzeichen ist seit Jahr und Tag der Hut
© Getty

Einst MVP und fast bei den Lakers - heute lebende Poker-Legende. Seinen besten Bluff spielte Big Papa Doyle Brunson gegen keinen Geringeren als den Tod höchstpersönlich. Ein Porträt.

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Friedrich Schiller sitzt mit am Pokertisch. Rein metaphorisch natürlich. Denn der große Dichter und Denker war es, der schon Ausgang des 18. Jahrhunderts erkannte: Erst im Spiel wird der Mensch wirklich Mensch.

Und kaum ein Pokerspieler verkörpert diese philosophische Idee mehr als Doyle Brunson. Ein Leben ohne Poker? Auch mit 77 Jahren gilt für Texas Dolly: no way. Erst mit Stapeln an Chips und Karten vor sich auf dem grünen Fleece ist Brunson ganz er selbst.

"Solange ich am Tisch konkurrenzfähig bin, werde ich auch Poker spielen", sagt er. Diese Leidenschaft verfolgt ihn seit über einem halben Jahrhundert. Dabei war eigentlich alles ganz anders geplant.

Beinbruch statt Basketball

Anfang der 50er Jahre, die Sonne brennt über Abilene, Texas. Sportstipendiat Brunson arbeitet in den Semesterferien auf einem Fabrikgelände, als eine Wagenladung Gips ihn und seine Zukunftshoffnungen unter sich begräbt. Denn mit einem gebrochenen Bein sind die Scoutingreports der Minneapolis Lakers, heute in L.A. ansässig, plötzlich nichts mehr wert. Der Conference-MVP und hoch gehandelte Draftkandidat Brunson muss umdenken: Sein Leben als Shooting Guard der Lakers ist zu Ende, noch ehe es begonnen hat.

Ohne das Stipendium im Rücken - auch als Sprinter war er ein Kandidat für das US-Team - beginnt Brunson, sich mit Poker sein Masterstudium zu finanzieren. Er reist durch Texas, spielt an verschiedenen Universitäten. Er liebt es, sich mit den anderen Spielern zu messen. Er liebt es zu gewinnen. Und Brunson gewinnt oft. Er entdeckt den Gambler in sich.

Wenige Monate nach seinem Abschluss kündigt er seine erste und einzige feste Stelle in seinem Leben - und wird Fulltime-Pokerspieler. Damals ein sehr gefährlicher Job.

Tischnachbar erschossen

Mitte der 50er Jahre, ein Billard-Club in Fort Worth, Texas. Im fahlen Licht eines Hinterzimmers sitzen eine Handvoll Gestalten und spielen Poker. Ein Mann betritt den Raum. Er kommt zu Brunson an den Tisch, zieht eine Pistole, und setzt sie Brunsons Tischnachbarn an den Kopf. Er drückt ab.

Brunson und die restlichen Spieler fliehen durch den Hinterausgang. Keiner will etwas mit der Polizei zu tun haben. Poker ist gesellschaftlich verachtet - und natürlich illegal. Natürlich sagt niemals jemand in dem Fall aus, das Mordmotiv bleibt unklar.

"Ich frage mich manchmal, ob die jungen Spieler sich überhaupt vorstellen können, was wir früher durchmachen mussten, um Poker zu spielen. Und ich hoffe, sie wissen zu schätzen, wo wir herkommen", so Brunson, der in "the early days" oft noch am Tisch oder beim Verlassen einer Pokerspelunke mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt wurde.

"Und ich kann sagen, dass es keine schöne Erfahrung ist, in den Lauf einer Shotgun zu gucken", sagt Brunson. Man glaubt es ihm gerne. Dabei sind doppelläufige Shotguns nicht die einzige Bedrohung für sein Leben.

Krebs: Ärzte geben Brunson schon auf

1963, ein Operationssaal in einem örtlichen Krankenhaus. Vier Chirurgen begutachten nacheinander den narkotisierten, offenen Körper, der vor ihnen liegt. Sie kommen zum selben Schluss: Operation zwecklos. Krebszellen in Brunsons Körper haben sich bis in den Kopf ausgebreitet. Von heute auf morgen: Endstadium. Drei Monate noch. Mehr geben die Ärzte dem 28-jährigen Brunson nicht, als sie seine Operation abbrechen.

Ohne wirkliche Hoffnung sucht Brunson drei Wochen nach der Diagnose eine weitere Klinik auf, er will wenigstens kämpfen. Seine Frau ist schwanger, er möchte sein Baby zumindest einmal sehen, bevor er stirbt. Die Ärzte schneiden ihn erneut auf, und finden - nichts. Keine Spur mehr vom Krebs. Ein Wunder, sogar die Ärzte nennen es so.

Ein Wunder, das den frisch verheirateten Brunson überzeugt, ganz auf die Karte Poker zu setzen: Das Leben ist zu kurz, um Dinge zu tun, die man nicht tun will. Es ist die beste Entscheidung seines Lebens.

10-2: Brunsons Hand

1970, Benny Binion, seines Zeichens Casino- und Gangsterboss, hebt in Las Vegas die World Series of Poker aus der Taufe. Drei Jahre später zieht auch Brunson mit seiner Familie nach Sin City. Sein Südstaaten-Akzent und der Cowboy-Hut machen ihn in Vegas zu Texas Dolly.

Und Texas Dolly rockt - er gewinnt 1976 und 1977 die No Limit Hold'em World Championship, den Main Event der World Series. Zwei Mal trifft er in der entscheidenden Hand mit 10-2 ein Full House. Eine an sich hässliche, und doch legendäre Hand, die seitdem seinen Namen trägt.

Ein Jahr nach seinem zweiten Triumph veröffentlicht er mit "Super/System" die Pokerbibel schlechthin. Brunson gilt als bester Spieler der Welt, wird aufgrund seiner Aufrichtigkeit von allen geachtet. Das Leben könnte nicht schöner sein.

Der Tod der Tochter

Doch 1981 kommt das Schicksal erneut um die Ecke. Mit dem schlimmstmöglichen Schlag. Doyla, Brunsons erste Tochter, stirbt unter tragischen Umständen - wohl an einer versehentlichen Überdosis Medikamente.

"Als ob man nie wieder atmen kann", so beschreibt Brunson das Gefühl nach dem Tod seiner Tochter. Depressionen suchen ihn heim. Mit Hilfe der Bibel kämpft er sich zurück ins Leben. Brunson wird ein frommer Christ. Doch der Schmerz hält bis heute an.

Es scheint nur passend, dass Brunson auch Big Papa genannt wird. Er ist durch und durch Familienmensch - auch auf dem Pokercircuit. Als sein Sohn Todd 2004 ein Bracelet gewinnt, ist es der schönste Moment in Dollys Pokerkarriere.

Brunson: "Ich schäme mich für dich"

Brunsons Ethos am Tisch, sein Respekt vor dem Gegner und vor dem Spiel machen ihn mehr noch als seine Erfolge zur lebenden Legende. Brunson, der ehrbare Zocker. Obwohl er nicht allzu viele Turniere spielt, hat Brunson bis heute zehn Bracelets errungen - und ist damit geteilter Zweiter hinter Phil Hellmuth (11).

Seine Sucht nach Siegen dürfte es nicht zulassen, den Turnieren in den kommenden Jahren den Rücken zu kehren. Er will die Nummer eins sein, und dass mit Hellmuth ausgerechnet ein ausgemachter Selbstdarsteller vor ihm steht, dürfte den selbst ernannten "Poker-Puristen" umso mehr ärgern.

Als Hellmuth bei der World Series of Poker Europe als römischer Imperator einmarschiert (siehe Video), sagt Brunson zu ihm: "Ich schäme mich für dich." Dabei sind die beiden befreundet. Doch Brunsons Liebe für das Spiel untersagt es ihm, den heutigen Zirkus um Poker trotz der immens gestiegenen Popularität und Aufmerksamkeit unhinterfragt zu lassen.

"Ich bin und bleibe ein Gambler"

Aber nicht nur deshalb spielt Brunson lieber hinter verschlossenen Türen, am liebsten in Bobby's Room im Bellagio - The Big Game. Denn es sind diese High-Stakes-Cashgames, in denen sich "die Jungs von den Männern trennen", wie er sagt. Das wahre Poker. Im Gegensatz zu Turnieren geht es hier um "echtes" Geld, die eigenen Millionen. "Ich bin und bleibe ein Gambler", weiß Brunson.

Egal, ob am Pokertisch, beim Golf oder sonst einem Wettkampf - "selbst wenn es ums Murmeln geht": Brunson "is in", sein Geld wandert in die Mitte.

Es ist seine Natur, nur im Spiel fühlt er sich lebendig. Seine Philosophie lautet: "Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden. Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen." Könnte von Schiller stammen.

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