Vier Jahre ist es her, dass Juan Martin del Potro die US Open gewann. Er galt fortan als sicherer Kandidat für die Weltspitze. Doch es kam alles anders, auf den kometenhaften Aufstieg folgte ähnlich schnell der Rückfall auf Platz 485 der Welt. Sein Tief hat er mittlerweile überwunden, jetzt will er sich in New York seinen verlorenen Titel zurückholen.
"Es war eines der besten Matches, an denen ich je teilnehmen durfte." Novak Djokovic sprach diesen Satz, nachdem er soeben fast fünf Stunden lang gegen Juan Martin del Potro, den "Turm von Tandil", im Halbfinale von Wimbledon ankämpfen musste. Djokovic ging als Sieger vom Platz, aber del Potro hatte sich mit seiner Leistung zurück ins Bewusstsein der Tenniswelt katapultiert.
Denn del Potro war ein absolut ebenbürtiger Gegner für die Nummer eins der Welt. Die Spannung in der Arena war kaum zu ertragen, so intensiv war das Match, so herausragend die Ballwechsel zwischen den beiden Kontrahenten, die eher wie Gladiatoren als wie Tennisspieler daherkamen. Beide wurden das gesamte Match über vom Publikum gefeiert, angefeuert wurde allerdings vor allem del Potro.
Der 24-Jährige ging als Underdog in dieses Match. Logisch, er spielte gegen den sechsmaligen Grand-Slam-Sieger Novak Djokovic, die Nummer eins der Weltrangliste. Bei del Potro wusste man zwar, dass er ein herausragender Tennisspieler ist. Dass er einem Grand-Slam-Titel jedoch so nah kommen könnte, hatte man kaum noch auf der Rechnung. Das letzte Mal war allerdings auch schon vier Jahre her...
Auf dem Weg nach oben
Nachdem del Potro im Juniorenbereich Titel um Titel gesammelt hatte, folgte 2008 in Stuttgart sein erster Turniersieg auf der ATP-Tour. Einen Monat später waren es bereits vier, nacheinander räumte er die Titel in Kitzbühel, Los Angeles und Washington ab. Der Stern des Turms stieg rasant - eine Entwicklung, die bei den US Open ein Jahr später ihren Höhepunkt erreichte.
Das Vorbereitungsturnier in Washington konnte del Potro bereits zum zweiten Mal gewinnen. Dann begannen die US Open, und nach Siegen gegen Ferrero und Cilic stand er auf einmal im Halbfinale und sah sich Rafael Nadal gegenüber - den er in drei Sätzen problemlos aus dem Weg räumte. Im Finale wartete Roger Federer, zu diesem Zeitpunkt absoluter Branchenprimus und fünf Mal in Folge Gewinner der US Open.
Zur Einordnung: Federer verlor zu dieser Zeit eigentlich nicht, außer mal gegen Nadal bei den French Open. Aber del Potro spielte wie im Rausch, zeigte in keiner Situation Nerven oder auch nur irgendeine Regung. Stoisch zermürbte er den Schweizer mit seinem großartigen Aufschlag und seiner Vorhandpeitsche, mit der er bisweilen Geschwindigkeiten von bis zu 160 km/h erreichte. Nach fünf Sätzen war die Sensation perfekt.
"Ein rundum kompletter Spieler", sagte Federer damals über seinen Bezwinger: "Bei ihm stimmt das Paket. Da ist nichts dem Zufall überlassen." Vieles deutete damals darauf hin, dass del Potro schon bald mit Federer und Nadal um die Spitzenposition in der Weltrangliste konkurrieren würde. Stattdessen begann wenig später der Abstieg, der mindestens ebenso rasant verlief wie zuvor der Weg zum Grand-Slam-Titel.
Gedanken ans Karriereende
Anfang 2011 fand "Delpo" sich auf Platz 485 der Weltrangliste wieder. Ein Jahr zuvor war es noch Position vier gewesen. Was war also geschehen?
2009 erreichte er bei den ATP World Tour Finals noch das Finale. Anfang 2010 begann sein Handgelenk Probleme zu machen, nach den Australian Open Anfang des Jahres legte er eine Pause vom Tennis ein, die am Ende mehr als acht Monate dauerte. Zu dieser Zeit machten Gerüchte die Runde, del Potro habe seinen schnellen Aufstieg nicht verkraftet und leide nun an Depressionen. Er trinke und feiere zu viel, habe keine Lust mehr auf Tennis.
Juan Monaco, ein langjähriger Bekannter und Freund von del Potro, sagte damals: "Er mag ein Problem mit dem Handgelenk haben, aber ein noch viel größeres im Kopf." Mit dem Tennisschläger in der Hand sah man del Potro zu dieser Zeit nie, stattdessen kursierten Partyfotos im Internet. Er isolierte sich. Gegenüber der ATP sagte er am Telefon: "Mir geht es gut hier zu Hause. Ich vermisse Tennis nicht." Sogar das Karriereende sei in dieser Zeit eine Option für den jungen del Potro gewesen sein.
Die Spekulationen um seine geistige Gesundheit wies er später ins Reich der Fabeln. "Traurige, falsche und böswillige Geschichten über meine Gemütsverfassung und mein körperliches Befinden wurden in Umlauf gebracht", war seine Reaktion: "Mehr sage ich nicht zu etwas, das es nicht gibt." Die Tenniswelt war trotzdem irritiert, als der Titelverteidiger die US Open verpasste und auch einen Auftritt als "Glücksfee" bei der Auslosung kurzfristig absagte.
Der Volksheld
"Juan Martin hat hart gearbeitet, dies zu erreichen, und er ist ein Beispiel für uns, dass man durch harte Arbeit erfolgreich sein kann. Das sollte ein Beispiel für unsere Jugend sein." Diese Worte sprach der Bürgermeister von Tandil, Miguel Lunghi, Anfang dieses Jahres. Die Stadt hatte ihrem berühmten Sohn soeben ein Denkmal gestiftet. Die Inschrift: "Olympische Spiele 2012, Bronzemedaille."
Das Comeback des Juan Martin del Potro geriet 2011 zusehends in Fahrt. In Delray Beach konnte er erstmals seit den US Open wieder ein Turnier gewinnen. In Wimbledon schaffte er es zum ersten Mal in seiner Karriere ins Achtelfinale. Sein Aufstieg verlief (mal wieder) kometenhaft - am Ende des Jahres war er von Platz 485 auf Platz elf der Weltrangliste geklettert. Die ATP ernannte ihn zum "Comeback Player of the Year".
Ob es eine mentale oder eine körperliche Blockade war, die ihn zeitweise behinderte - del Potro löste sie und konnte fortan endlich wieder befreit aufspielen. Schritt für Schritt näherte er sich wieder an sein Top-Niveau an und schien auch mental gereift zu sein. Wo er sich in früheren Jahren noch vor öffentlichem Rummel fürchtete und lieber in Ruhe gelassen werden wollte, fühlte er sich in seiner Rolle als berühmter Sportler zusehends wohler, ohne dabei abzuheben.
Die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in London war ein Erfolg, der ihn in Argentinien endgültig zum Volkshelden machte. Nach einer unglaublich umkämpften Halbfinalniederlage gegen Federer besiegte er Djokovic im Spiel um Platz drei und holte damit die erste Medaille überhaupt für sein Land bei den Spielen.
Zurück auf den Thron?
Das olympische Edelmetall war das erste Ausrufezeichen hinter der Aussage "Ich bin zurück!". Spätestens mit der Leistung in Wimbledon ist deutlich geworden, dass del Potro bereit ist, wieder ganz oben anzugreifen.
Bei den Vorbereitungsturnieren für die diesjährigen US Open hat er gezeigt, dass mit ihm auf jeden Fall zu rechnen ist: In Cincinnati kam er ins Halbfinale, in Washington holte er zum dritten Mal den Titel.
Dort gewann er zuletzt im Jahr 2009. Vielleicht ist das ja ein gutes Omen für eine mögliche Rückkehr auf den Thron von Flushing Meadows.
ATP Weltrangliste
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