Die Toronto Raptors stehen erstmals in ihrer Historie in den NBA Finals und treffen dort auf die Golden State Warriors (die komplette Serie ist ab Freitagnacht live auf DAZN zu sehen). SPOX sprach vor der Serie mit Raptors-Insider Blake Murphy (The Athletic) über den historischen Playoff-Run der Kanadier und natürlich über die Schlüssel zu einem möglichen Erfolg.
Zudem wurde erörtert, ob es nicht vielleicht sogar besser wäre, wenn die Warriors die komplette Serie auf Kevin Durant zurückgreifen könnten. Spiel 1 der Finals findet in der Nacht von Donnerstag auf Freitag um 3 Uhr in Toronto statt.
Mr. Murphy. Die Toronto Raptors stehen in den NBA Finals. Haben Sie das schon realisieren können? Wie ist die Stimmung beim Team und in der Stadt?
Blake Murphy: Es herrscht weiterhin Feierstimmung, auch bei mir. Ich darf zum ersten Mal in meiner Karriere über die NBA Finals berichten. Nach Spiel 6 am Samstag brachen hier alle Dämme, die Leute tanzten auf den Straßen. Das ist schön zu sehen, weil Toronto, wie alle Städte in Kanada, eben vor allem eine Eishockey-Stadt ist. Das hat sich aber in den letzten Jahren ein wenig verschoben und nun sind wirklich alle voll dabei.
Toronto lebt immer ein wenig zwischen den Extremen. Läuft es mal nicht, spürt man schnell die Nervosität in der Arena. In dieser Saison war das aber selten so, vielmehr wirkten alle recht optimistisch ...
Murphy: Ja, es herrschte hier früh Optimismus, vor allem nach dem Trade für Kawhi Leonard. Einen solchen Superstar hatte Toronto zuvor einfach nicht. Er herrscht nun Zuversicht, das Team hat Selbstvertrauen. Die Raptors stellen die vielleicht beste Defense der kompletten Liga und man geht schon davon aus, dass man den Warriors gefährlich werden kann.
Der Trade für Kawhi war sehr riskant. Zum einen hatte er wegen seiner Verletzung wenig gespielt, zum anderen läuft sein Vertrag schon im Sommer aus. Dafür musste Fan-Liebling DeMar DeRozan gehen und auch Jonas Valanciunas, der ebenfalls sehr beliebt war, musste im Gasol-Trade gehen. Das war sehr kontrovers, aber die Leute vergessen anscheinend schnell, wenn das Team erfolgreich ist.
Murphy: Genau so ist es. Es war auf jeden Fall ein großes Risiko von Masai Ujiri, den Franchise Player der vergangenen Jahre für Kawhi zu traden, der eben nach dieser Saison wieder weg sein kann. Nun hat sich aber gezeigt, warum er es gemacht hat. Toronto würde nicht da stehen, wo sie jetzt sind - nämlich in den NBA Finals. Es hätte aber auch schiefgehen können, wie die Serie gegen die Philadelphia 76ers gezeigt hat. Scheiden die Raptors da aus, ist Leonard wahrscheinlich weg und das Resümee wäre ein ganz anderes. Nun sind die Raptors in den Finals und egal, ob Kawhi geht oder bleibt, hat man schon jetzt die Ziele erreicht.
Sie sprechen Spiel 7 gegen die Sixers an. Das hätte letztlich in beide Richtungen gehen können. Die Sixers hatten am Ende mehrere Shotclock-Violations und dann eben dieser unglaubliche Kawhi-Wurf. Wäre das nicht passiert, hätten die Raptors wohl den Rebuild gestartet, oder?
Murphy: Das wäre eine Option gewesen. Viel hätte natürlich von Kawhi und seiner Free Agency abgehangen. Wenn er bleiben will, werden die Raptors alles versuchen, um ein Contender zu bleiben. Wenn er allerdings geht, wird es ein Übergangsjahr. Kyle Lowry, Serge Ibaka und Marc Gasol, der eine Spieleroption hat, wären dann in ihrem letzten Vertragsjahr und in ihrem Alter nicht mehr Teil der Zukunft. Aber ja, wenn die Raptors in Runde zwei geflogen wären, hätte es wahrscheinlich einen Rebuild gegeben. Durch die jetzigen Erfolge wird man sich das zweimal überlegen. Am Ende entscheidet das aber Kawhi. Wenn er bleibt, wird es keinen Rebuild geben.
Auch gegen die Milwaukee Bucks sah es zunächst nicht gut aus. Die Bucks waren Favorit, waren 2-0 in der Serie vorne, Spiel 3 war ein absoluter Thriller. War es für Sie eine Überraschung, dass die Raptors gegen das beste Team der Liga tatsächlich vier Siege am Stück holen konnten?
Murphy: Nicht wirklich, ich denke, beide Teams nahmen sich nicht viel. Was mich aber schon verwundert hat, war die Tatsache, dass Milwaukee nicht in der Lage war, die richtigen Adjustments zu machen und dass Toronto defensiv so dominant war. Am Ende gewannen die Raptors die Serie insgesamt nur mit 6 Punkten Unterschied, doch aus Bucks-Sicht war es schon sehr merkwürdig, dass es keinen Plan B gab, nachdem die Raptors nach den ersten beiden Spielen die richtigen Anpassungen getroffen hatten.
Während der Saison gab es immer mal wieder Kritik, dass es die Kawhi-Offense mit vielen Isos und dann die Offense des restlichen Teams gibt. Im Nachhinein: War es nicht ausgerechnet die Kawhi-Offense, welche Toronto in die Finals gehievt hat?
Murphy: Da ist was dran. Solche Spiele gab es häufiger und wenn Kawhi dann wegen Load Management nicht spielte, sah die Offense komplett anders aus, sie war viel flüssiger und es sah mehr nach Team-Basketball aus. Das hat sich aber durch den Trade für Gasol geändert. Es wurden mehr Pässe, mehr Assists gespielt, mehr Dreier getroffen. In den Playoffs war das dann wieder anders, in den ersten beiden Runden bestand die Offense fast nur aus Leonard. Gegen Milwaukee gelang es dann erstmals, beide Komponenten effektiv zu vereinen, in den letzten beiden Spielen hatte Leonard 16 Assists zusammengerechnet. Es hat alles zusammengepasst und das Ende der Milwaukee-Serie hat gezeigt, wie gut diese Raptors sein können.
Dann blicken wir doch mal auf diese ersten Finals in der Geschichte des Teams. Zunächst ganz banal: Was sind für Sie die Schlüssel zur Serie gegen die Golden State Warriors, die in fünf Jahren nur eine Playoff-Serie verloren haben?
Murphy: Es muss schon alles perfekt laufen, wenn wir ehrlich sind. Der Fokus muss auf der Defense liegen. Die Raptors waren in der regulären Saison Vierter bei der Defense und in den Playoffs Zweiter, und haben mehrfach gezeigt, dass sie wahrscheinlich in der Realität das beste Defensiv-Team der kompletten Liga sein können. In der Verteidigung beginnt alles, wobei Golden State so schwer wie kein anderes Team zu bespielen ist. Und dann wurde viel darüber gesprochen, dass die Rollenspieler ihre Würfe treffen müssen. Das klingt völlig banal, aber die Warriors werden Pascal Siakam oder Gasol dazu zwingen, dass sie Würfe nehmen und Kawhi den Ball aus den Händen nehmen. In jedem Spiel wird es gute Rollenspieler brauchen, denn Golden State wird scoren, egal, wie gut deine Defense ist.
Umgekehrt ist es sicherlich auch die Aufgabe der Raptors, die Warriors-Lineups ohne Stephen Curry bzw. mit mehr als zwei Non-Shootern zu bestrafen, wenn man eine Chance haben möchte.
Murphy: Definitiv, auch wenn ich nicht weiß, inwieweit Golden State solche "schlechten" Lineups benutzen wird. Und selbst diese sind nicht so schlecht, wie sie auf dem Papier aussehen, weil sie den Ball bewegen und viel Chaos in der Defense verursachen. Ich glaube aber, dass Toronto darauf bestens vorbereitet sein wird. Beide Teams werden versuchen, den Ball aus den Händen der Stars zu bewegen. Gleichzeitig ist das Pick'n'Roll mit Curry und Draymond Green kaum zu verteidigen, egal wie gut man vorbereitet ist.
Auf Kevin Durant muss man sich zunächst mal nicht vorbereiten, er wird in Spiel 1 und wahrscheinlich auch in Spiel 2 fehlen. Die Diskussion, dass die Warriors ohne KD besser ist, ist natürlich absurd, dennoch gewannen die Warriors alle Spiele ohne ihn.
Murphy: Die Warriors spielen ohne Durant ein wenig anders, ihre Offense ist dynamischer. Dennoch ist Durant der vielleicht beste Spieler der Welt und macht Golden State natürlich besser. Man will natürlich immer gegen die besten Spieler des Gegners spielen, aber wenn Durant nicht spielt und Toronto gewinnt, fragt später niemand mehr danach, wie die Raptors den Titel gewonnen haben. Toronto nimmt gerne jedes Spiel ohne Durant mit, das erhöht aber auch den Druck in den ersten Spielen, welche die Raptors unbedingt gewinnen müssen.
Allerdings haben die Raptors in Leonard auch den vielleicht besten Spieler, wenn es darum geht, Durant zu verteidigen. Könnte das nicht ein Vorteil für Toronto sein, wenn Durant die Warriors-Offense versucht zu übernehmen?
Murphy: Das ist natürlich kein Nachteil. Wir müssen uns nur an das Spiel in der Regular Season in Toronto erinnern, als die beiden sich ein tolles Duell lieferten. Es gab viel Eins-gegen-Eins, am Ende gewannen die Raptors nach Verlängerung, obwohl Durant überragend spielte. Ich glaube dennoch, dass immer, wenn man einen MVP spielen lassen kann, dieses Team auch deutlich gefährlicher ist, auch wenn es für Toronto die Sache defensiv ein bisschen banaler macht. Durant ist der wahrscheinlich beste Spieler, wenn es darum geht, schwierige Würfe zu treffen, und er ist der einzige Spieler, der Kawhi aus der Mitteldistanz das Wasser reichen kann. Zudem wird Durant Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das öffnet dann wieder Räume für Curry und Green und all die anderen.
Wen werden die Raptors gegen Curry starten lassen? Wird es Lowry sein?
Murphy: Vermutlich, aber das wird nur eine Bestandaufnahme sein. Die Raptors verändern während eines Spiels viele Dinge und switchen natürlich auch jede Menge. Ich glaube also nicht, dass wir viel Matchup-Basketball sehen, wo Lowry pro Spiel 60 Ballbesitze Curry jagt. Lowry wird aber gegen Curry starten, er hatte auch jede Menge gute Spiele gegen die Warriors in der Vergangenheit. Die Raptors waren in der Regular Season sehr zufrieden mit Lowry und Fred VanVleet und ihrer Defense gegen Curry. Dennoch wird Curry immer wieder andere Gegenspieler zu sehen bekommen, um ihm den Rhythmus zu nehmen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Kawhi oder auch Siakam ihn hin und wieder checken werden, da die Raptors das Pick'n'Roll häufig switchen werden. Sie haben da recht viele Möglichkeiten.
Glauben Sie daran, dass Toronto eine Chance in dieser Serie hat? Was ist Ihre Prognose?
Murphy: Ich setze auf die Warriors, weil es die logische Wahl ist. Gleichzeitig glaube ich an eine lange Serie. Die Raptors sind die vielleicht beste Defense, die Golden State in den vergangenen Jahren gesehen hat, und dass Durant noch fehlt, hilft natürlich auch. Dennoch: Die Warriors sind immer noch die Warriors. Sie haben diesen Extra-Gang im Angriff, den kein anderes Team hat, sie haben diese Qualität, Runs aus dem Nichts zu starten, was auch kein anderes Team kann. Nicht umsonst hat Golden State drei der letzten vier Titel gewonnen.