München - Es war einer jener Siege, die eine Saison definieren. Noch mehr, die einen Verein weit darüber hinaus definieren können.
Als Kyung-Shin Yoon zwei Sekunden vor Schluss mit einer seiner genialen Einzelleistungen das 31:30 erzielte, war mehr passiert, als der Sieg des HSV Hamburg beim THW Kiel.
Gut, alleine das wäre schon eine herausragende Leistung. Schließlich hat Hamburg in seiner Vereinsgeschichte noch nie in der Ostseehalle gewonnen. Mal ganz abgesehen davon, dass Kieler Heimpleiten zumindest gefühlt praktisch unmöglich sind. Statistisch gesehen waren es genau 29 Spiele und 426 Tage, die Kiel vor heimischer Kulisse nicht verloren hatte.
Bitter mit Weltklasse-Leistung
Der Erfolg der Hamburger war zwar sicher keine Wachablösung, aber das Team von Martin Schwalb hat mehr als eindrücklich gezeigt, dass es dieses Jahr aufs Ganze gehen will.
Der eigentliche Held des Abends stand bei Yoons Siegtreffer weit ab vom Geschehen im eigenen Tor: Johannes Bitter.
"Ich habe mich gut gefühlt. Ob das eines meiner besten Spiele war, weiß ich nicht. Das sollen andere beurteilen", so Bitter im Gespräch mit SPOX.com.
Kein Problem: Die Leistung des 25-Jährigen war schlicht Weltklasse. 19 Paraden gegen die wurfgewaltigen Kieler Scharfschützen sprechen eine deutliche Sprache.
Virtueller Tabellenführer
"Ich denke, wir haben den Sieg unserer aggressiven Abwehrarbeit zu verdanken. Wir haben richtig Gas gegeben und die Kieler mit unserer 3-3-Deckung überrascht. Das hat man richtig an ihren Gesichtern sehen können", sagt der Nationaltorwart im Nachhinein.
In der aktuellen Tabelle führt der THW zwar noch mit 20:4-Punkten, das virtuelle Führungstrikot haben sich aber dank der wenigsten Minuspunkte die Hamburger (19:3) angezogen.
Ein Blick auf den Spielplan bis zur Europameisterschafts-Pause im Januar zeigt: Hamburg wird so schnell nicht mehr von ganz oben zu verdrängen sein. Im Gegenteil. Sie könnten sich bis dahin sogar eventuell etwas absetzen.
Nächste Aufgabe: Champions League
"Wir haben jetzt gegen alle Top-Teams gespielt, bis auf Nordhorn, und sind mit drei Minuspunkten durchgekommen. Damit sind wir natürlich sehr zufrieden. Wir sind in einer günstigen Lage, aber wir werden jetzt auch nicht hochnäsig", macht Bitter klar.
"Der Sieg in Kiel war ein wichtiger Schritt für uns, mehr aber auch nicht. Wenn wir jetzt in der Champions League gegen Moskau verlieren, ist ganz schnell unsere Qualifikation für die zweite Gruppenphase in Gefahr".
Für eine Pleite gegen Moskau spricht wenig bis gar nichts. Hamburg hat bisher alle Champions-League-Aufgaben gemeistert, darunter die beiden schweren und weiten Auswärtsfahrten nach Moskau und Saporoschje.
Marschroute Top 3
Man kann ruhig davon ausgehen, dass man Moskau auch zu Hause bezwingen und sich so den ersten Platz in der Gruppe sichern wird. Das wäre nicht unwichtig, denn so könnte man in der zweiten Gruppenphase eine womöglich leichtere Gruppe erwischen und nicht nur in der Bundesliga ein gewaltiges Wörtchen mitreden.
Das magische Wort "Meisterschaft" geistert zwar immer mehr durch Handball-Hamburg, so richtig aussprechen will es Bitter aber noch nicht:
"Der Verein hat ganz klar die Marschroute ausgegeben, unter die ersten Drei kommen zu wollen. Natürlich hat man die Meisterschaft irgendwo im Kopf, aber dazu braucht man auch viel Glück und Erfahrung. Wir wollen vor allem unsere letzte Saison untermauern".
Verdienter Sieg
Dort war man bereits kurz vor dem großen Coup gestanden. Nur die schlechtere Tordifferenz im Vergleich zu den punktgleichen Kielern verhinderte den Titel.
Sollte es dieses Mal kappen, wird man sich ohne Zweifel an das Husarenstück in Kiel als Schlüsselmoment erinnern.
"Damit wir in Kiel gewinnen können, müssen wir überragend spielen und hoffen, dass Kiel einen schlechteren Tag erwischt. Wir sind stolz auf den Sieg. Weil es nicht glücklich war, sondern wie ich denke völlig verdient", erklärt Bitter.
Ihr neuer Super-Torwart personifiziert damit wohl am besten die Einstellung beim HSV Hamburg: Nicht überheblich, aber sich der eigenen Stärke mehr und mehr bewusst.