Marc-Andre ter Stegen im Interview: "Ich war vielleicht ein bisschen nervig"

Jan Platte
01. März 201910:38
SPOXgetty
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Als "Messi mit Handschuhen" ist Marc-Andre ter Stegen beim FC Barcelona längst feste Größe und ein Superstar im Team von Trainer Ernesto Valverde. Doch auch diese Anerkennung musste sich der gebürtige Mönchengladbacher erst erarbeiten.

Im großen Interview mit DAZN und SPOX spricht der Nationaltorhüter (die exklusive Doku über Marc-Andre ter Stegen gibt es auf DAZN) vor dem Clasico zwischen Real Madrid und Barca (Sa., 20.45 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) über seine schwierige Anfangszeit in Katalonien und verrät, dass es einen Zeitpunkt gab, an dem sogar ein Abschied aus Barcelona denkbar war.

Außerdem gibt ter Stegen einen spannenden Einblick in seine Jugendzeit und beschreibt, aus welchem kuriosen Grund es ihn ins Tor verschlagen hat. Zusätzlich blickt er in die Zukunft und äußert sich zum Duell mit Manuel Neuer ums DFB-Tor und dem großen Ziel vom Champions-League-Titel.

Herr ter Stegen, träumen Sie mittlerweile eigentlich auf Spanisch?

Marc-Andre ter Stegen: Ich behalte wenig von dem, was ich träume. Auf Spanisch habe ich aber nie geträumt. Zumindest nicht bewusst. Angekommen bin ich hier trotzdem. (lacht)

Sie sprechen perfekt Spanisch, beherrschen sogar ein bisschen Katalanisch.

Ter Stegen: Wenn du in ein anderes Land kommst, musst du dich anpassen. Du musst auf die Leute zugehen und das Wichtigste dabei ist die Sprache. Dass man die Sprache lernt, ist gleichzeitig das Schönste an der ganzen Sache, denn das nimmst du fürs Leben mit. Es ist für mich ein Zeichen von Respekt und Dankbarkeit, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem ich mich befinde. Mir kam sicherlich zugute, dass ich in der Mannschaft bis auf zwei, drei Ausnahmen sofort Spanisch sprechen musste.

Wer half Ihnen zu Beginn Ihrer Barca-Zeit besonders?

Ter Stegen: Wenn ich einen herausnehmen muss, dann ist es Ivan Rakitic. Er spricht Deutsch und war von Anfang an eine große Hilfe für mich. Ich war in dieser Zeit vielleicht auch ein bisschen nervig, weil ich ihn ständig mit Fragen löcherte, aber er half mir gerne. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Ivan ist nicht nur ein toller Fußballer, er ist auch ein toller Mensch, der dem Team viel gibt. Mit ihm habe ich einen Freund gewonnen, mit dem ich immer Kontakt stehen werde.

Einfach war das erste Jahr nach Ihrem Wechsel von Borussia Mönchengladbach zum FC Barcelona trotzdem nicht. Sie waren hinter Claudio Bravo zunächst nur die Nummer zwei in der spanischen Liga, spielten nur in der Champions League und im Pokal.

Ter Stegen: Wenn du zum FC Barcelona wechselst, heißt das nicht, dass du deine Ziele erreicht hast, sondern, dass es dann erst richtig anfängt. Um Schritt zu halten und nochmal ein Stück besser zu werden, musst du mehr machen als andere.

Wie gingen Sie denn mit Ihrer damaligen Rolle um?

Ter Stegen: Grundsätzlich haben Claudio und ich es beide geschafft, gut mit der Situation umzugehen. Er ist ein toller Torwart, der sich den Platz damals verdiente. Der Trainer musste nicht wechseln, weil er in der Liga einen Torwart hatte, der gute Leistungen zeigte.

Dennoch gab es Spekulationen, Sie könnten Barca verlassen.

Ter Stegen: Natürlich fängt man an, nachzudenken, weil es das Wichtigste als Fußballer ist, zu spielen. Es wäre deshalb auch nicht besser gewesen, wenn der Trainer gesagt hätte: 'Du spielst jetzt in der Liga und der andere in den anderen Wettbewerben.' Das war nicht das, was ich wollte und 2016 kam dann die Situation, in der ich darüber nachdenken musste, Barca zu verlassen.

Wie haben die Verantwortlichen von Barca reagiert?

Ter Stegen: Der Klub wusste immer, woran er war. Claudio und ich sind mit der Situation offen umgegangen und haben gesagt, dass sie uns nicht gefällt. Irgendwann kommt der Moment, in dem es nicht mehr haltbar ist. Dann hat sich Barcelona klar positioniert und für mich entschieden. Ich glaube, dass ich es bis jetzt zurückgezahlt habe.

In Spanien werden Sie als "Messi mit Handschuhen" gefeiert. Haben Sie den Eindruck, dass Sie in Deutschland unter dem Radar fliegen?

Ter Stegen: Ich freue mich immer, wenn gesehen wird, was ich leiste. Das ist eine Bestätigung für jeden Fußballer. Für mich zählt in erster Linie, dass ich meine Leistung bringe. Grundsätzlich ist es aber schon so, dass Profis im Ausland für die deutschen Fans und Medien vielleicht nicht so sehr im Fokus stehen, weil in Deutschland nun einmal die Bundesliga Priorität hat. Man bekommt nicht immer mit, was die Profis im Ausland leisten. Da musst du schon ein Wahnsinnsspiel machen, um mal in den Medien aufzutauchen. Das gilt nicht nur für mich. Wir haben so viele großartige Fußballer im Ausland, die ihre Komfortzone verlassen haben und fernab von ihren Familien Bemerkenswertes leisten - ob in Italien, Frankreich, England oder eben hier in Spanien.

Wie lebt es sich in Barcelona?

Ter Stegen: Wunderbar. Ich liebe die Stadt. Meine Frau ist auch glücklich. Wir haben hier alles, was wir brauchen. Natürlich fehlt mir die Familie ab und zu, aber die hat auch immer die Möglichkeit, vorbeizukommen.

Ihre Frau studiert Architektur. Bleibt da überhaupt die Zeit für gemeinsame Aktivitäten?

Ter Stegen: Sie biegt langsam auf die Zielgerade ein und muss sich wirklich reinhauen. Das ist auch gut so, weil ich immer der Meinung bin, dass man sich selbst verwirklichen sollte. Sie will sich verwirklichen, ist unglaublich ehrgeizig und ich bin glücklich, dass sie das macht und sich wohl fühlt. Dadurch ist es nicht immer leicht, größere Unternehmungen zu planen. Aber wenn die Zeit da ist, machen wir gerne Roadtrips und erkunden Katalonien. Ansonsten gehen wir gerne Essen und freuen uns immer, wenn unsere Familien oder Freunde zu Gast sind. Das gibt uns Kraft.

Wie ernähren Sie sich denn?

Ter Stegen: Mediterran. Ich esse viel Fisch, dafür relativ wenig Fleisch. Manchmal ernähre ich mich auch komplett vegetarisch oder vegan. Ich finde, dass allgemein zu viel Fisch und Fleisch konsumiert wird.

Trinken Sie Alkohol?

Ter Stegen: Wenn überhaupt dann Wein. Rotwein. Aber auch nur in Maßen.

Ist es als Torwart von Barca überhaupt möglich, in Restaurants ungestört zu bleiben?

Ter Stegen: Kommt drauf an. Wir gehen manchmal in Restaurants, in denen man uns schon kennt und in denen nicht immer wieder Fotos gemacht werden. Ich möchte ehrlich gesagt aber nicht zuhause bleiben, um zu vermeiden, zehn Fotowünsche zu erfüllen. Beim Essen ist es nicht so cool, darum gebeten zu werden, aber das musst du als Fußballer einfach akzeptieren. Am Anfang hatte ich mehr Probleme damit. Einmal hat meine Frau dann zu mir gesagt: 'Mach das ruhig, das ist nur ein kurzer Moment, in dem du jemanden glücklich machst.' Und es ist wirklich so. Meistens kommen ja auch Kinder, die dich nach einem Foto fragen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass in meiner Kindheit Marcel Ketelaer mein Vorbild war und ich ihn eines Tages in einem Restaurant sah. Ich holte mir ein Autogramm von ihm und war der glücklichste Junge der Welt. Das Autogramm hängt noch heute bei meinen Eltern zu Hause.

Sie sind gebürtiger Mönchengladbacher, durchliefen bis zu den Profis die gesamte Jugendabteilung der Borussia. Anfangs spielten Sie aber noch im Feld. Wie kam es, dass Sie Torhüter wurden?

Ter Stegen: Ich mochte die Position generell und fand Torhüter eigentlich immer lustig, weil sie besonders waren und Handschuhe anhatten. Unser Torwart hatte leider Gottes ständig Nasenbluten - vielleicht hat der mal schräg in der Nase gepopelt. Kein anderer wollte so wirklich, alle haben sich weggedreht und dann habe ich gesagt: 'Dann gehe ich halt mal ins Tor.' Im Alter von zehn, elf Jahren - wenn die zum ersten Mal so richtig aussortieren - sagte mein Trainer bei der Borussia dann zu mir: 'Entweder du gehst zu einem anderen Verein oder du gehst fix ins Tor.' Da musste ich nicht lange überlegen. So fing das an und hat sich nicht mehr verändert.

Sie erhielten im Alter von 17 Jahren Ihren ersten Profivertrag. Ihr Weg ins Tor der Gladbacher war dennoch kein Selbstläufer. Michael Frontzeck verzichtete trotz guter Leistungen in der Vorbereitung auf die Rückrunde der Saison 2010/11 darauf, Sie zur Nummer eins zu machen.

Ter Stegen: Michael Frontzeck hat mir mal erzählt, was damals in seinen Gedanken vorging. Nachdem ich bei einem Testspiel im Trainingslager gegen Wolfsburg im Tor gestanden hatte, hat er darüber nachgedacht, mich zu bringen. Aber letztlich hat er sich dann doch gesagt: 'Ich traue mich nicht. Ich will den noch nicht verbrennen.' Ich habe Respekt, dass er so dachte. Denn es hätte ja genau so kommen können. Ich bin aber froh, dass Lucien Favre mich dann zur Nummer eins machte.

Favre machte nicht nur Sie, sondern auch Marco Reus groß. Reus zählt in dieser Saison zu den besten Bundesliga-Spielern. Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an ihn denken?

Ter Stegen: Ich muss mich immer wieder fragen: 'Was spielt der denn für einen Fußball?' Das ist verrückt. Er wäre auch einer für Barca gewesen, auf jeden Fall einer für die ganz großen Teams. Aber er ist auch einer - und das muss man hoch anerkennen -, der gesagt hat: 'Nein, ich bleibe hier, wo ich hingehöre, wo meine Familie ist, wo ich meinen Halt habe.' Das ist eine geile Entscheidung von einem geilen Typen.

Mario Götze ist ebenfalls ein Kumpel von Ihnen. Wie sehr freut es Sie, dass es auch für ihn wieder aufwärts geht beim BVB?

Ter Stegen: Bei Mario sind zuletzt auch viele private Dinge positiv gelaufen. Das ist eine tolle Situation für ihn. Für mich ist es einfach schön, ihn wieder da zu sehen, wo er hingehört.

Im Gegensatz zu Reus und Götze haben Sie den Schritt ins Ausland gewagt, schon viele Titel mit Barca gewonnen. Ihre Sternstunde: der Champions-League-Sieg 2015. Seitdem erreichten Sie aber kein Finale mehr. Wie groß ist der Wunsch, diesen Titel erneut zu gewinnen?

Ter Stegen: Sehr groß. Das Aus gegen Rom in der vergangenen Saison war extrem bitter für uns, da war sicher mehr drin. Die Champions League ist unser großes Ziel. Es ist wichtig, dieses Ziel vor Augen zu haben, aber das heißt nicht, dass wir unsere Hausaufgaben in der Liga vernachlässigen dürfen. Wir haben noch viele harte Spiele vor der Brust. Der Vorsprung wirkt komfortabel, mit Real und Atletico ist aber immer zu rechnen.

Was ist der Schlüssel zum Champions-League-Sieg?

Ter Stegen: Gut zu verteidigen. Vorne haben wir unsere Stärken und sind immer für ein Tor gut, aber gerade in der K.o.-Phase ist es wichtig, so wenige Gegentore wie möglich zu kassieren. Und man muss natürlich im richtigen Moment zur Stelle sein. Real hat vergangenes Jahr nicht überragend gespielt, war aber da, als es darauf ankam. Dafür muss man ihnen auch Respekt zollen.

Die Königsklasse ist eines Ihrer großen Ziele in diesem Jahr. Sie wollen aber auch endlich ins Tor der deutschen Nationalmannschaft. Wie bewerten Sie Ihre Situation als Nummer zwei hinter Manuel Neuer?

Ter Stegen: Die Situation ist, wie sie ist. Gute Leistungen im Klub bilden die Voraussetzung, um den Anspruch stellen zu können, ins Tor der Nationalmannschaft zu kommen. Da bin ich mit meiner Persönlichkeit und Qualität in einer guten Position, wie ich finde. Wichtig ist, dass ich weiterhin gute Leistungen bei Barca zeige und fit bleibe. Ich will Druck machen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Neuer?

Ter Stegen: Gut. Wir unterhalten uns ganz normal und gut miteinander, sprechen auch mal über Spielsituationen, geben uns gegenseitig Feedback. Ich schätze Manu und das, was er für den DFB geleistet hat. Er hat tolle Turniere gespielt, ich habe großen Respekt vor ihm. Das heißt aber nicht, dass ich nicht ins Tor möchte. Ich habe schon einmal gesagt: Ich will den Umbruch auch auf der Torwartposition vollziehen. Dafür arbeite ich.

Wie sehen Sie ihre Zukunft bei Barca?

Ter Stegen: Ich habe noch dreieinhalb Jahre Vertrag. Wie es dann aussieht, kann ich jetzt nicht sagen. Aber was ich jetzt sagen kann, ist, dass ich die aktuelle Situation genieße und Spaß daran habe, jeden Tag auf den Platz zu gehen.