Demut kommt vor dem Fall

Hände und Racket hoch ins Glück. Nach Satzrückstand gewann Tommy Haas sein Erstrundenmatch bei den BMW Open
© getty

Am Tag der Erstrundenpartie von Tommy Haas bei den BMW Open lief einiges gegen den Altmeister. Doch der Sieger von 2013 bewies Nehmerqualitäten und bestätigte seine ansteigende Formkurve gegen Sergiy Stakhovsky. Und nicht nur auf dem Platz lieferte er Beweise für die wiedergewonnene Konkurrenzfähigkeit.

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Die Turnierveranstalter hatten dem Publikumsliebling auf seiner Abschiedstournee 2017 die ganz große Bühne bereitgestellt - zumindest jene Komponenten, die beeinflussbar waren, schienen zu passen. Ein medial- und werbemäßig inszenierter eigener "Tommy Haas Day" samt großer Erstrundenbühne auf dem Centre Court am Montag.

Alles was nicht beeinflussbar war, lief allerdings gegen den 15-fachen ATP-Turnier-Champion. Der Gegner ein sich bereits voll im Turniermodus befindlicher Sergiy Stakhovsky, der nicht gerade klassisches Sandplatztennis spielt. Gift für den Rythmus. Schwerwiegender: Es war kalt auf der Münchener Anlage des MTTC Iphitos. Sehr kalt. Eigentlich zu kalt für den an Fuß, Rücken und vor allem Schulter lädierten Altmeister.

Was Haas auch sehr wohl vorher so einschätzte. "Und früher hätte ich mich über die Umstände auch tierisch geärgert, dass es mir schlechte Laune bereitet hätte", philosophierte die ehemalige Nummer zwei der Welt nach erfolgreich verrichteter Arbeit.

Nach deutlich verlorenem ersten Satz gegen den Ukrainer Sergey Stakhovsky steigerte sich der zu Beginn sichtlich verunsicherte Routinier und feierte am Ende einen umjubelten Dreisatzerfolg auf dem trotz des bescheidenen Wetters dreiviertel gefüllten Centre Courts.

Nervös wegen eigener Familie

"Aber in diesen Tagen will ich es einfach genießen, auf deutschem Boden wieder Turniertennis zu spielen und bin froh, hier zu sein. In Deutschland, in München vor so vielen Fans, die trotz des Wetters gekommen sind, vor meinen Schwestern, meinen Eltern. Ich habe ja seit meinem Turniersieg 2013 einige Jahre verpasst. Da nehme ich jede Bedingungen an, auch wenn ich heute eigentlich in die Halle gemusst hätte", erklärte er.

Vor allem die Anwesenheit der Familie habe ihn vor Spielbeginn ziemlich nervös gemacht. Diese Abschiedstour, speziell auf deutschem Boden, sei eben doch etwas ganz Besonderes. Stuttgart, Hamburg und Halle sollen noch folgen. Im Moment des ersten Sieges zurück in der Heimat feierte er ausgelassen wie selten für eine so frühe Runde und präsentierte sich auf der anschließenden Pressekonferenz rundum demütig im Bezug auf seinen Beruf. Demütig davor, diesen nochmals mit einer gewissen Qualität abrufen zu können und zu dürfen.

Dabei hätte er in diesen Tagen von der Leistung her gar keinen Grund zur übertriebenen Nervosität oder Demut. Seit er nach seiner Premiere als Turnierdirektor von Indian Wells (womit er die Weichen für eine Aufgabe nach dem baldigen Karriereende schon mehr als gestellt hat) Mitte März wieder als Aktiver eingriff, zeigte die Formkurve kontinuierlich nach oben.

Verbesserter Aufschlag: "Bin schmerzfrei"

In Houston, eines seiner Lieblingsturniere, lag er in Runde zwei schon Break vorne gegen Jack Sock, der dieses Jahr zur erweiterten Weltspitze gehört und verlor im Entscheidungssatz. Auf Sand in Monte Carlo war nach einem glatten Auftakterfolg mit unnötigen Nebenkriegsschauplätzen gegen Benoit Paire erst knapp mit 4:6 im Entscheidungssatz gegen Tomas Berdych Endstation.

Beim Duell gegen den Top-Ten-Spieler aus Tschechien war die verringerte Aufschlaggeschwindigkeit in Satz drei ein mitentscheidender Faktor. Konkurrenzfähig gegen einen Weltklassespieler war er dennoch. Experten wie Fans, die ihn in der ersten Runde der Australian Open beobachtet hatten, dürfte diese doch recht rasante Entwicklung überrascht haben.

Der Aufschlag war im Erstrundenmatch von München ebenfalls ein Faktor. Doch dieses Mal pro Haas, der mit fortwährender Spieldauer gar härter und qualitativ besser servierte. Dabei sind Aufschläge an die 190 Stundenkilometer bei niedrigen Temperaturen beim Olympiazweiten von Sydney längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Körperlich sei er definitiv auf der Höhe: "Ich bin schmerzfrei. Klar ein bisschen steif im Rücken bei dem Wetter, aber vor allem in der Schulter schmerzfrei. Das gibt mir Vertrauen für mein Spiel und das, was noch kommen mag."

"...zu schauen, was noch möglich ist"

Aber was ist das. Was mag da noch kommen? Diese und jene Fragen nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit umschiffte der Routinier gekonnt. "Es dreht sich alles um Matchpraxis. Ich bin froh, hier weiter spielen zu dürfen, gerade mit Hinblick auf Madrid und Rom die kommenden Wochen."

Denn darum ginge es ihm ja bei diesem letzten Comeback. Zu schauen, was noch möglich ist. Mit allen positiven wie negativen Emotionen. Diese seien ein wenig ambivalent, erklärte er. "Ich habe heute zu meinem Coach gesagt. Ich kann es eigentlich kaum erwarten, diese Gefühle, diese Achterbahnfahrt auf dem Platz nicht mehr zu erleben. Aber es wird mir auch glaube ich nichts mehr fehlen, als eben exakt diese Emotionen."

Haas ist weiter im Verarbeitungsmodus so kurz vor dem Ende seiner aktiven Laufbahn. Damit ist er seit Jahresbeginn, so scheint es zumindest, schon ein ganzes Stück vorangeschritten.

Unterstützung von altem Bekannten

Hilfe erhält er in diesen Tagen dabei auch von einem alten Bekannten, Thomas Högstedt. "Ich habe einen guten Draht zu all meinen ehemaligen Coaches. Bei diesem vielleicht letzten Lauf ist es immer noch das Ziel, mich zu verbessern und an ein gewisses Niveau heranzukommen. Eines, das ich von mir erwarte", erklärte Haas dazu. Der Schwede sei momentan mit an Bord, weil es eine wichtige Phase sei. "Es tut immer gut, ihn in der Box zu sehen und mit ihm Einheiten zu absolvieren."

Auch sein Ex-Coach dürfte rasch bemerkt haben: Konkurrenzfähig für die erweiterte Weltspitze ist Haas. Aufschlag und Rückhand stimmen. Die Vorhand streute gegen Berdych in Monte Carlo und am Montag gegen Stakhovsky immer mal wieder zu viel. Konditionell und läuferisch dagegen ist er im Best-Of-Three-Modus voll auf der Höhe.

Am Mittwoch wartet in Runde zwei Jan-Lennart Struff. "Er ist gerade auf einem sehr guten Weg, seine beste Ranglistenplatzierung zu erreichen. Ich freue mich auf das Duell", lobte Haas.

Duell mit Zverev winkt

Das Duell mit dem knapp 13 Jahre jüngeren Struff wird eine Begegnung mindestens auf Augenhöhe, obwohl Haas offiziell rund 400 Plätze hinter seinem Landsmann rangiert. Die Weltrangliste interessiert Haas beim letzten von vielen Comebacks ohnehin nicht mehr. Dass er nach gefühlten Ewigkeiten zurück unter die ersten 20 der Welt kehrte, hat er mehrmals bewiesen. 2017 zählen kleinere, demütigere Dinge. "Es ist schwer, Spiele auf der ATP-Tour zu gewinnen. Es war und ist verdammt harte Arbeit", unterstrich der Publikumsliebling des Münchener Turnieres.

Eine Arbeit, die er fortführen möchte. Bei einem weiteren Sieg stünde wohl Alexander Zverev zum Viertelfinal-Duell am Freitag bereit. Den Veranstalter würde das ob des Zuschauerandrangs mehr als freuen. Mehr Generationenduell, mehr Pathos ginge nicht. "Er ist Deutschlands bester Spieler seit Boris Becker", adelte Zverev Haas vor dem Turnier. Das Duell wäre die nächste ganz große Bühne für Tommy Haas. Bemerkenswerter ist aber: Für Haas selbst - und das strahlt er genau so aus - ist bereits das Spiel gegen Struff das nächste große Ding auf seiner letzten Tournee.

Tommy Haas im Steckbrief