Steht der nächste Djoker schon bereit?

Miomir Kecmanovic gilt als große Tennis-Hoffnung Serbiens
© imago

Dank Persönlichkeiten wie Novak Djokovic und Ana Ivanovic hat sich Serbien in den vergangenen 15 Jahren zu einer echten Tennisnation entwickelt. Doch bald droht ein spielerisches Vakuum. Da kommt Miomir Kecmanovic den Fans des sportverrückten Balkanstaates wohl gerade recht. Doch der Werdegang des momentan besten Juniorenspielers der Welt weicht deutlich von seinen prominenten Vorgängern ab. Die Fußstapfen sind deswegen jedoch nicht minder groß.

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"Tennis", erklärte Novak Djokovic vor dem momentan stattfindenden, prestigeträchtigen Mastersturnier in Indian Wells, "hat nicht mehr die oberste Priorität für mich. Ich bin nicht mehr derselbe wie vor einem Jahr."

Damit sprach der Djoker in der Öffentlichkeit aus, was in den vergangenen Monaten ohnehin zu erkennen war. Der ganz große Biss des zwölf-fachen Grand-Slam-Champions ist einer veränderten Lebenseinstellung gewichen. Dass der 29-Jährige dies mit seiner neugegründeten Familie und dem veränderten Fokus darauf begründet, ist menschlich. Verständnis dafür zeigt jedoch längst nicht jeder. Vor allem nicht in seiner serbischen Heimat.

"Nole" hat seit seinem vollendeten "Grand Slam" auf der roten Asche von Paris nur noch zwei Turniere gewonnen. Ana Ivanovic, der überall angesehene Weltstar, ist gar zurückgetreten. Wer weiß, wie positiv verrückt serbische Sportfans sein können und miteinbezieht, wie verwöhnt serbische Tennisfans in den vergangenen Jahren waren, der kann sich vorstellen, dass nicht wenige nach neuer Dominanz lechzen.

Titelverteidigung bei inoffizieller Junioren-WM

Es scheint, als tauche Miomir Kecmanovic gerade zum richtigen Zeitpunkt auf dem Radar der Öffentlichkeit auf. Der 17-Jährige hat das Jahr bei den Junioren in beeindruckender Manier als Weltranglistenerster abgeschlossen. Ihm gelang erst als dritter Spieler in der Geschichte überhaupt die Titelverteidigung beim renommierten Orange Bowl - der inoffiziellen Junioren-WM.

Eine Auswahl an Spielern, die das Turnier nur einmal gewonnen haben: Andy Roddick, John McEnroe, Björn Borg, Ivan Lendl, Jim Courier und ein gewisser Roger Federer.

Letzterer, das verriet er unlängst gar der New York Times, sei sein erstes Vorbild gewesen. Die Liebe zum Tennis entstand beim gebürtigen Belgrader, bevor Djokovic seine großen Erfolge feierte.

Orientieren kann sich der Teenager selbstredend dennoch an seinem Landsmann. Die Voraussetzungen scheinen vorhanden. Misha, wie ihn seine Freunde nennen, sei ein außergewöhnlicher junger Mann, erklärte Jose Lambert, einer der Coaches der Nick-Bolleteri-Academy in Kalifornien, an der Kecmanovic seit vier Jahren trainiert und lebt: "Er ist sehr aufmerksam und arbeitet seit er hier ist wie ein Getriebener. Er hat ein unglaubliches Potential."

Der Vergleich zum Djoker hinkt

Attribute, mit denen der Djoker zu Beginn seiner Karriere auch konfrontiert wurde. Der ehemalige Weltranglistenerste ging ebenfalls früh ins Ausland. Doch hier beginnen grundlegende Unterschiede.

Djokovic verließ mit 13 notgedrungen das vom Balkankrieg gezeichnete Belgrad, um sich in Deutschland unter besseren Bedingungen und der Anleitung von der Davis-Cup-Legende Niki Pilic den Traum vom Tennisprofi zu erfüllen.

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Die Serben haben ohnehin ein Herz für die Spieler der Generation Djokovic, Ivanovic oder eines Janko Tipsarevic, die sprichwörtlich aus wenig das Maximum herausgeholt zu haben scheinen. Vom ehemaligen Top-Ten-Spieler Tipsarevic ist etwa die Geschichte überliefert, dass er und Mannschaftskollegen in jungen Jahren in leergepumpten Schwimmbädern stundenlang Tennis spielten und trainierten. Einfach, weil es während und kurz nach dem Balkankrieg nicht genügend Tennisplätze gab. Und auch Pilic bekannte einst, dass er Djokovic als einen vom Erfolg besessenen Jungen kennengelernt habe, der nur eines im Sinn hatte: die Nummer eins der Welt.

Solche Geschichten, wie die von Tipsarevic und Djokovic lieben sie auf dem Balkan. Und wer die Menschen, der vom Krieg und den ständigen Konflikten gezeichneten Region etwas besser kennenlernt, der weiß die fanatische Stimmung, die etwa bei heimischen Davis-Cup-Partien in Belgrad herrscht, zu schätzen.

Kecmanovic und das wohlhabende Elternhaus

Die kennt selbstredend auch Kecmanovic. Doch mit den Gegebenheiten der Generation vor ihm hat er nur noch wenig gemein. Das große Talent ist wenige Monate nach Ende des Kosovokrieges geboren. Er steht stellvertretend für eine neue Generation. Hinzu kommt: Er stammt, anders als die meisten der vorangegangenen Generation, aus einem gutbetuchten Elternhaus.

Die Eltern sind Chirurgen, die Großmütter Volkswirtschaftlerinnen gewesen. Einer der Großväter war ein jugoslawischer General, der sich gegen den Konflikt aussprach - öffentlich im Staatsfernsehen. "So wurden wir zu Verfolgten und mussten mit Mishas Mutter vom damaligen Kroatien nach Belgrad flüchten", berichtete Kecmanovics Tante, Tanja Pavlov.

Die Familie zwar durchaus vom Krieg beeinflusst, wuchs Misha im Nachkriegsserbien dennoch wohlhabend auf. Sein anderer Großvater brachte ihn bereits mit sechs Jahren zum Tennis - eigentlich nur, um seiner Hyperaktivität entgegenzuwirken. Doch bereits ein Jahr später gewann er mit sieben ein nationales U-10-Turnier.

Tenniskarriere wird zum Familienprojekt

Fortan war die Tenniskarriere des jungen Misha zum Familienprojekt auserkoren. Die Mutter als frühe Trainerin, der Vater als Organisator und Fahrer, die Großmütter als Köchin und immer mit einem Auge auf die schulischen Leistungen. Kecmanovic fehlte es an nichts und konnte sich vollends auf seine Leidenschaft fixieren.

Als der Rechtshänder, mit der sofort ins Auge fallenden bockstarken Vorhand, mit 13 Jahren den renommierten Kremlincup gewann, flatterte das Angebot der Bolleteri-Akademie ins Hause Kecmanovic.

"Ich wollte das unbedingt. Für meine Eltern war es sicher keine einfache Entscheidung", sagte Kecmanovic rückblickend auf 2013 in einem Akademie-Interview. Die Eltern ließen ihren einzigen Sohn ziehen, stellten ihm jedoch seine Tante zur Seite.

Nach anfänglichen Anpassungsproblemen arrangierte sich der Serbe mit den Gegebenheiten im immer heißen und trockenen Florida. Seine Tante avancierte zu seiner Managerin und ging parallel ihrer Arbeit für ein Projekt für Flüchtlinge in Serbien und Mazedonien nach - bis heute.

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