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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 12 in der NFL

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© getty
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3. Rebuild? Arizona hatte das größte Horror-Jahr in der NFL

Die Cardinals präsentierten sich nach einem indiskutablen Auftritt gegen San Francisco am Montagabend gegen die Chargers deutlich verbessert. Die Offense - erstmals mit DeAndre Hopkins und Marquise Brown gemeinsam auf dem Platz - hatte einen klaren Plan, agierte mehr Under Center, nutzte Kyler Murray mehr im Run Game.

Dennoch stand am Ende eine weitere Niederlage. Weil die Cardinals gegen eine desolate Chargers-Run-Defense die Uhr in mehreren Versuchen nicht runterlaufen konnten. Weil die Defense dann doch irgendwann einknickte, obwohl die Chargers-Line ähnlich dezimiert ist wie die der Cardinals. Weil es nicht gelang, den Sack zu zu machen.

In meinen Augen gibt es übergreifend zwei Dinge, die einen Teambesitzer mit Nachdruck dazu bringen, tiefgreifende Änderungen innerhalb seiner Organisation vorzunehmen: Das eine ist anhaltende sportliche Erfolglosigkeit, welche meist unweigerlich mehrere Ursachen haben, welche für sich betrachtet Kündigungsgründe sein können: Fehlentscheidungen auf der Quarterback-Position, erfolglose Coaches, schlechtes Roster Management.

Die andere Ursache ist ein sehr menschlicher Aspekt: Wenig führt so zuverlässig zu gravierenden Umbrüchen, wie wenn ein Owner und seine Franchise in der Öffentlichkeit schlecht aussehen, wenn die NFL-Öffentlichkeit sich über die eigene Franchise lustig macht.

Ich würde argumentieren, dass über die letzten zwölf Monate keine Franchise so schlecht ausgesehen hat und so viel Spott auf sich gezogen hat wie die Cardinals.

Die Browns mit der ganzen Watson-Sache wären vermutlich die härteste Konkurrenz, auch wenn das dann ein ganz anderes Thema ist. Bei Arizona hat man den Eindruck, dass, angefangen bei der Führungsetage, anhaltende Inkompetenz für einen beherzten Schritt in ein Fettnäpfchen nach dem anderen sorgt.

Cardinals: Timeline eines Horror-Jahres

Das ist nur eine grobe Timeline der alarmierenden Dinge, die seit dem Ende der vergangenen Saison bis jetzt passiert sind:

  • Das blamable Playoff-Aus gegen die Rams beendete die Saison. Wenig später kursierten an ESPN geleakte Berichte, wonach Murray unreif und kein guter Leader sei
  • Wenige Wochen nach diesem Spiel wandte sich Kyler Murrays Berater Erik Burkhardt in einem öffentlichen Brief an die Cardinals und forderte die Franchise heraus, Murray - natürlich in Form eines neuen Vertrags - zu zeigen, dass sie langfristig mit und um ihn etwas aufbauen wollen.
  • Die neuen Verträge für GM Steve Keim und Head Coach Kliff Kingsbury ergaben insofern Sinn, als dass man beide nicht als Lame Ducks präsentieren wollte, ehe es mit Spielern an den Verhandlungstisch ging. Eine Vertragsverlängerung für beide um vier (!) Jahre war aber schon damals unerwartet lange - und sieht jetzt noch viel schlimmer aus.
  • In der Free Agency präsentieren sich die Cardinals unerwartet passiv. Statt das Fenster, solange Murrays Cap Hit niedrig ist, aggressiv auszunutzen, waren die nennenswertesten Deals die neuen Verträge für Running Back James Conner, Tight End Zach Ertz und Wide Receiver A.J. Green. Der Conner-Deal sieht schon jetzt wie ein großer Fehler aus, Green ist so gut wie gar kein Faktor. Die Baustellen auf Edge-Rusher und Cornerback waren riesige Problemzonen mit Ansage.
  • Der neue Vertrag für Kyler Murray rückte schnell aufgrund einer absurden Klausel in den Hintergrund: Eine Klausel, welche von Murray fordert, pro Woche in seiner Freizeit vier Stunden in das Studieren des Game Plans und des nächsten Gegners zu investieren - ohne dabei, unter anderem, "fernzusehen, Videospiele zu spielen oder im Internet zu surfen". Eine irre Klausel, nachdem man einen 230-Millionen-Dollar-Vertrag gegeben hatte, und erwartungsgemäß flog sie allen Beteiligten um die Ohren. Murray selbst meldete sich in einem emotionalen Monolog zu Wort, und die Klausel wurde kurzum aus dem Vertrag gestrichen - aber der Schaden war selbstredend längst angerichtet.
  • Im August stellten die Cardinals Running-Backs-Coach James Saxon frei, da gegen Saxon Vorwürfe der häuslichen Gewalt im Raum standen. Diese Saison bestreiten die Cardinals seither mit einer internen Lösung auf der Running-Backs-Coach-Position, und haben seither bereits ein Mal intern von Don Shumpert zu Spencer Whipple - eigentlich Co-Pass-Game-Coordinator - gewechselt.
  • Der Trip nach Mexiko in Woche 11 endete für Arizona nicht nur mit einer krachenden Niederlage gegen die 49ers - er brachte auch die Entlassung eines der wichtigsten Assistent Coaches in Kingsburys Trainerstab mit sich: Sean Kugler wurde, Berichten zufolge, weil er eine Frau begrapscht haben soll, noch vor dem Spiel gegen San Francisco gefeuert und zurück nach Arizona geschickt. Kugler war Arizonas Line-Coach und Run-Game-Coordinator, und während die Entscheidung vonseiten der Organisation absolut nachvollziehbar und richtig ist, wird das sportlich auf Coaching-Seite zu einem großen Loch führen, von dem ich aktuell noch nicht sehe, wie das aufgefangen werden soll.

Ich wiederhole nochmal: Ich denke nicht, dass ein Team über die letzten zwölf Monate verheerender in der Öffentlichkeit aussah. Und ich denke nicht, dass eine Franchise in diesem Zeitraum weniger Leadership-Qualitäten an den Tag gelegt hat.

Und, um auf den zweiten eingangs erwähnten Punkt zurück zu kommen: Dieses Bild der Franchise in der Öffentlichkeit, das bekommen Teambesitzer mit.

Mehr noch, die Cardinals übertragen dieses Bild ganz bewusst nach außen - weil sie sich dazu entschieden, In-Season-Hard-Knocks einzuladen, natürlich mit der Idee im Hinterkopf, die eigene Marke zu stärken und das Bild der Öffentlichkeit von der Franchise zu verbessern. Das ist für den Moment gehörig nach hinten losgegangen.

Wie viel Spielraum hat Steve Keim noch?

Wie vielleicht dem einen oder anderen aufgefallen ist, habe ich bei der Auflistung noch kein Wort über die tatsächliche sportliche Situation dieser Saison gesprochen; darüber, wie desolat die Cardinals über weite Teile der Saison auftraten, mit den Playoffs zum Start des letzten Saisondrittels schon fast außer Reichweite.

Das macht das Bild rund: Diese Saison ist auf bestem Wege, eine sportliche Enttäuschung zu werden - während die Franchise in der Öffentlichkeit ein katastrophales Bild abgibt. Beide Alarmsirenen sollten bei Teambesitzer Michael Bidwill also aufschrillen; und vielleicht ist das auch der Weckruf, den er braucht.

Denn ich würde Kingsbury und Keim hier nicht über einen Kamm scheren wollen. Unter Kingsbury hat sich das Team über die letzten Jahre schrittweise verbessert, und auch wenn er für meinen Geschmack schematisch nach wie vor zu limitiert ist, denke ich nicht, dass er ein schlechter Head Coach ist. Die Frage ist dann eben, ob wir den Peak für die Cardinals unter ihm schon gesehen haben.

Bei Keim muss man die Frage stellen, wie er nach so vielen Fehlgriffen, nach so wenig Erfolg, überhaupt noch im Amt sein kann. Was ihn als GM aus positiver Perspektive auszeichnet - abgesehen von der Tatsache, dass Bidwill offensichtlich eine enge Beziehung zu Keim, der bereits seit 1999 in der Franchise ist, hat.

Arizona: Steht der große Umbruch bevor?

Die Realität der Situation, wie ich sie sehe, ist die einer dysfunktionalen Franchise, die diese Dysfunktionalität nur loswerden kann, wenn es einen radikalen Umbruch gibt. Wenn intern zu lange festgefahrene Strukturen aufgebrochen werden. Wenn es keine zweifelhaften Leaks an die Medien mehr gibt, wenn die Franchise mit einem klaren Plan und klarer Struktur neu aufgestellt wird.

Nochmal, Kingsbury hat positive Dinge in dieses Team gebracht, und seine Beziehung zu Kyler Murray ist ein Faktor. Aber die Probleme in der Franchise reichen zu tief, als dass er hier Teil der Lösung sein könnte.

Der Trip - auf und abseits des Platzes - nach Mexiko City, die Art und Weise, wie man das Spiel gegen die Chargers noch hergegeben hat, hat diese Punkte nochmals deutlich gemacht.

Die Cardinals sind an einem wichtigen Moment angekommen. Die Frage lautet, wie man die Qualitäten von Kyler Murray maximal zur Entfaltung bringen, und wie man ihm, gerade auch wenn sein Cap Hit nach oben schießt, ein kompetitives Team zur Seite stellen kann. Und an diesem Punkt kann man kaum noch zu dem Schluss kommen, dass Keim - als Leader und Architekt der Franchise -, oder Kingsbury - als Play-Caller und Game-Planner - dafür die richtige Besetzung sind.