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Kein Trümmerhaufen!

Rusell Westbrook blieb seiner Franchise treu
© getty

Durch den Verlust von Kevin Durant erlebten die Oklahoma City Thunder einen dunklen Sommer. Der nächste Super-GAU wurde mit der Vertragsverlängerung von Russell Westbrook aber frühzeitig abgewendet - hinter RW0 steht ein junger Kader in den Startlöchern, der viel Spielraum für Entwicklungen lässt. Ein Trümmerhaufen sieht definitiv anders aus: Die Offseason in der Analyse.

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Die Transaktionen:

Als die Welt in Oklahoma City noch in Ordnung und Kevin Durant in den Augen der Fans noch einer der ihren war, wollte das Front Office um GM Sam Presti die Weichen für die Zukunft stellen. Noch in der Draft-Nacht wurde ein mittelgroßer Deal eingefädelt, der Big Man Serge Ibaka nach Orlando brachte und Victor Oladipo, Domantas Sabonis und Ersan Ilyasova zu den Thunder.

Ironischerweise sollte dieser Trade auch dazu dienen, einen langfristigen KD-Vertrag zu ermöglichen - der Rest ist Geschichte. Die Entscheidung vom frischgebackenen Olympia-Sieger, sich den Golden State Warriors anzuschließen, sorgte für ein Erdbeben in der Chesapeake Energy Arena, auf das einige Tage der Rat- und Machtlosigkeit folgten.

Nachdem sich der gröbste Staub gelegt hatte, versuchten die Verantwortlichen, die Situation irgendwie zu retten: Der plötzlich frei gewordenen Kaderplatz wurde mit dem spanischen Talent Alex Abrines gefüllt, an dem OKC ohnehin die Rechte hatte. Anschließend richtete sich die Aufmerksamkeit auf Russell Westbrook, mit dessen 2017 auslaufenden Vertrag theoretisch der nächste Super-GAU gedroht hätte. Doch eine vorzeitige Verlängerung (3 Jahre, 85 Millionen Dollar) schloss diese Baustelle und beantwortete auch die Frage nach dem zukünftigen Franchise-Player.

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Als weitere Backcourt-Verstärkung kam Veteran Ronnie Price aus Phoenix. Die Rollenspieler Randy Foye, Dion Waiters und Nazr Mohammed suchten derweil das Weite.

Die Strategie:

An dieser Stelle muss unterschieden werden zwischen der Strategie vor Durants Entscheidung und der danach. Der Ibaka-Oladipo-Deal vorher zielte darauf, die gemeinsame Zukunft von KD und Westbrook finanziell zu ermöglichen. Zwar wäre "Air Kongo" mit 12 Millionen Dollar im nächsten Jahr kein allzu schweres Laster, allerdings wird auch er 2017 zum Unrestricted Free Agent - und hätte von OKC wohl deutlich mehr Dollars verlangt. Auch sportlich war der Trade nachvollziehbar, da Ibakas Leistungen in den vergangenen Jahren stagnierten bzw. sich in einigen Bereichen sogar verschlechterten. Der Aufstieg von Steven Adams (der deutlich billiger ist und 2017 "nur" RFA wird) machte die Nummer 9 ein weiteres Stück entbehrlicher.

Auch die Zukunft von Oladipo liegt in der Hand der Franchise. Zusammen mit Westbrook wird er eines der athletischsten Backcourts der Liga bilden und ist darüber hinaus ein exzellenter Verteidiger - und er ist niemand, der zu viel Touches fordert, womit er ebenfalls gut hinter das balldominante Duo KD/Westbrook gepasst hätte.

Unter dem Strich hat Presti das Team verjüngt, finanziell flexibler aufgestellt und dabei nicht an Qualität eingebüßt - bis ein gewisser Artikel in der Players Tribune erschien.

Nach dem besagten Chaos musste ein Plan B her, der natürlich nicht fertig ausgedruckt in irgendeiner Schublade auf seine Umsetzung wartete. Denn die dicken Free-Agent-Fische waren vom Markt und Trade-Material (außer Russ) hatte OKC auch nicht in der Hinterhand - es gab also kaum Optionen.

Stattdessen stellte sich die Frage: Rebuild "light" mit Westbrook oder Rebuild "XXL" ohne Westbrook? Der Antwort ist bekannt und mit der Entscheidung Westbrooks samt Liebesbekenntnis zur Stadt scheint eine gewisse Aufbruchsstimmung den großen Kater abgelöst zu haben.

Das Team um RW0 herum ist jung, talentiert und nicht teuer - alle Cap Holds der kommenden Restricted Free Agents bewegen sich in einem verkraftbaren Rahmen. Das Ziel wird es nun sein, mit einer offensiven One-Man-Show im neu durchgewürfelten Westen in die Playoffs zu kommen, um zu zeigen: OKC ist weiter ein großer Name. Wenn das gelingt, sind die von Presti für 2017 vorgesehenen Free-Agent-Verstärkungen realistisch - finanziell sowieso und mit einem Russ im Beastmode auch sportlich.

Die Schwachstellen:

Vor allem das Spacing wird für das Team von Head Coach Billy Donovan ein Problem darstellen. Wie schon erwähnt, wurde ein Oladipo geholt, um als dritte oder vierte Option herzuhalten - doch nun werden die Touches neu verteilt. Die Thunder-Dreierquote von 34,9 Prozent war schon in der abgelaufenen Saison nur Mittelmaß. Ein Backcourt-Duo bestehend aus Russ (29,6 Prozent 3FG) und Dipo (34,8) macht kaum Hoffnung auf bessere Zahlen. Geht man davon aus, dass Kyle Singler Durants Platz als startender Small Forward einnimmt, wäre er der einzige Wurfspezialist in der Aufstellung - aber er wäre halt immer noch Kyle Singler.

Neuzugang Ilyasova ist zwar in der Lage, als Stretch-Vierer die Verteidigung auseinander zu ziehen, ein konstanter Shooter vor dem Herrn ist aber auch er nicht. Oder anders gesagt: Die gegnerischen Head Coaches überlegen schon, ob sie Westbrook nur mit Double-Teams oder doch eher mit drei bis vier Verteidigern entgegentreten.

Auch hinter der zweiten Garde des Backcourts steht ein großes Fragezeichen. Ronnie Price und Andre Roberson sind solide bis starke Verteidiger, offensiv aber nicht in der Lage, Westbrook auch nur annähernd zu entlasten. Das gilt auch für Cameron Payne, der zweifelsfrei fortgeschrittene Tanz-Skills sein Eigen nennen darf, aber erst noch beweisen muss, dass er auch auf dem Court Verantwortung übernehmen kann.

Der Hoffnungsträger

Natürlich steht und fällt der Erfolg Oklahomas mit der Performance von Westbrook. Hinter dem Alphatier ist jedoch auch die Entwicklung von Steven Adams besonders interessant. Defensiv gehört er schon zu den unangenehmsten Gegenspielern (inklusive der Fähigkeit, Pick-and-Rolls zu switchen) der Liga, nun soll er auch im Angriff den nächsten Schritt machen.

Was aufgrund seines beachtlichen Haarwuchses gerne vergessen wird: Der Neuseeländer ist erst 23 Jahre alt und steigerte sich in OKC kontinuierlich. Legt er sich den den einen oder anderen Post-Move zu und arbeitet an seinem Timing beim Block, fehlt zur erweiterten Center-Elite nicht mehr viel.

Das Fazit:

Wer einen MVP und absoluten Elite-Scorer in seiner Prime ohne Gegenwert an die direkte Konkurrenz verliert, gehört zu den größten Verlierern der Offseason. Wie viel Eigenverschulden zu dem Verlust geführt hat, ist völlig nebensächlich: OKC war über Jahre ein Contender und ist es jetzt bei weitem nicht mehr.

Trotzdem muss der Franchise zu Gute gehalten werden, dass sie durch sinnvolle Deals - auch wenn diese aus einer anderen Intention heraus getätigt wurden - einen vielversprechenden Kader für die Zukunft beisammen hat. Die Vertragsverlängerung von Westbrook hat zudem gezeigt, dass das Vertrauen von Superstars in das Front Office nicht gelitten zu haben scheint.

Die Note: 5+

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