NBA Playoffs - 5 Fragen zum Saisonaus der L.A. Clippers: Auf "Was wäre, wenn?" folgt die K-Frage

Ole Frerks
02. Juli 202110:54
Werden Kawhi Leonard und Paul George auch weiterhin gemeinsam für die L.A. Clippers auf Titeljagd gehen?getty
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Die L.A. Clippers haben sich trotz großem Kampf aus den Playoffs verabschiedet und stehen nun vor einem wegweisenden Sommer. Alles blickt auf Kawhi Leonard - dabei ist der 30-Jährige nicht der einzige Wackelkandidat in Los Angeles.

Warum sind die Clippers in den Conference Finals gescheitert?

Am Ende ging den Clippers im Kollektiv die Puste aus. Kein Team musste in den Playoffs ein solches Programm fahren, was natürlich auch dem teilweise nonchalanten Auftritten am Anfang der Serie gegen Dallas geschuldet war - wie dem auch sei: Seit Wochen hatten die Clippers keine zwei Tage am Stück mehr frei, weil sowohl Utah als auch nun Phoenix mit ihren Serien schon früher durch waren.

Es kam erschwerend hinzu, dass der eigentlich tiefe Kader am Ende nicht mehr so tief war. Serge Ibaka verabschiedete sich früh in der Dallas-Serie, Kawhi Leonard verpasste die letzten acht Spiele, zuletzt fiel dann sogar auch noch Ivica Zubac aus. Gerade Kawhi war als einer der besten Spieler der Welt letztendlich nicht zu ersetzen, auch wenn die Clippers es im Kollektiv mehr als einmal schafften.

Schon gegen Utah hätte man L.A. abschreiben können, stattdessen wurden beide Spiele ohne Leonard gewonnen, das letzte sogar nach einem 25-Punkte-Rückstand zur Pause. Auch gegen Phoenix hatten die Clippers abgesehen von der letzten Partie immer eine Chance.

Mit zwei getroffenen Freiwürfen von Paul George am Ende von Spiel 2 hätte die Serie einen ganz anderen Verlauf nehmen können, dummerweise traf das beste Freiwurf-Team der Regular Season (83,9 Prozent als Team!) im Lauf dieser Serie lediglich 77,8 Prozent von der Linie. Es waren solche Nuancen, die mehr als einmal den Unterschied ausmachten.

Unerheblich: L.A. geriet erneut in einen 0-2-Rückstand und schlug dann in Spiel 3 zurück. Spiel 4 war ein Defensiv-Krimi auf beiden Seiten, der in jede Richtung hätte gehen können - am Ende fehlte unter anderem wieder die Präzision bei den Freiwürfen. Auch nach einem 1-3-Rückstand steckten die Clippers aber nicht zurück und gewannen auf dem Rücken des überragenden George noch eine Partie.

L.A. hatte ohne Leonard ein Talentdefizit gegenüber Phoenix, schaffte es durch bärenstarke Defense, viel Small-Ball, teilweise starkem Shooting einiger Rollenspieler und eben George aber trotzdem, die Serie offen zu gestalten. Das bessere Team setzte sich letzten Endes durch, wenngleich auch die Suns phasenweise ohne ihren wichtigsten Spieler Chris Paul auskommen mussten.

Dieser dominierte Spiel 6 in der zweiten Hälfte. Selbst dort kam L.A. einige Male zwar noch in Schlagdistanz, im Gegensatz zu vorigen Spielen fehlten diesmal jedoch die Körner und vor allem auch der defensive Zugriff, um das Ganze wirklich noch umzubiegen. Patrick Beverley sorgte dann mit seinem Schubser für einen Schlusspunkt, den diese Clippers-Saison eigentlich nicht verdient hatte.

Suns vs. Clippers: Die Serie im Überblick

SpielDatumHeimAuswärtsErgebnis
120. JuniSunsClippers120:114
223. JuniSunsClippers104:103
325. JuniClippersSuns106:92
427. JuniClippersSuns80:84
529. JuniSunsClippers102:116
61. JuliClippersSuns103:130

Wie ist die Saison zu bewerten?

Auch wenn es am Ende erneut nicht für den ganz großen Wurf gereicht hat und sie andere Ziele haben, haben die Clippers in dieser Postseason einige Sympathien gesammelt und nicht zuletzt auch einige Narrative korrigiert. Der kleine Bruder der Lakers hat erstmals die Conference Finals erreicht, das ist für sich schon ein kleiner Meilenstein.

Der Playoff-Run war gerade im Vergleich zur Bubble-Saison 2020 bemerkenswert. George hat den Stempel des Playoff-Versagers abgelegt und speziell nach dem Kawhi-Ausfall das Team geschultert, wie es ihm nur noch die wenigsten zugetraut hätten. Stand jetzt hat er unter anderem die meisten Punkte, Minuten und Defensivrebounds dieser Playoffs verzeichnet und steht auf etlichen weiteren Leaderboards. Bei den Minuten liegt er fast 130 Minuten vor dem Zweitplatzierten Devin Booker.

George kann sich nichts davon kaufen, aber er hat sich spielerisch wie mental von den schweren Rückschlägen erholt und sich weiterentwickelt. "Pandemic P" ist Geschichte, so sollte es zumindest sein, gerade sein 41-Punkte-Spiel in Spiel 5 gegen Phoenix war absolut monströs. Und er ist nicht die einzige Geschichte dieser Art bei den Clippers.

Da ist Reggie Jackson, der vor nicht allzu langer Zeit noch über das Karriereende nachdachte und nun in den Playoffs phasenweise unstoppable war. Da ist DeMarcus Cousins, der Gegenüber Dario Saric in einigen Phasen wie einen Schuljungen aussehen ließ. Da ist ein Nicolas Batum, der vor der Saison noch "Next Stop: Europa" auf seiner Visitenkarte stehen hatte, und so weiter.

Nicht zuletzt ist da ein Team, das vergangenes Jahr noch die 3-1-Führung gegen Denver verspielte und sich damit zum Gespött machte - diesmal waren es die Clippers, die zwei Serien nach 0-2-Rückstand noch gewannen und eine dritte lange offen gestalteten. Und da ist ein Coach in Tyronn Lue, der mal als LeBrons Gehilfe in Cleveland galt und in dieser Postseason reihenweise starke Schachzüge aus dem Ärmel schüttelte, der stets die Ruhe bewahrte.

Die Clippers wollten Meister werden und haben dieses Ziel nicht erreicht, trotzdem ist es schwer, von einem Misserfolg zu sprechen. "Es ist ein Schock", sagte Lue nach Spiel 6. "Es schockt viele Jungs in dieser Kabine. Und das sagt viel über das Team. Egal, wer spielt, wir hatten immer das Gefühl, dass wir jedes Spiel gewinnen können."

Das letzte Spiel der Saison haben sie indes nicht gewonnen. Nun geht es darum, die Weichen zu stellen, damit dieses Ziel in der kommenden Spielzeit erreicht werden kann.

Wie geht es mit Kawhi Leonard weiter?

Die wichtigste Personalie ist dabei wenig überraschend Leonard. Der Superstar verpasste die komplette Serie mit einer Knieverletzung, kurz vor Spiel 6 wurde bekanntgegeben, dass er auch Spiel 7 verpasst hätte, in den Finals womöglich aber wieder hätte zurückkehren können. Im besten Fall muss Leonard nun also keine komplette Offseason mit der Reha verbringen.

Der nun 30-Jährige steht dabei vor einer unmittelbaren Entscheidung. Leonard verfügt über eine Spieler-Option für 2021/22, die ihm 36 Millionen Dollar einbringen würde. Er kann mehr verdienen, wenn er auf diese Option verzichtet, allerdings ist die Situation etwas komplizierter als bei "normalen" Free Agents.

Da Leonard erst zwei Jahre bei den Clippers verbracht hat, hat er dort noch nicht die vollen Bird Rights und könnte Stand jetzt "nur" für vier Jahre und 176,2 Mio. Dollar bei den Clippers unterschreiben. Er könnte es auch machen wie George im Vorjahr, indem er seine Option zieht und dann unmittelbar für vier weitere Jahre unterschreibt. In dem Fall käme er auf fünf Jahre und 217,5 Mio. Dollar.

Die dritte Option involviert größeres Risiko: Auf die Option verzichten, für zwei Jahre (zu 80,6 Mio.) unterschreiben, sich eine Option für 22/23 sichern und diese dann verstreichen lassen. Dann könnte Leonard im Sommer 2022 laut ESPN den größten Vertrag der NBA-Geschichte unterschreiben (5 Jahre, 235 Mio.). In diesem Szenario müssten die Clippers nur eben mitspielen und Leonard müsste logischerweise gesund bleiben.

Bleibt Kawhi Leonard den L.A. Clippers erhalten?getty

Dass Kawhi das Team verlassen könnte, ist zwar nicht ausgeschlossen, weshalb die Konkurrenz natürlich längst lauert, aber unwahrscheinlich. Der zweimalige Finals-MVP wollte in seine Heimat Kalifornien und hat sich selbst für die Clippers entschieden. Steve Ballmer ist der mit Abstand reichste Teambesitzer in der NBA und wird weiterhin alles versuchen, um einen Titel nach L.A. zu holen. An den Finanzen wird es nicht scheitern.

Und ganz so weit waren die Clippers wohl nicht entfernt. "Mit Kawhi würden wir weiterziehen", war George nach Spiel 6 überzeugt. "Diese Serie würde ganz anders aussehen. Einer der besten Spieler der Liga fehlt, trotzdem waren wir nur Zentimeter von der nächsten Runde entfernt. Da ist also ein großes 'Was wäre wenn?' involviert."

Wenn Kawhi das auch so sieht, wird er mit dem einen oder anderen Vertrag einen neuen Versuch für seinen persönlichen Titel Nr. 3 starten. "Wenn ich gesund bin, ist es offensichtlich am besten, auf die Option zu verzichten", sagte Leonard selbst im Dezember dazu. "Aber das heißt nicht, dass ich gehe oder bleibe. Wir reden darüber, wenn die Zeit reif ist."

Ein Exit-Interview wollte Leonard am Tag nach dem Playoff-Aus nicht geben. Kawhi wäre allerdings auch nicht Kawhi, wenn er sich in die Karten schauen ließe.

Welche Optionen haben die Clippers in der Offseason?

Neben Leonard verfügt auch Serge Ibaka über eine Spieler-Option (9,7 Mio.), die er angesichts seiner eigenen Verletzung vermutlich ziehen dürfte. Da ein Großteil des aktuellen Kaders längerfristig unter Vertrag steht, läge man in diesem Fall (wenn auch Leonard bleibt) bereits im Luxussteuer-Bereich bei rund 148 Millionen Dollar (für elf Spieler).

Die Clippers bleiben also teuer, das wussten sie aber seit den Verpflichtungen von Leonard und George im Sommer 2019. Die Frage ist nun, wie teuer es wird. Um fremde (namhafte) Free Agents können die Clippers sich zwar nicht bemühen, aber sie haben auch selbst noch einige Baustellen.

Allen voran ist da Reggie Jackson zu nennen. Der Guard spielte überragende Playoffs (17,8 Punkte und 40,8 Prozent von der Dreierlinie) und wird damit einige Begehrlichkeiten geweckt haben, in jedem Fall wird L.A. ihn nicht für das Minimum halten können. Aufgrund der Early-Bird-Rechte können die Clippers ihm 10,3 Mio. Dollar bieten, der Vertrag müsste dann aber mindestens über zwei Jahre ohne Spieler-Option gehen. Am Willen des Guards dürfte es nicht scheitern.

"Dieses Jahr war mein bestes Jahr", sagte Jackson nach Spiel 6 unter Tränen. "Ich habe den Jungs dafür gedankt, dass sie mich gerettet haben. [...] Ich bin dankbar für alles, was ich hier erlebt habe. Diese Organisation hat mich willkommen geheißen, meine Eigenheiten, meine Stärken, meine Schwächen; ich frage mich, ob ich ohne dieses Team überhaupt noch spielen würde."

Jackson wäre für die Clippers schwer zu ersetzen, was auch für Batum gilt: Hier gibt es keine Bird-Rights, daher kann man dem Franzosen entweder 3,1 Mio. Dollar oder die Taxpayer Midlevel Exception (5,9 Mio.) anbieten. Batum kassiert noch immer 18 Millionen Dollar von den Hornets, die ihn aus seinem Vertrag herauskauften, also akzeptiert er hier womöglich einen Discount.

Draft-Kapital ist nicht mehr viel vorhanden, da L.A. im George-Trade etliche Picks nach Oklahoma City verscherbelte. Den 2021er Erstrundenpick (Nr. 25) sowie acht künftige Zweitrundenpicks gibt es aber; damit könnten entweder Trades eingefädelt oder der Kader punktuell verstärkt werden.

Im Großen und Ganzen ist es aber recht wahrscheinlich, dass die Clippers kommende Saison sehr ähnlich aussehen werden wie in dieser Spielzeit. Es gibt zwar Gerüchte um beispielsweise einen Trade für Kemba Walker und sogar die Spekulation, dass George in einem Deal für Damian Lillard angeboten werden könnte. Auszuschließen ist in der NBA ohnehin nichts, aber mehr spricht derzeit für ein "run it back" mit einigen Feinjustierungen.

Können die Clippers kommende Saison Meister werden?

Kurz gesagt: Ja, sie gehören Stand jetzt wieder mit in die Verlosung. In Jahr zwei des Leonard-George-Experiments haben die Clippers einen gehörigen Schritt nach vorne gemacht und in den Playoffs gezeigt, dass sie vor allem defensiv unheimlich vielseitig sein können. Ihre Version des Micro-Balls funktionierte bisweilen überragend, dabei war der Kader über die gesamte Postseason nie komplett.

Natürlich hat ihr Run und haben die Playoffs im Allgemeinen auch gezeigt, wie viele Faktoren am Ende mit hineinspielen. In Runde eins wäre beinahe Endstation gewesen, weil die Clippers erst mit etwas Verzögerung erkannten, wie sie gegen ein limitiertes Mavericks-Team (und einen sensationellen Luka Doncic) spielen mussten.

Matchups spielen eine große Rolle, das hat nicht zuletzt Deandre Ayton bewiesen, gegen den der Small-Ball nicht uneingeschränkt funktionierte wie vorher gegen die Jazz und Rudy Gobert. Das wird auch in der kommenden Saison der Fall sein, solange es kein Team wie die 17er Warriors gibt, das mindestens eine Stufe über allen anderen Titelkandidaten schwebt.

Die Clippers sind kein derart perfektes Team, sie reihen sich stattdessen ein bei einigen Teams, die nach dieser Postseason sagen können: "Wenn wir gesund gewesen wären, hätte es vielleicht gereicht." Die Lakers und Nets, vielleicht sogar die Nuggets (oder Jazz?) können das ebenfalls tun. Wer von diesen Teams richtig liegt, werden wir nur nicht erfahren.

Verletzungen haben das Playoff-Bild in dieser Saison stark geprägt und das tun sie auch immer noch. Das ist an und für sich aber auch nicht neu - Glück spielte bei jedem Champion der Liga-Geschichte eine Rolle.

Eines Tages sind womöglich auch mal die notorisch glücklosen Clippers an der Reihe. Womöglich aber auch nicht mit diesem Kern; das ist der Punkt. Wenn man Garantien käuflich erwerben könnte, hätte Ballmer dies ja ohnehin längst getan.