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NBA - Toronto Raptors übertreffen alle Erwartungen: Die DNA eines Champions

Kyle Lowry und die Toronto Raptors stehen derzeit auf dem zweiten Rang in der Eastern Conference.
© getty

Nach dem Abgang von Kawhi Leonard im vergangenen Sommer haben die wenigsten den Toronto Raptors erneutes Championship-Potenzial zugetraut. Doch die Kanadier überraschen mit Rekorden, überragender Defense und dem ein oder anderen ungeschliffenen Juwel.

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Zwei goldene Championship-Gürtel, einen auf jeder Schulter. Es war mitnichten ein modisches Statement, damit hätte der Auftritt von Drake vor dem Spitzenspiel seiner Raptors gegen die Bucks eh nicht an die Accessoires eines Serge Ibaka heranreichen können. Nein, die Drakesche Inszenierung war als eindeutige Stichelei gegen die Bucks zu verstehen.

Einerseits als Anspielung an die WWE-Routine des Spitzenteams, mit der sich Giannis Antetokounmpo und Co. vor jedem Spiel heiß machen, indem sie sich selbst oder fremde Maskottchen vermöbeln. Andererseits sicherlich auch, um klarzumachen: Der Championship-Gürtel der NBA gehört immer noch den Raptors.

Kampflos werden die Kanadier den nicht hergeben. Das bewiesen die Raptors in einer hochklassigen Defensiv-Schlacht, auch wenn Milwaukee diese schließlich mit 108:97 für sich entschied. Und sie beweisen es bereits über die komplette Spielzeit.

Im Sommer 2019 hatte wohl kaum jemand damit gerechnet, dass Toronto erneut um einen Titel mitspielen würde. Nach den Abgängen von Kawhi Leonard und Danny Green, zwei Fünftel der Playoff-Starting-Five, wurde sogar spekuliert, dass Teampräsident Masai Ujiri im Laufe der Saison komplett die Reißleine ziehen, alle Veteranen traden und einen Rebuild einleiten könnte. Es kam ganz anders.

Toronto Raptors: So gut wie nie zuvor?

Nach gut zwei Dritteln der Saison stehen die Raptors mit 42 Siegen und 16 Niederlagen auf einem gefestigten zweiten Rang in der Eastern Conference, zwar mit einem deutlichen Rückstand auf die Bucks (50-8), aber auch mit einem kleinen Polster auf die Celtics (41-17) auf Platz drei.

Von Mitte Januar bis Mitte Februar legten die Raptors sogar den besten Lauf einer kanadischen Profi-Sportmannschaft überhaupt hin. 15 Siege in Folge, das schaffte zuvor noch kein Team aus dem hohen Norden Nordamerikas, weder in der NBA, noch in der CFL, NHL, MLS oder MLB. Und damit noch nicht genug: Derzeit ist Toronto auf dem besten Weg, mehr Siege einzufahren als mit Kawhi 2018/19.

Dessen Abgang in der Free Agency, war nicht der einzige personelle Aderlass, den die Raptors in der aktuellen Spielzeit zu verkraften hatten, wenn auch die anderen nicht von Dauer waren. Gemeint ist das Verletzungspech, das den Raptors immer wieder einen schweren Schlag zu versetzen drohte. Und doch immer wieder ohne Konsequenzen in der Raptors-Bilanz blieb.

In Person von Pascal Siakam, Kyle Lowry, Fred VanVleet, Serge Ibaka und Norman Powell haben die fünf besten Scorer des Teams allesamt bisher mindestens zehn Spiele verpasst. Auch wichtige Rollenspieler wie Marc Gasol standen immer wieder nicht zur Verfügung.

Die Topscorer der Toronto Raptors und ihre Einsatzzeiten

NameSpieleMinutenPunkte
Pascal Siakam4735,023,7
Kyle Lowry4636,419,2
Fred VanVleet4835,817,6
Serge Ibaka4727,115,9
Norman Powell3828,215,3

Toronto Raptors: Das Herz eines Champions

Es ist in gewisser Weise diese Championship-DNA, die dabei half, die Ausfälle zu kompensieren. "Unterschätze niemals das Herz eines Champions", wusste der ehemalige Rockets-Coach Rudy Tomjanovich schon 1995, als Houston den zweiten Titel in Folge gewann. Gut 25 Jahre später ist dieses Zitat genauso aktuell.

Was die Raptors 2019/20 ausmacht ist nicht die Star-Power eines Kawhi Leonards, sondern vielmehr die Bereitschaft, immer alles zu geben - vor allem in der Defense. In den sogenannten Hustle Stats ist Toronto in fast allen Kategorien weit oben vertreten, bei den Deflections pro Spiel liegen sie auf Rang eins (17,3), dazu sichern sie sich 8,3 Loose Balls pro Partie (Platz drei) und ziehen die fünftmeisten Offensiv-Fouls.

Diese Einsatzbereitschaft bezieht sich nicht nur auf Charges-Drawn-Künstler Lowry, sie zieht sich komplett durch das Raptors-Team. "Der Coach hat seinen Fokus die ganze Zeit auf der Defense. Wenn wir spielen wollen, dann müssen wir uns ebenfalls darauf konzentrieren", erklärte Chris Boucher nach dem Bucks-Spiel.

So überrascht es nicht, dass Toronto nach Defensiv-Rating die zweitbeste Verteidigung der Liga stellt (104,5 gegnerische Punkte pro 100 Possessions, Bucks auf Platz eins mit 101,7). Dabei lassen die Raptors die meisten gegnerischen Dreier zu, in der heutigen NBA eigentlich ein Rezept für Desaster.

Doch die Gegner treffen nur 33,5 Prozent ihrer Triples gegen Toronto, der niedrigste Wert in der NBA. Das liegt einerseits an starker Help-Defense, guten Rotationen, andererseits sicherlich auch an einer Prise Glück - und der Experimentierfreudigkeit von Coach Nick Nurse.

Toronto Raptors: Erfolgreiche Experimente

Der 52-Jährige hat sich in nur eineinhalb Jahren als Hauptverantwortlicher an der Seitenlinie den Ruf als einer der besten Head Coaches der Association erarbeitet. Berühmt-berüchtigt ist seine Box-and-One-Verteidigung aus den Finals vergangenes Jahr, doch auch in dieser Saison scheut er kein Wagnis mit den unterschiedlichsten Defensiv-Varianten.

"Ich neige dazu, ein paar Dinge in der regulären Saison auszuprobieren, die vielleicht nicht funktionieren und die ich in einem Playoff-Spiel eher nicht probieren würde", sagte Nurse. "Vielleicht mache ich es aber doch. Wer weiß?"

Vor allem, weil es ganz oft eben doch funktioniert. So bringt der Raptors-Coach den Gegner immer wieder mit gut getimten Umstellungen auf Zonenverteidigungen aus dem Rhythmus, auf der anderen Seite des Courts übernahm Siakam dank eines weiteren Leistungssprungs die Last als Nr.1-Option in der Offensive.

Raptors-Präsident Masai Ujiri und die ungeschliffenen Juwelen

Erwischt der Most-Improved-Player der vergangenen Saison (und auch der aktuellen?) doch mal einen schwächeren Abend, gibt es im tiefen Raptors-Kader genügend Akteure, die in die Bresche springen können: Angefangen natürlich bei Lowry oder VanVleet, aber auch Ibaka zaubert eine der besten Saisons seiner Karriere aufs Parkett - mit Ausnahme der Bucks-Partie vielleicht.

Dazu bewies Ujiri auch in dieser Saison sein Händchen bei der Suche nach neuen, ungeschliffenen Juwelen. Terence Davis überrascht als Undrafted Guard, Matt Thomas eskaliert nach seinem Wechsel von Valencia nach Toronto von Downtown (51,5 Prozent bei 2,4 Versuchen pro Partie) und Boucher zeigt auch auf höchstem Level, warum er 2019 sowohl den MVP- als auch den DPOY-Award in der G-League abräumte.

Der 27-Jährige zeigte einen starken Block gegen Giannis im vierten Viertel, zuvor holte er am anderen Ende des Courts einen krachenden Putback-Slam über den amtierenden MVP raus. Und wenig später kurbelte auch O.G. Anunoby, den man ebenfalls nicht vergessen darf, die Poster-Industrie zum Leidwesen des Griechen an.

Dominant gegen Kellerkinder, schwach gegen den Primus

Letztlich reichte die Offensiv-Leistung aber nicht (nur 35,2 Prozent FG), um gegen die zugegeben starke Bucks-Defense den Sieg zu holen, gegen Milwaukees Länge war Toronto manches Mal überfordert. Ganz generell bereitet hochkarätige Konkurrenz den Raptors so ihre Sorgen.

Zwar leistet sich der amtierende Champion keine Böcke gegen Teams mit einer negativen Bilanz (32 Siege, 3 Niederlagen!), doch gegen Teams über .500 steht Toronto nur bei 10-13. Ein mögliches Problem in der Postseason?

"Ich glaube, diese Jungs haben genug bewiesen, dass sie gewinnen können", sagte Coach Nurse vor wenigen Wochen. "Wir hatten eine Menge Verletzungen dieses Jahr und jeder springt in die Bresche. Das einzige, was du machen musst, ist rausgehen und vollen Einsatz zeigen. Gib dir selbst eine Chance zu gewinnen."

"Wenn du denkst, dass du weniger Talent hast oder kleiner bist oder was auch immer, bringe deine Energie und deine Toughness auf das nächste Level", so Nurse. Genauso, wie es echte Champions machen.

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