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NBA Playoffs: Joe Ingles bei den Utah Jazz: Farmer, circa 40 Jahre, dominiert

Joe Ingles ist mit den Utah Jazz einen Sieg von der zweiten Playoff-Runde entfernt.
© getty

Im vergangenen Sommer bekam Joe Ingles einen hochdotierten Vertrag von den Utah Jazz. Das wurde von vielen Seiten belächelt. Inzwischen ist aber klar: Der Australier mit "Farmer"-Optik ist für den Erfolg unverzichtbar. Das erleben derzeit auch die Oklahoma City Thunder.

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40 Jahre alter Farmer (O-Ton Donovan Mitchell), Mathematik-Lehrer (O-Ton Rudy Gobert), Slow-Mo Joe, Jinglin' Joe oder einfach nur Average Joe - dies sind die üblichen Bezeichnungen und Beschreibungen, die Joe Ingles in regelmäßigen Abständen über sich ergehen lassen muss.

Kein Wunder: Der 30-jährige Australier erweckt auf den ersten Blick nicht gerade den Eindruck, dass es sich bei ihm um einen NBA-Profi handeln könnte. Vor allem nicht um einen, der bei einem Playoff-Team in der Starting Five steht und dabei auch noch der X-Faktor für den Ausgang einer Serie ist.

Zum Glück ist Ingles dabei niemand, der sich von den Witzeleien um seine Person angegriffen fühlt. "Alles, was ich über mich höre, ist, dass ich ein langweiliger weißer Typ bin, dessen Haare langsam ausfallen", sagte er vor wenigen Wochen mit einem herzlichen Lachen gegenüber ESPN. "Und irgendwie stimmt es ja auch."

Utah Jazz: Joe Ingles trifft auf Paul George

Doch allerspätestens, seit die Utah Jazz kurz davorstehen, die Oklahoma City Thunder in der ersten Playoff-Runde auszuschalten, wird endlich auch in der breiten Öffentlichkeit primär über Ingles sportliche Qualitäten diskutiert. Und dabei gibt es absolut keinen Grund, nett gemeinte Witze zu machen. Denn auf dem Court versteht der Small Foward eher weniger Spaß.

Das wird auch Paul George bestätigen, der es oft mit Ingles im direkten Duell zu tun bekommt - es gibt angenehmere Aufgaben. Das sah man im vielleicht vorentscheidenden Spiel 4 schon während der ersten OKC-Possession: George stand bloß in der ballfernen Ecke herum. Und Ingles? Der zupfte und rupfte an Georges Trikot, suchte den Körperkontakt, wo eigentlich keiner nötig war und wich auch bei toten Bällen nicht von der Seite seines Kontrahenten. Stattdessen verfolgte er ihn hautnah oder grinste ihm einfach nur ins Gesicht.

Schon nach 4 Minuten hatte Ingles eines seiner Ziele erreicht: George war so genervt, dass er ihn bei einem Einwurf wegschubste und dafür ein Technical kassierte. "Es ist Playoff-Basketball. Da wird es hart, da wird es dreckig und physisch. Wir müssen den Kampf annehmen", erklärte PG-13 nach dem Spiel. Direkt über Ingles wollte er lieber nicht reden.

Joe Ingles: Statistisch der beste Jazz-Spieler?

Wenn Ingles auf dem Feld steht, weist er in den letzten drei Spielen ein Plus-Minus-Rating von +61 auf - der Bestwert aller Jazz-Akteure. Das zeigt, dass er nicht nur den Bösewicht auf dem Feld spielt, sondern das Spiel auch auf "klassischem" Wege beeinflusst.

In der Defense gleicht er seinen fehlenden Speed durch Länge, Timing und Antizipation aus. Wenn er nicht gerade gegen Westbrook ins Eins-gegen-Eins gehen muss, kann er fast alle Positionen verteidigen. Sicherlich nicht so, dass er einen direkten Ballgewinn forciert. Aber eben so, dass er den Rhythmus des gegnerischen Angriffs stört oder gar komplett lahmlegt. Dass OKC in Spiel 4 nur 10 (!) Assists spielte und oft keine Ideen außerhalb des Hero Ball hatte, war auch Ingles' Verdienst.

Darüber hinaus ist er der wichtigste Kommunikator in der Defense, sagt Switches an, weist Gegner und Positionen zu und knöpft sich auch mal einen Jungspund vor, wenn dieser defensiv nicht den Einsatz bringt, den Ingles selbst an den Tag legt.

"Habe mir in der ganzen Liga Respekt verdient"

Vor ein paar Jahren hatte er diesen Status noch nicht. Stand Ingles als Oldie-Rookie auf dem Feld, versuchten vor allem die Guards, ein Mismatch gegen ihn zu kreieren und dann eine Isolation anzukündigen. Denn an diesem weißen, alten Dude würde man schon vorbeikommen.

"Genau diese Einstellung hat mich motiviert", sagt Ingles heute. "Ich will mich von niemandem demütigen lassen. Deshalb habe ich noch härter an mir gearbeitet, da ich solche Situationen minimieren wollte. Das gelingt mir inzwischen ganz gut - und ich denke, dass ich mir in der ganzen Liga Respekt verdient habe."

Einfach war das für ihn sicherlich nicht. Das ist bei ungewöhnlich alten Rookies immer so. Ingles kam erst mit 27 Jahren in die Liga, zuvor fristete er sein Profi-Dasein in Australien, Spanien oder Israel. Im Sommer 2014 unterschrieb er dann einen Training-Camp-Vertrag bei den Clippers - eigenen Aussagen zufolge nur, um mal zu gucken, "was so geht". Mit einer wirklichen Chance rechnete er nicht, stattdessen stellte er sich darauf ein, zur neuen Saison nach Europa zurückzukehren.

Genauso wäre es auch fast gekommen - er schaffte den finalen Cut in den Clippers-Kader nicht. "Danach habe ich mit meiner Frau zu Mittag gegessen, bis ich erfuhr, dass Utah an mir Interesse hat. Wir haben alles stehen und liegen gelassen und sind sofort losgeflogen", erklärt er Jahre später.

In Salt Lake City sei es ihm zunächst nur darum gegangen, es über die Januar-Deadline hinaus zu schaffen, damit sein Minimal-Vertrag garantiert wird. Mit insgesamt 79 Spielen in der Saison 2014/15, 32 davon in der Starting Five, ist ihm das mit Bravour gelungen.

Head Coach Quin Synder förderte Ingles

Einer seiner größten Förderer ist Head Coach Quin Snyder, der von Anfang an sah, dass noch viel mehr in dem ungewöhnlichen Rookie schlummerte. Er sorgte dafür, dass sein Schützling nicht nur seine Physis verbessert, sondern auch sein offensives Repertoire erweitert: "Er ist der Beweis dafür, dass ein Spieler auch mitten in seiner Karriere noch entscheidende Leistungssprünge machen kann", so Snyder.

Genau solche Spieler braucht ein Small-Market-Team wie die Jazz, da kaum gestandene Stars den Weg an den Salzsee antreten werden. Kontinuierliche Spieler-Entwicklung und eine teamorientierte Ausrichtung sind der Weg, der zum Erfolg führt. Und wie man sieht, gelingt das so gut, dass der Verlust von Gordon Hayward im vergangenen Sommer kaum noch eine Rolle spielt.

Joe Ingles' Statistiken in der Serie gegen OKC

SpielMinutenPunkteFeldwurfquoteReboundsAssists
131135/921
23331/422
332217/1534
430206/1234

Ingles' harte Arbeit und Ausdauer belohnten die Jazz vergangenen Sommer mit einem neuen Vertrag für vier Jahre und 52 Millionen Dollar. Diese Summe wurde von vielen Seiten belächelt, aber General Manager Dennis Lindsey hatte überhaupt keine Bedenken. "Klar, viele Leute haben gesagt, dass dieser Vertrag Irrsinn ist", erklärte er. "Aber wir wissen, was wir an ihm haben."

Und das ist, Lindsey zufolge, ein Top 10 Small Forward innerhalb der ganzen Liga. Das mag etwas hochgegriffen sein, aber zumindest die Zahlen lassen solch eine These zu: In der Regular Season landete er unter den Small Forwards auf Platz 4 beim Real-Plus-Minus und auf Platz 4 aller Spieler bei der Dreierquote (44 Prozent).

Ingles mit Fast-Anklebreaker gegen George

Sein Wurf (oder sollte man lieber "seine Schleuder" sagen?) ist seine größte Waffe in der Offense, er sorgt mit seinem Händchen und seinem Gespür für die richtige Position abseits des Balles dafür, dass ein Donovan Mitchell Platz für seine Drives oder ein Ricky Rubio Platz für seine Pick-and-Rolls mit Rudy Gobert hat.

In Ausnahmefällen kann Ingles das Ballhandling auch selbst übernehmen: In der Anfangsphase von Spiel 4 beispielsweise schickte er bei einem High Pick-and-Roll seinen Gegenspieler Paul George mit einem Anklebreaker fast auf die Bretter. Es folgte ein Durchstecker auf Gobert und ein Dunk des Stifle Towers. Allerdings: Die Thunder verteidigten dieses Play, das die Jazz andauernd liefen, "wie ein Team, das noch nie zusammen trainiert hat", wie es ESPN-Reporter Zach Lowe treffend formulierte.

In diesem Punkt werden sich die Thunder steigern müssen, sonst dürfte die Serie nach dem fünften Spiel (Donnerstag, 3.30 Uhr) beendet sein. Spätestens dann wird auch die restliche NBA-Welt erkannt haben, dass Joe Ingles viel mehr ist als 40-jähriger Farmer. Nämlich, wie es Gobert ausdrückt, "ein sehr schlauer Basketball-Spieler mit großer Klappe und australischem Akzent."

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