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Die Evolution des Chris Bosh

Von Philipp Dornhegge
Chris Bosh ist in erster Linie Mitteldistanzschütze und dennoch gefährlich, wenn er zum Korb geht
© Getty

Am Sonntag treffen die Miami Heat auf die Los Angeles Lakers (ab 21.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE). Und egal wie gut Chris Bosh spielen wird, der dritte All-Star des Meisters wird auch in dieser Partie nur eine Nebenrolle spielen.
 

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Es gab Zeiten, da war Chris Bosh eine Double-Double-Maschine. Er griff Rebounds am Fließband ab, in der Offense lief jeder Angriff über den Lefty. Da ging Bosh im Low Post ans Werk, zog entweder in die Zone oder nahm Würfe aus dem Dribbling. Wurde er gedoppelt, fand er den freien Mitspieler.

24 Punkte und 11 Rebounds waren damals für Bosh keine überragenden Zahlen, sondern Normalität. Fast genau diese Zahlen verbuchte Bosh in der Saison 2009/2010, seiner letzten für die Toronto Raptors. Damals war der 4. Pick im Draft 2003 ein Superstar, ein Franchise Player. Viele Experten zählten ihn zu den 15 oder 20 besten Spielern der Welt.

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Was Bosh in seiner Zeit in Kanada allerdings nie beschieden war, war sportlicher Erfolg. Seine Mitspieler waren überwiegend unterqualifiziert, dennoch führte Bosh sein Team immerhin zwei Mal in die Playoffs. Doch er wusste: Seine Zukunft lag anderswo.

Bosh muss sich in Miami anpassen

Und so tat er sich mit LeBron James und Dwyane Wade zusammen, um in Miami endlich um den ersehnten Titel mitzuspielen. Wohl wissend, dass sich seine Rolle verändern würde. James und Wade sind balldominante Spieler, zogen das Spiel ihrer Teams (James in Cleveland, Wade in Miami) schon damals stets vom Perimeter auf.

Die Zeiten, in denen Bosh der Fixpunkt der Offense war, wären endgültig Geschichte und würden allenfalls sporadisch wiederkehren. Und trotzdem ließ er sich auf das Abenteuer ein. Um erfolgreich zu sein und um mit Jungs zusammen zu spielen, die zu seinen besten Freunden zählen.

"Es war schwer", sagt der 2,11-Meter-Mann rückblickend. "Ich hatte anfangs Probleme, aber das Wohl des Teams ist das Wichtigste. Daran musste ich mich gewöhnen. In der letzten Saison sind die Puzzleteile endlich für mich zusammengefallen." Die letzte Saison war die, in der Bosh und LeBron James endlich ihren ersten Titel gewannen.

"Ich habe meine Rolle in der Mannschaft gefunden, und darin versuche ich mich zu verbessern", so Bosh. Seine Rolle ist wie erwähnt nicht länger die des Go-to-Guys. James und Wade sind die Spieler, die den letzten Wurf kreieren, ob für sich oder für andere.

In den Playoffs 2012 entscheidend

Das heißt aber nicht unbedingt, dass Bosh nur noch ein Rollenspieler ist. Keineswegs. Die letztjährigen Playoffs haben genau das Gegenteil gezeigt: Bosh fiel einen Teil der Playoffs mit einer Bauchmuskelzerrung aus, die Folge waren zunächst Probleme gegen die aufstrebenden Indiana Pacers.

In der nächsten Runde drohte bereits das Aus, ehe Bosh zurückkehrte und entscheidend dazu beitrug, das Momentum auf die Seite der Heat zurückzuholen. "Ich mache das, was die Mannschaft in bestimmten Situationen braucht", sagte Bosh. "Ich kann mich anpassen."

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Gegen die Celtics war er einerseits als defensive Präsenz gegen Kevin Garnett gefragt, den Miami zuvor überhaupt nicht in den Griff bekommen hatte. Auf der anderen Seite des Courts fungierte er als Floor Spacer, also als Spieler, der so gut wirft, dass er seinen Verteidiger fest bindet und damit die Räume unter dem Korb für James und Wade freimacht.

Im entscheidenden siebten Spiel der Serie lief Bosh heiß, traf in 31 Minuten Spielzeit 8 von 10 Würfen, darunter drei Dreier. Und das, obwohl er noch lange nicht wieder in Topform war.

Der prototypische Big Man für Small Ball

In diesen Playoffs bekam Heat-Coach Erik Spoelstra die Bestätigung, dass Chris Bosh trotz seiner schlanken Statur als Center durchaus brauchbar ist. Weil er so ständig Mismatches kreiert und eine vierte Position für einen kleineren Spieler freimacht.

Bosh selbst ist der ideale Big Man für Miamis Small-Ball-Taktik: Er ist beweglich und schnell, dazu athletisch und immerhin stark genug, um gegen viele andere Center nicht völlig unterzugehen.

Natürlich stößt diese Taktik hier und da an ihre Grenzen. Gegen Utah, das konstant mit zwei Low-Post-Spielern spielt, ging das Konzept in diesem Jahr nicht auf. Meist aber ist es eher der Gegner, der Probleme bekommt.

Hangover macht sich bei der Reboundarbeit bemerkbar

Klar, seine Kritiker führen gern an, dass Bosh zu einem schlechten Rebounder verkommen sei. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Grad. Generell hat man das Gefühl, dass niemand unter einem größeren Meisterschafts-Hangover leidet als der gebürtige Texaner.

Bosh selbst ist der Meinung, dass "wir oft auf den Positionen zwei und drei super Rebounder auf dem Platz stehen haben. Es gibt jedes Spiel nur eine gewisse Menge an Rebounds, und wenn unsere Flügel-Spieler sie holen, leiden andere darunter". In der Tat zeigen die Zahlen, dass Miami als Team sehr viel besser reboundet, wenn Bosh spielt, als wenn er auf der Bank sitzt.

Ohnehin: Sein PER (Player Efficiency Rating) von 20,57 belegt, dass nur 21 Spieler in dieser Spielzeit effektiver spielen als Bosh. Sein Wert liegt dabei zwei Punkte höher, als eingangs der Saison prognostiziert wurde. Man kann also nicht sagen, dass Bosh enttäuschen würde.

Mehr als nur ein Spot-Up-Shooter

Vor allem hat er für das Mannschaftsspiel einen ungeheuren Wert. Laut "82games.com" nimmt Bosh 42 Prozent seiner Würfe in den letzten acht Sekunden der Shot Clock, weil er in Angriffen, die Miami ausspielt bzw. ausspielen muss, oft am Ende derjenige Spieler ist, der freisteht.

Und diesen Wurf, meist aus der Mitteldistanz, hat Bosh perfektioniert und trifft ihn mit hoher Präzision (54,2 Prozent). Profitiert er dabei von den Fähigkeiten seiner Star-Kollegen, offene Würfe für andere Spieler zu schaffen? Ganz bestimmt.

Dennoch wäre es falsch, Bosh als bloßen Spot-Up-Shooter kleinzureden. Anders als Mike Miller oder Ray Allen kann Bosh seinen Gegner immer noch locker im Dribbling schlagen, wenn dieser ihn zu eng verteidigt. Er ist zudem am Korb ein bärenstarker Finisher.

Was besonders auffällig ist, ist die Tatsache, dass sich Bosh, der früher als Weichei verlacht und dem nachgesagt wurde, dass er in engen Spielen den Schwanz einzieht, zunehmend selbstbewusst wird, wenn es um die Wurst geht.

Der König der Crunchtime?

Seine stark verbesserte Defense im Vergleich zu seiner Zeit in Toronto ist bestimmt ein Grund für die grandiosen Zahlen, die für Bosh in der Crunchtime (82games.com definiert diese als die letzten 5 Minuten eines Spiels oder Overtime, während keine Mannschaft mit mehr als 5 Punkten führt) zu Buche stehen.

Die Punktedifferenz der Heat auf die gesamte Saison gesehen beträgt dabei +66 Punkte, auf ein 48 Minuten dauerndes Spiel würde Miami jede Partie mit 30,2 Punkten Vorsprung gewinnen.

Zum Vergleich: Bei Wade wären es nur 24,2 Punkte, zwei ausgemachte Clutch-Performer haben derweil in dieser Spielzeit gar einen negativen Wert: Kobe Bryant steht bei einer Differenz von -34 Punkten, Dirk Nowitzki bei -4.

Schaut man sich allerdings die Wurfquoten an, fallen einem fast die Augen aus dem Kopf. Bosh nimmt in der Crunchtime sicher nicht annähernd so viele Würfe wie seine Kontrahenten, aber: Während weder Wade noch Nowitzki oder Bryant mehr als 44,4 Prozent ihrer Würfe treffen, fallen bei Bosh satte 88 Prozent der Schüsse, wenn es drauf ankommt!

Miami nur mit Bosh Titelfavorit

Würde Miami 48 Minuten Crunchtime spielen, dann hieße das, dass Bosh mit 7,8 Würfen aus dem Feld und 5,9 Freiwürfen auf 19,7 Punkte käme, Wade bräuchte für seine 20,7 Punkte dagegen 19,7 Würfe aus dem Feld und 3,5 Freiwürfe.

Zahlen, die zeigen, wie sehr sich Bosh an die Umstände angepasst hat - und dass er mehr Kompromisse eingehen musste als LeBron James und Dwyane Wade, als sich die drei zusammentaten. Bosh bekommt weniger Würfe, versteht es aber, aus seinen Chancen das Maximale herauszuholen.

Miami ist auch in diesem Jahr der Topfavorit auf die Meisterschaft. Aber klar ist: Nur mit einem fitten Chris Bosh hat das Team wirklich eine Chance auf die Titelverteidigung.

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