Rohe Gewalt oder feine Klinge?

Von Alexander Mey
Matthias Steiner gewann Gewichtheben-Gold in der Klasse über 105 Kilogramm
© Getty

Kein Jahresrückblick 2008 ohne Wahl zum Sportler des Jahres. Auch bei SPOX, aber ein bisschen anders. Hier geht es nicht nur um die nackte Leistung, sondern auch um bemerkenswerte oder kuriose Begleitumstände, die zu den Leistungen geführt haben. Und SPOX geht es nicht nur um die Helden 2008, auch um die Gurken des Jahres.

Cookie-Einstellungen

In Teil eins widmen wir uns den Helden des Jahres. Natürlich ist diese Liste subjektiv und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Sportler wie Usain Bolt, Rafael Nadal, Lewis Hamilton oder auch unsere Magdalena Neuner haben Großartiges geleistet. Aber in der SPOX-Liste ist eben nur Platz für acht.

Folgende Sportler stehen zu Wahl (Voting in der rechten Spalte):

Britta Heidemann (Fechten):

Was hat sie vor den Olympischen Spielen getönt, die gute Britta. China-Spezialistin war sie, die Sinologie-Studentin, Goldfavoritin im Degenfechten sowieso. Als ob das nicht schon Druck genug gewesen wäre, war sie sich vor den Spielen auch noch für keinen Klamauk zu schade. Fechten gegen Baptist Kerner, mehrmals, inklusive Revanche, dazu eine Omnipräsenz im TV, die sonst nur ARD-Allzweckwaffe Jörg Pilawa erreicht. Selten war der Boden für eine fürchterliche Blamage bei den Spielen fruchtbarer. Doch Heidemann behielt die Nerven, holte Gold, wie selbstverständlich - großartig!

Matthias Steiner (Gewichtheben):

Den Jubel des Kolosses nach dem letzten Versuch im Stoßen wird so schnell kaum jemand vergessen. Er schreit, er fällt auf die Knie, er reißt sich das Trikot vom Leib. Kurz: Er flippt total aus. Zu Recht, schließlich hatte der gebürtige Österreicher gerade eben das gigantische Gewicht von 258 Kilogramm in die Höhe gestemmt und dadurch kurz nach seiner Einbürgerung olympisches Gold für Deutschland geholt. Richtig rührend machte die Geschichte aber die Tatsache, dass erst kurz zuvor seine Frau bei einem Autounfall tödlich verunglückt war. Bei der Siegerehrung hielt er ihr Foto in die Kameras der Welt - Gänsehaut.

Sebastian Vettel (Formel 1):

Nach vier Saisonrennen war Vettel auf dem besten Weg zu einer der Gurken des Jahres. Bis dahin hatte er kein einziges Mal die Zielflagge gesehen. Doch ab Monaco wurde alles besser, und zwar gewaltig. Ab diesem Zeitpunkt fuhr Vettel im unterlegenden Toro Rosso in neun von 13 Rennen in die Punkte und deklassierte seinen Teamkollegen Sebastien Bourdais. Schön und gut, aber noch lange nichts gegen den Italien-GP. Denn den gewann Vettel, im Alter von 21 Jahren und 73 Tagen, als jüngster GP-Sieger aller Zeiten, als erster Deutscher nach Michael Schumacher. Ein Wort: Sensationell.

Britta Steffen (Schwimmen):

Mal ehrlich, wer hatte ernsthaft damit gerechnet, dass Britta Steffen den hohen Erwartungen bei den Olympischen Spielen gerecht werden würde?  Deutsche Schwimmer haben schließlich in den vergangenen Jahren so gut wie nie die Erwartungen erfüllt, nicht die der Öffentlichkeit, meistens noch nicht einmal ihre eigenen. In Peking war das nicht anders, sie versagten der Reihe nach. Bis Steffen kam, mit der Last der Hoffnung einer ganzen Nation auf den Schultern. Nach der Wende beim 100 Meter Freistil-Finale war Steffen noch Letzte, auf dem besten Weg zur Versagerin. Dann rollte sie das Feld auf und gewann Gold. So wie wenige Tage später über 50 Meter noch einmal. Respekt, Frau Steffen!

1899 Hoffenheim (Fußball):

73 Punkte und 78:39 Tore. Das ist die Bilanz des ehemaligen Kreisligisten im Jahr 2008. 1991 stieg die TSG von der A-Liga in die Bezirksliga auf, 18 Jahre später schaut sie eine Winterpause lang auf den großen FC Bayern München herab. Doch die nackten Zahlen allein machen Hoffenheim nicht heldenhaft. Es ist die Philosophie, es ist der Spielwitz, es ist die Show. Von vielen wird Hoffenheim als Neureichen-Klub gehasst, aber Fakt ist: Das, was das Baby von Milliardär Dietmar Hopp in nur einer Halbserie in der Bundesliga bewegt hat, haben eine ganze Menge Traditionsklubs in einem Jahrzehnt nicht geschafft.

Michael Phelps (Schwimmen):

Michael Phelps hat nicht nur Geschichte geschrieben, er ist Geschichte - und das mit läppischen 23 Jahren. 14 Mal Olympiasieger, 17 Mal Weltmeister - einfach nur unfassbar. In Peking hat Phelps acht Goldmedaillen geholt und damit den Uralt-Rekord von Mark Spitz von den Spielen in München 1972 um eine Goldmedaille verbessert. So gut wie Phelps war noch nie ein Sportler bei Olympischen Spielen, noch nicht einmal annähernd. Der Festspiele dramatischster Akt war das Finale über 100 Meter Schmetterling. Phelps sah schon wie der Verlierer aus, schob sich aber beim Anschlag noch um Fingerbreite an Milorad Cavic vorbei. Vorsprung: 1/100 Sekunde.

Hinrich Romeike (Reiten):

"H(e)inrich, mir graut vor dir." Gretchen hat's gesagt, im Faust, in dem von Goethe. Ohne das "e" im Vornamen hätten es auch die Konkurrenten im Military-Wettbewerb von Peking sagen können. Allen graute vor Hinrich, denn Hinrich war unschlagbar. "Nennt Eure Kinder Hinrich", hätte DDR-Reporterlegende Heinz-Florian Oertel nach dem Doppelgold von Romeike wohl gefordert. So wie 1984, als Waldemar Cierpinski Olympiasieger im Marathon wurde. "Nennt Eure Kinder Waldemar", sagte Oertel damals. Bei aller Liebe, Hinrich sollten Eltern ihre Kinder nur im Notfall nennen, zumal den Namen in einem Jahr ohnehin nicht mehr viele kennen werden. Das ist das Schicksal von Olympiasiegern in Randsportarten. Sie sind Helden für ein Jahr. In dieser Zeit sollte man sie aber auch würdigen.

Luis Aragones (Fußball):

Aragones ist alt, Spötter werden sagen uralt. Er hat eine kauzige Art, steht auf Kriegsfuß mit den Medien und hat auch schon mal durch politisch fragwürdige Aussprüche von sich reden gemacht. Und dann hat er vor der Fußball-EM auch noch Spaniens Nationalheiligtum Raul aus dem Kader der Nationalmannschaft gestrichen. Ein Skandal, raus mit diesem Aragones, schrieben einige Zeitungen. Es werde Zeit, schließlich stand Aragones schon zuvor ein ums andere Mal auf der Kippe. Er ist geblieben, hat der Mannschaft trotz seiner 70 Jahre ein modernes Spielsystem beigebracht - und ist Europameister geworden. Noch Fragen?

Hier geht es zu den Gurken des Jahres 2008