Phillips und seine Pferdchen

Roman Brandt
09. Juni 201509:37
Die Broncos gehen mit einer veränderten Defense in die kommende Saisongetty
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Die Broncos-Defense gehörte im letzten Jahr bereits zu den besten Verteidigungen der Liga. Dennoch wurde mit Wade Phillips ein neuer Defensive Coordinator verpflichtet. Durch ein neues System soll der 67-Jährige das Team weiter verbessern. Das Personal dafür ist vorhanden, doch es gibt auch noch Fragezeichen.

5,3 erlaubte Yards pro Spielzug über die Luft (ligaweit Platz eins) und eine Success Rate von 62,9 Prozent gegen den Lauf (Platz drei). Trotzdem war man in Colorado mit der Abwehrleistung der Wildpferde nicht gänzlich zufrieden. Defensive Coordinator Jack Del Rio wurde ohne viel Gegenwehr zum Kontrahenten aus Oakland ziehen gelassen. Warum?

Weil A) die Defensive beim peinlichen Playoff-Aus gegen die Colts die Niederlage nicht verhindern konnte und B) Denver nach den Akquisitionen von Ware, Talib und Ward eine mit Stars gespickte Defensive aufwies, die noch weitaus dominanter hätte auftreten können. Die risikoarme Taktik von Del Rio wurde dabei oft moniert. Trotz der Sack-Spezialisten Ware und Von Miller lief Denver bei der adjusted Sack Rate an der Ziellinie der regulären Saison ligaweit nur auf Rang 23 (6,3 Prozent) ein. Auch beim Playoff-Aus konnte man zu selten Druck auf Colts-Quarterback Andrew Luck entfachen.

Ein Vorwurf, den sich der neue Defensive Coordinator Wade Phillips selten gefallen lassen musste. Was wird sich unter dem 68-Jährigen in Denver ändern? Was zeichnet den Broncos-Rückkehrer und seine Defensiven überhaupt aus?

Entering...Wade Phillips

Es klingt wie eine Plattitüde, aber das Coaching wurde Wade Phillips in die Wiege gelegt. Sein Vater Andrew "Bum" Phillips (Phillips Twitter-Handle lautet deswegen @sunofbum) war unter anderem Head Coach der New Orleans Saints, zuvor war er sowohl bei den San Diego Chargers als auch Houston Oilers als Defensive Coordinator tätig. Diese Leidenschaft gab der Senior an seinen Sohnemann weiter.

Nachdem Phillips 1969 an der University of Houston unter Bill Yeoman als Assistent und anschließend in Oklahoma und Kansas erste Erfahrungen am College sammeln darf, wechselt er 1976 (Fun Fact: Das Jahr von Peyton Mannings Geburt) als Defensive Line Coach zu den Houston Oilers. Nach Stationen bei den Saints und Eagles landet er 1989 das erste Mal bei den Denver Broncos - und das mit vollem Erfolg.

Bereits im ersten Jahr verbessert sich die Abwehr der Broncos in allen Bereichen massiv (u.a. Yards allowed von Platz 22 auf 3, Yards per Play von 18 auf 3, Sack Rate von 14 auf 4). Dabei profitiert Phillips auch von elitären Spielern wie Steve Atwater oder Dennis Smith auf der Safety-Position oder dem OLB-Duo Karl Mecklenburg und Simon Fletcher.

Verbessert in allen Bereichen

"Verbesserung" ist generell ein Attribut, das man Phillips zuschreiben darf. In seinen acht Stationen als Defensive Coordinator oder Head Coach verbesserte sich die von ihm betreute Abwehr z.B. im Schnitt um über 10 Plätze bei den erlaubten Yards pro Spielzug oder über 9 Positionen bei der Sack Rate. Er ist es auch, der die Houston Texans Defense in seinem ersten Jahr von einer der schlechtesten Abwehrreihen der Liga in eine der besseren verwandelte. Er profitiert dabei selbstredend vom massiven Talent eines J.J. Watts, andererseits implementiert er für Watt bei den Texans ein perfektes System, in dem dieser erfolgreich agieren kann.

Es wird spannend zu sehen sein, ob ihm ein ähnliches Unterfangen auch bei der bereits sehr guten Abwehr der Broncos gelingen wird. Bei kaum einer anderen Station konnte Phillips ein solches Potpourri an Weltklasse-Spielern (Ware, Von Miller, Talib, Harris, Ward wurden letztes Jahr in den Pro Bowl berufen) wie nun in Denver vorfinden.

Können Ware und Von Miller unter dem neuen DC das unaufhaltbare Sack-Duo werden, welches den Fans bereits im Vorfeld der letzten Spielzeit versprochen wurde? Und wie funktioniert eine Wade Phillips Abwehr in der Regel?

Feel the Rush

Soft - diesen Vorwurf musste sich Jack Del Rio bei der abschließenden Leistungsbewertung gefallen lassen. Trotz der beiden herausragenden Man to Man-Coverage Cornerbacks Aqib Talib und Chris Harris Jr. ließ JDR oft den nötigen Druck vermissen. Beide Defensive Backs sollten meist in der Zone verteidigen, Blitzes wurden zu selten eingesetzt.

Das wird sich unter dem neuen DC ändern. Chris Harris ließ bereits verlauten, dass er sich freut, gegnerische Wide Receiver auf seiner Insel begrüßen zu dürfen. Das Eins-gegen-Eins-Duell (meist ohne Hilfe der Safeties) wird in der neuen Spielzeit wieder vermehrt zu bestaunen sein - etwas das Denver noch vom zukünftigen Hall of Famer Champ Bailey gewohnt ist.

Dabei wird Denvers Abwehr nicht gänzlich anders aussehen. Auch J. Del Rio ließ in Base Downs die Defense in einem 4-3 under (Nose Tackle ist auf der Seite des gegnerischen Tight Ends aufgestellt, der 3-technique DT beginnt dagegen in Richtung des "freien" Feldes; die unten stehende Grafik zeigt des Weiteren die Ähnlichkeit zu einer 3-4 Defense) agieren.

Beide Defensiven sind eigentlich 5-2 (5 an der D-Line, 2 LB) Formationen; während das 4-3 ein One Gap-System ist, bearbeiten die D-Liner im 3-4 jeweils 2 LückenRoman Brandt

One-Gap-System unter Phillips

Die hybride Front und die Aufgabe der Spieler werden im Vergleich zur Vorsaison somit nicht drastisch anders aussehen. Trotzdem wird Denvers Defensive anno 2015 abweichend auftreten. Die traditionelle 3-4 Defense ist ein Konstrukt aus 3 D-Line Spielern, die je 2 Gaps beackern und 4 Linebackern, die die jeweilige Spielsituation lesen und darauf reagieren müssen.

Phillips lässt hingegen ein One-Gap-System (typisch für eine 4-3 Defense) laufen. Der Unterschied? Im One Gap-Scheme muss der Down Lineman laut Aufgabenstellung nicht reagieren. Nachdem der Spielzug angesagt wurde, darf der Verteidiger nämlich "proaktiv" handeln. Er muss nicht erst abwarten, was die Situation auf dem Feld hergibt. Er weiß im Vorfeld genau, welche Lücke er bearbeiten bzw. attackieren soll - ein Vorteil gegenüber dem Gegenspieler. Das schafft mehr Verunsicherung und erschwert die Arbeit für die gegnerische Offensive.

Für den Angriff ist nicht sofort ersichtlich aus welcher Richtung der Druck kommt oder wie viele Spieler sich auf die Jagd auf den Quarterback machen. Aufgrund dessen muss die Offense immer genügend Blocker auf dem Feld zur Verfügung stellen. Diese Anpassung ermöglicht Phillips' Abwehrreihen 5 oder gar 6 Spieler auf den gegnerischen Spielführer loszulassen - und das ohne die Secondary zu opfern.

Vier Erfolgsfaktoren

Etwas was den Trainer Phillips des Weiteren ausmacht, ist die Tatsache, dass er die Qualitäten seiner Spieler nicht blind in sein System presst, sondern sein Scheme stets an das vorhandene Personal adjustiert.

Phillips' Erfolgsfaktoren lauten dabei: Aufgabenzuteilung (Assignment), Ausführung (Alignment) und Technik/Verantwortung (Technique/Responsibility).

Er erklärt seine Art der Spielerführung (siehe Video) anhand der Positionsbeschreibung des Strongside-Linebackers: Der SAM erhält als Aufgabe die Lücke auf der äußeren Seite des Tight Ends. Als Technik soll der Linebacker dann je nach Situation entweder gegen den Lauf oder gegen den Pass verteidigen.

Kein Watt - kein Problem?

Die Art dieser Verteidigung hängt jedoch stark vom jeweiligen Spieler und seinen Qualitäten ab. Ein agiler und sehr athletischer SAM kann etwa weiter weg vom TE beginnen, um so mit mehr Geschwindigkeit den Gegner angehen zu können. So wird jeder Spieler in die für ihn bestmögliche Spielsituation manövriert. Kein Abwehrspieler muss Aufgaben auf dem Feld erledigen, die er nicht gut beherrscht.

Man denke nur an den sich immer der Defensive Line entlang bewegenden J.J. Watt aus dem letzten Jahr, der auf diese Weise kontinuierlich Mismatches kreiert und dadurch Chaos bei Gegner generiert. Einen Watt sucht man in Denver vergebens, doch auch in Mile High gibt es Qualität...

Seite 1: Das System des Wade Phillips

Seite 2: Wie wird Denvers Defense aussehen?

Die Veränderung in der Abwehr der Broncos lässt sich wohl mit dem Begriff "Facelift" am besten beschreiben. Sowohl das Personal als auch die Aufstellung wird sich nicht gravierend verändern. Personell stellt der Verlust von Nose Tackle Terrance Knighton und Free Safety Rahim Moore den größten Umschwung dar.

Den nach Washington abgewanderten Pot Roast (für ein überraschend geringes Jahressalär von etwa 4,45 Mio. Dollar) soll Sylvester Williams auf der Nose Tacke-Position ersetzen. Der 26-Jährige geht in seine dritte Profisaison und konnte bisher nicht vollends überzeugen.

Williams im Fokus

Die Tatsache, dass Denver erst in der sechsten Runde einen Nose Tackle (Darius Kilgo) an Land gezogen und mit Marvin Austin nur einen legitimen Ersatz im Roster hat, weist jedoch darauf hin, dass die Verantwortlichen in Denver Sly Williams noch nicht abgeschrieben haben. In der letzten Spielzeit war er laut PFF der drittschlechteste Verteidiger im gesamten Roster. Er wird sich daher heuer immens steigern müssen - sonst ist seine Zukunft bei den Pferden in Gefahr.

Stand jetzt werden Derek Wolfe und Malik Jackson die Defensive-End-Positionen bekleiden. Wolfe sollte die Rolle als 5-technique Defensive End im neuen System entgegenkommen. Er pendelte letztes Jahr im 4-3 je nach Situation und Gegner immer wieder zwischen der Tackle- und End-Position. Als NFL Tackle ist er eigentlich etwas zu schwach auf der Brust, andererseits ist er auch kein flinker Edge Rusher. Dadurch gerät er immer wieder in für ihn nachteilige Duelle. Im neuen 3-4 System kann er seine Tweenerfähigkeiten hingegen besser einsetzen.

Leistungssprung bei Jackson

Sein Gegenüber Jackson hat letztes Jahr einen riesigen Leistungssprung gemacht. Beweise? Trotz lediglich 578 Snaps (zum Vergleich: Ware 753, Miller 927) bewertete ihn Pro Football Focus mit der dritthöchsten Saisonnote (23,7) in Denvers starbesetzter Truppe (hinter Miller und Harris).

Dabei agiert Jackson sowohl gegen den Lauf als auch im Pass Rush sehr effektiv. Sollte er - was zu vermuten ist - einen weiteren Leistungssprung machen, dann wird er in naher Zukunft endgültig in die Riege der besten D-Liner der NFL vorstoßen.

Jackson wird dabei genauso wie die anderen Linemen vom neuen Defensive Line Coach Bill Kollar profitieren. In seinen fast drei Dekaden als Trainer war Kollar unter anderem für die Entwicklung von Spielern wie J.J. Watt, Mario Williams oder Leonard Little mitverantwortlich.

SPOXRoman Brandt

Überragendes Linebacker-Corps

Auch das Linebacker-Corps, welches Phillips in Denver vorfindet, sieht auf dem Papier formidabel aus. Es gibt schlimmeres als den zukünftigen Hall of Famer DeMarcus Ware auf der einen und Denvers Rush-Monster Von Miller auf der anderen Seite aufbieten zu können.

Miller bewies in Jahr eins nach seinem Kreuzbandriss seine Ausnahmequalitäten. Trotz auf den ersten Blick etwas enttäuschenden 14 Sacks erreichte Von schon fast wieder seine prä-Kreuzbandriss-Form. Er war neben Chris Harris der konstanteste Verteidiger im Team.

Pro Football Focus honorierte seine Leistung mit dem zehnten Platz der Top 101 der Spielzeit 2014. Er dürfte von den weniger werdenden Coverage-Verantwortlichkeiten im neuen System profitieren. Miller ist jedoch auch gegen das Laufspiel eine Waffe. PFF bewertete Denvers Nummer 58 als stärksten Laufverteidiger unter allen 4-3 Outside Linebackern der Liga.

Ware spielte bereits vier Jahre unter Phillips in Dallas. Dabei gelangen ihm 14, 20, 11 und 15,5 Sacks. Beide Outside Linebacker werden sich voll und ganz auf die Jagd nach dem gegnerischen QB konzentrieren dürfen.

Unterstützung wird dieses Duo in erster Linie vom diesjährigen Erstrunden-Pick Shane Ray erhalten. Ray hat einen unfassbar schnellen ersten Schritt und dürfte mit diesem viele Offensive Tackles in Bredouille bringen. Laut PFF hatte er unter den College Edge Rushern in der abgelaufenen Spielzeit die dritthöchste Pass Rushing Grade.

Der Pass-Rushing-Spezialist aus Missouri (14 Sacks bedeuten ebenfalls Rang 3 in der NCAA) wird vor allem Ware immer wieder Erholungspausen gönnen. Ray wird in seiner ersten Profispielzeit primär als situativer aber regelmäßiger Edge Rusher zu Einsatzzeiten kommen. SPOX

Eine Schwachstelle, die keine ist?

Dass sich die äußeren Linebacker in erster Linie um den Pass Rush kümmern dürfen, liegt an dem Personal im Inneren des Feldes. Sowohl Brandon Marshall als auch Danny Trevathan gelten als herausragende Coverage Linebacker, die aber auch gegen den Lauf als Tackle-Maschinen gefürchtet sind. Die beiden Spieler könnten somit auch eine der größten Schwachstellen der Phillip'schen Defensive ausmerzen.

Seine Abwehrreihen weisen oft Probleme gegen kurze schnelle Pässe in die Mitte des Feldes auf. Zwei gute Passverteidiger können hier Abhilfe schaffen. Aufgrund ihrer Polyvalenz können sowohl Danny als auch Brandon vielfältig eingesetzt werden. Sie können blitzen, den Quarterback ausspionieren, Receiver decken - eigentlich alles um die Gegner an einem erfolgreichen Spielzug zu hindern.

Irvings Abgang schmerzt

Hinter den beiden Inside Linebackern stehen jedoch aufgrund der jüngsten Verletzungshistorie noch Fragezeichen. Trevathan fiel mit Knieschmerzen nahezu die ganze Saison aus, auch Marshall verletzte sich zum Ende der Spielzeit am Fuß und musste im März operiert werden.

Der Abgang von Nate Irving gen Indianapolis tut daher doppelt weh. Irving ist aufgrund seiner kräftigen Statur ein guter Verteidiger gegen den Lauf - etwas das Denver in gleicher Qualität im aktuellen Kader vermissen lässt. Außerdem ist die Tiefe hinter den beiden projizierten Startern ausbaufähig. S. Johnson, C. Brewer, T. Davis, S. Barrett oder L. Barrow sind aktuell nicht mehr als ordentliche Rollenspieler.

Das Backfield als Trumpf

Neben dem guten Coverage-Personal im Linebacker-Corps gibt es jedoch einen weiteren Mannschaftsteil, der Phillips' aggressiven Stil zugute kommen dürfte: Denvers Secondary.

Mit Harris und Talib hat Denver eines der besten Cornerback-Tandems der Liga. Beide sind Man-to-Man-Coverage-Spezialisten, die gegnerischen Angreifer ohne fremde Hilfe in Schach halten können.

Harris erlaubte letztes Jahr gegnerischen Quarterbacks, wenn sie in seine Deckung werfen, etwa ein QB Rating von lediglich 47,8, ein Wert von 0,57 Yards per Coverage Snap sind ebenfalls beachtlich.

Auch Talib spielte eine sehr ordentliche Spielzeit. Sowohl gegen den Lauf als auch den Pass machte er seine Sache das Jahr über ordentlich. Die mit Abstand schlechteste Saisonleistung hob er sich leider für T.Y. Hilton und die Colts im Divisional Game auf, als er vom gegnerischen Colts-Receiver mehrmals düpiert wurde. Trotzdem hat auch Talib bewiesen, dass er mit seiner physischen Spielweise gegnerische Nummer 1-Receiver ausschalten kann.

Dadurch kann die Abwehr weiter vorne aggressiver vorgehen und mehr Leute gen QB schicken.

Sollte sich Bradley Roby nach der ordentlichen Rookie-Saison weiter steigern, dürften die Broncos wieder ein bären...ähm...pferdestarkes Defensive Backfield (dazu Ward und Stewart auf Safety) aufbieten können.

The Sky is the Limit

Bereits letztes Jahr gehörte die Abwehr der Denver Broncos zu den besten in der Liga. Das Spielermaterial gepaart mit dem System des neuen Defensive Coordinators Wade Phillips könnte diese Defensive noch furchteinflößender machen.

Ein sehr wahrscheinliches Szenario ist, dass Denver ligaweit wieder eine Top drei Abwehr stellen und gegnerische Spielmacher im Vergleich zum Vorjahr wesentlich öfter unter Druck setzen können wird. Von Miller dürfte wieder an der 20 Sack-Marke kratzen und endgültig an seine Form vor der Verletzung anknüpfen.

Dafür muss Sylvester Williams jedoch den nächsten Schritt in seiner sportlichen Entwicklung machen und die Inside Linebacker Brandon Marshall und Danny Trevathan gesund bleiben. Dann gilt für diese Abwehr aber: Sky is the Limit.

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Die Broncos im Überblick