Vom Keller zum Titel und wieder zurück

Von Clemens Stork
Guido Buchwald, Fredi Bobic, Cacau und Mario Gomez erlebten mit dem VfB erfolgreiche Jahre
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1993 - 1998

Der neuerliche Absturz

Wie bereits 1984 folgte auf den Titelgewinn erneut der sportliche Absturz, der mit dem Wechselfehler von Leeds (Daum wechselte gegen Leeds United in der Qualifikationsrunde zur neugegründeten Champions League einen 4. Ausländer ein) seinen Anfang nahm. In der Folge verpasste man vier Jahre lang die Qualifikation fürs internationale Geschäft.

Durch Premiere als Pay-TV Anbieter und der digitalen Übertragungstechnik gab es mittlerweile die Möglichkeit, jedes Spiel an jedem Spieltag einzeln live zu übertragen. Die Präsenz des Fußballs war überragend und man konnte nun endlich jedes Spiel des VfB live verfolgen.

Das magische Dreieck

Die Mannschaft hatte in dieser Zeit ein vollkommen verändertes Gesicht bekommen. Das VfB-Urgestein Guido Buchwald hatte den VfB 1994 verlassen und im Kader befanden sich Routiniers wie Eike Immel, Carlos Dunga und Thomas Berthold, sowie die bis dahin vollkommen unbekannten Fredi Bobic und Giovane Elber. 1996 verstärkte man sich mit Krassimir Balakov, Zvonimir Soldo und Frank Verlaat und brannte in der Folgesaison 1997 unter dem neuen Trainer Jogi Löw ein wahres Offensiv-Feuerwerk ab, dass damals Synonym für "das magische Dreieck" stand.

Man landete am Ende zwar "nur" auf Platz 4 in der Liga, schoss aber mit 78 Toren und einer Tordifferenz von +38 die Konkurrenz in Grund und Boden. Balakov, Bobic und Elber erzielten allein 49 der 78 Tore. Nebenbei vergoldete man sich diese Saison mit einem DFB-Pokalsieg im Finale gegen Cottbus. Das Halbfinale gewann man übrigens 2:1 gegen den Hamburger Sport Verein. Siege wie diesen hatten aus Sicht eines Hamburg VfB-Fans einen höheren Stellwert, als Siege gegen den FC Bayern oder andere Teams.

Zum ersten Mal klopften einem sogar die HSV-Fans anerkennend auf die Schulter und man war nicht mehr ein schwäbischer Sonderling in der norddeutschen Tiefebene. In diesem Jahr war fast jeder Spieltag ein Fest und der Saisonerfolg bestand nicht in einer möglichst hohen Platzierung zum Saisonende, sondern in der Art und Weise, wie Fußball gespielt wurde: Offensiv und begeisternd! Leider verließ Elber am Ende dieser Saison den VfB in Richtung München, nicht ohne den VfB zuvor im DFB-Pokalfinale mit 2 Toren zum 2:0 Sieg gegen Cottbus zu schießen.

Somit existierte das magische Dreieck nur zwei Saisons lang. Im Folgejahr 1998 erreichte man im Cup der Pokalsieger zwar das Finale gegen den FC Chelsea, verlor dort aber unglücklich 0:1 durch einen Treffer des gerade zuvor eingewechselten Franco Zola.

1999 - 2007

Die jungen Wilden Teil eins

In den Jahren danach litt der VfB unter der Präsidentschaft von Gerhard Mayer-Vorfelder ("MV"), der zum einen mit einer unglücklichen Transferstrategie und Transferflops wie Didi, Markovic, Stojkovski und Zaharievski und Trainer-Entscheidungen wie Winnie Schäfer den VfB in seine bis dahin größte sportliche Krise seit dem Wiederaufstieg führte. 2001 sicherte erst das 1:0 von Krassimir Balakov am vorletzten Spieltag gegen den FC Schalke 04 den Klassenerhalt.

Mittlerweile schwang Felix Magath das Trainer-Zepter in Stuttgart und setzte aufgrund der schwierigen finanziellen Situation neben den alten Recken um Balakov, Bordon und Soldo überwiegend auf junge Talente wie Hinkel, Hildebrand und Hleb. Dieser hartumkämpfte Klassenerhalt war sozusagen die Initialzündung für einen neuerlichen Aufschwung des VfB Stuttgart. In der folgenden Saison holte man ein weiteres Talent aus der 2. Mannschaft in den Profi-Kader: Kevin Kuranyi. Mit Fernando Meira verstärkte man zudem die Abwehr mit einem Klasse-Spieler und qualifizierte sich völlig überraschend in der Saison 2002 / 03 als Vize-Meister für die Champions League.

Hier begeisterten die "jungen Wilden" in der Gruppenphase gegen das damals übermächtige Manchester United mit einem epischen 2:1 Heimsieg. Die Mannschaft qualifizierte sich in der Folge zwei Mal für den UEFA-Cup, aber 2005 zerfiel die Mannschaft und nachdem bereits ein Jahr zuvor Felix Magath zum FC Bayern München gewechselt war, verließen auch Kuranyi, Lahm und Hleb den VfB.

Das verpasste Double

Als Nachfolger wurde "Mister" Giovanni Trapattoni verpflichtetet, der allerdings in seiner Zeit beim VfB durch seine defensive Spielweise nicht in das Anforderungsprofil des Vereins passte und Stuttgart nach nur einem Jahr wieder verlassen musste.

Die Trainer-Übergangslösung Armin Veh entpuppte sich dagegen als absoluter Glücksfall für die Schwaben. Man holte 2006 - wie bereits einige Jahre zuvor unter Magath - diverse Nachwuchsspieler aus der eigenen Jugend in den Profikader. Mit Spielern wie Timo Hildebrand, Serdar Tasci, Sami Khedira und Mario Gomez und absoluten Volltreffern bei den Neuverpflichtungen, wie Pavel Pardo, Ricardo Osorio und Roberto Hilbert konnte man vollkommen überraschend die Liga-Schwäche für eine weitere Überraschungsmeisterschaft ausnutzen. Unvergessen auch das Finale am letzten Spieltag mit einem 2:1 Sieg gegen Energie Cottbus durch Tore von Thomas Hitzlsperger und Sami Khedira.

Stützen der Meistermannschaft waren neben den Shootingstars um Mario Gomez, Timo Hildebrand, Serdar Tasci und Sami Khedira auch Cacau, Thomas Hitzlsperger, Fernando Meira und Matthieu Delpierre. Man erreichte in diesem Jahr zusätzlich auch noch das Finale im DFB-Pokal gegen den 1. FC Nürnberg, verlor dort aber ausgesprochen unglücklich 2:3 in der Verlängerung, nachdem Cacau bereits in der 31. Minute beim Stand von 1:0 mit einer roten Karte vom Platz gestellt wurde.

2008 - 2015

Umbruch und Fehler im Erfolg

Wie bereits bei den beiden Meisterschaften zuvor konnte der Schwung nicht in die Folgesaison mitgenommen werden und so erreichte der VfB 2008 nur mit Müh und Not den sechsten Platz. Die Meistermannschaft war 2009 bis auf Pavel Pardo, Timo Hildebrand und Fernando Meira zwar noch weitestgehend beisammen, aber die vermeintlichen Verstärkungen wie Boulahrouz, Bastürk, Simak, Ljuboja oder Marica floppten allesamt. Lediglich aufgrund eines überragenden Mario Gomez konnte man mit Platz drei noch einmal in die Champions League einziehen.

Dort lieferte man 2010 in der Gruppenphase dem FC Barcelona - zu der Zeit die vielleicht beste Vereinsmannschaft der Welt - mit einem 1:1 im heimischen Gottlieb-Daimler Stadion einen grandiosen Kampf. Mittlerweile war Mario Gomez, die Lebensversicherung des VfB, zum FC Bayern München gewechselt. Sein Nachfolger, Pavel Pogrebnyak, konnte ihn nie gleichwertig ersetzen.

Auf der Trainerposition wurde man zudem in der Vereinsführung Jahr für Jahr unruhiger und wechselte sozusagen im Zwölf-Monats-Rhythmus von Veh auf Babbel, zu Gross, Keller und Labbadia. Nachdem auch Thomas Hitzlsperger, Mario Gomez und Sami Khedira den Verein verlassen hatten, fehlte eine stabile Achse in der Mannschaft. Zahlreiche Zukäufe wie Pogrebnyak, Kuzmanovic oder auch die kurzzeitige Rückholaktion von Aliaksandr Hleb bescherten nicht mehr den gewünschten dauerhaften sportlichen Erfolg.

Man leistete sich zudem teure Bankdrücker wie den abgehalfterten Mauro Camoranesi oder Invaliden wie Johan Audel, um gleichzeitig sein letztes Tafelsilber an jungen Spielern mit Perspektive wie Bernd Leno oder Christian Träsch an die Konkurrenz abzugeben.

Der Niedergang der sportlichen Substanz

Das Bestreben der Vereinsführung unter Präsident Staudt, den VfB Stuttgart infrastrukturell mit einem modernisierten Stadion zukunftssicher aufzustellen, war sicher der richtige Ansatz, die Stärkung der sportlichen Substanz des Kaders ging aber verloren. Gleichzeitig verlor der VfB aufgrund der teuren Kader-Gehaltsstruktur und den vielen langfristigen überteuerten Verträgen, die noch unter Horst Heldt abgeschlossen wurden, die finanzielle Potenz, um dem Liga-Wettbewerb auf Augenhöhe entgegenzutreten.

Das Erreichen des DFB-Pokalfinals gegen den FC Bayern München 2013 unter Bruno Labbadia darf unter der Rubrik Glück eingeordnet werden, welches dann auch gegen den frisch gekürten Champions League Sieger erwartungsgemäß 2:3 verloren ging. Auch das zweimalige Erreichen der Europa League über den Hintereingang UI-Cup konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Verein sich bereits auf dem Weg in die sportliche Belanglosigkeit befand.

Das große Abstiegsfinale

Sowohl 2013, als auch 2014 rutschte man bereits bedrohlich in den Tabellenkeller. Die Erwartungshaltung der Fans war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls im Keller und es war klar, dass diese Mannschaft in diversen Bereichen dringende Verstärkungen benötigte, die aus finanziellen Gründen aber nicht mehr getätigt werden konnten.

Zu Beginn der nunmehr zurückliegenden Saison 2014 / 15 holte man den Meistertrainer von 2007 zurück ins Ländle. Armin Veh musste allerdings früh erkennen, dass die sportliche Substanz für einen Klassenerhalt sehr gering war und trat am 12. Spieltag der Hinrunde zurück. Huub Stevens, bereits die Saison zuvor als Feuerwehrmann beim VfB erfolgreich, übernahm erneut und kämpfte mit der Mannschaft bis zum 34. Spieltag bravourös und am Ende auch erfolgreich um den Klassenerhalt, welcher allerdings erst am 34. Spieltag mit einem 2:1 in Paderborn sichergestellt werden konnte.

Eine Blaupause zu 2001 für eine bessere Zukunft?

Der Verein hatte in der Vergangenheit eigentlich immer seine schwächsten Phasen nach großen sportlichen Erfolgen, stieg aber nach sportlichen Abstürzen mehrfach wie Phoenix aus der Asche empor und überraschte nicht nur Außenstehende, sondern auch die eigenen Fans wie beispielsweise 1978, 2002 oder 2007.

Trainer Huub Stevens wird in der kommenden Saison durch Alexander Zorniger ersetzt und der Kader wird mit Sicherheit ebenfalls einige personelle Veränderungen erfahren. Hinzu kommen diesmal auch neue Verantwortlichkeiten in fast allen Bereichen des VfB Stuttgart mit einem Sportvorstand Robin Dutt, der möglicherweise die richtige Vision für eine strategische Neuausrichtung des Vereins verfolgt.

Bereits 2001 und auch 2007 mussten aufgrund finanziell schwieriger Rahmenbedingungen strukturelle Veränderungen durch einen personellen Unterbau eigener Talente eingeleitet werden. Gelingt dieser Prozess auch diesmal, kann der schwäbische Vorzeige-Verein optimistisch in die Zukunft blicken. Ein ganz wichtiger Schritt in eine bessere Zukunft ist mit dem Auftreten der Mannschaft in diesem letzten Saisondrittel verbunden, der zum einen den Glauben an die eigene sportliche Stärke zurückgebracht hat und zum anderen den inneren Zusammenhalt im gesamten Verein zwischen Mannschaft, Vereinsführung und Fans festigen konnte.

Wenn alle Verantwortlichen und auch die Mannschaft die richtigen Schlüsse aus diesem Warnschuss eines Fast-Abstiegs ziehen, kann der VfB Stuttgart seiner Vereinshistorie in Zukunft hoffentlich weitere sportliche Höhepunkte hinzufügen.

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