Magisch, tragisch und dramatisch

Von Jonas Schützeneder
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Der große Heimvorteil

Blickpunt Eiskunstlauf: Die überraschende Niederlage der Koreanerin Kim Yuna erhitzte die Gemüter. Die Weltmeisterin hatte sich in der Damen-Kür höchst umstritten hinter der Russin Adelina Sotnikowa mit Silber begnügen müssen. Für Experten und Fans ein echter Skandal. "Es wird interessant zu beobachten sein, ob Sotnikowa irgendwann einmal außerhalb Russlands eine solche Punktzahl erreicht", sagte Yunas früherer Trainer Byeon Seoun-Jun.

Pikant dabei: Wegen der neu eingeführten Anonymität der Punkrichter wird nur das Endergebnis der Starter sichtbar. Doppelt pikant: die Besetzung der Jury. Punkte vergaben unter anderem Alla Schechowzowa, Ehefrau des russischen Eiskunstlauf-Generalsekretärs. Als sogenannter technischer Kontrolleur wirkte Alexander Lakernik (Russland) mit, seinerzeit beim Paarlauf-Skandal in Salt Lake City als Assistent der Schiedsrichterin involviert. Auf einen Protest verzichtete die unterlegene Koreanerin. Und die Siegerin? Sotnikowa wollte sich ihren Titel nicht schlecht reden lassen. "Ich bin eine sehr schwierige Kür gelaufen, ich habe diese Medaille verdient." Es sei der Lauf ihres Lebens gewesen.

Gold für den kranken Opa

"Omi, da isch d'Dominique...". Weiter kommt sie nicht. Hemmungslos weinend sackt die frisch gebackenen Olympia-Siegerin zusammen. Eben hat Dominique Gisin Gold in der Abfahrt geholt. Kurzer Jubel, dann schnell zum Handy. Den Sieg will sie dem schwer kranken Großvater widmen. Ihr erster Trainer und Chauffeur zum Training.

"Ich bin überglücklich, dass Großpapa meinen Olympiasieg noch erleben durfte", sagte Gisin später. Im heimischen Basel hatten die Großeltern eine Kerze angezündet und für die Enkelin gebetet. Mit dem Olympiasieg gelang der 28-Jährigen der ersehnte Triumph. Und der fiel knapp aus: Tina Maze stürzte sich als letzte große Konkurrentin auf die Piste und fuhr zunächst einen Vorsprung auf die bis dahin Führende Gisin heraus. Im Ziel leuchtete auf: 0,00! Zeitgleich! Zum ersten Mal ein Doppel-Gold in einem alpinen Damen-Rennen!

Exoten on Tour

Knapp über 1,1 Millionen Einwohner, mittlerer Temperaturschnitt 15 Grad, tropisches Klima. Klingt nicht nach einem Paradies für Skifahrer. Yohan Goncalves aus Osttimor will sich trotzdem beweisen. Der 19-Jähirge startete im Slalom für den kleinen Inselstaat, der zwischen Indonesien und Australien liegt. Etwa 75.000 Euro haben ihn Vorbereitung und Reise gekostet. Respektabel: Von 117 Startern holte sich Goncalves im Slalom Platz 77! Er fuhr zwar die langsamste Zeit (+27,94 Sekunden), kam jedoch im Gegensatz zu zahlreichen Konkurrenten ins Ziel. Was wären die Spiele ohne die Winter-Exoten!

Da dürfen natürlich auch Jamaikas Bobfahrer nicht fehlen. Alles andere als perfekt verlief der Start für die "Cool Runnings" in Sotschi. Bei der Anreise fehlten Teile ihres Gepäcks. Im Wettkampf reichte es dann nur zum vorletzten Rang. Auch weil ein Konkurrent im letzten Lauf nicht mehr angetreten war. Gefeiert wurden Winston Watts und Marvin Dixon trotzdem frenetisch. Da geriet der russische Bob-Held Alex Subkow fast ein wenig in den Hintergrund.

Ski statt Geige: Vanessa Mae verdient Ihr Geld normalerweise mit dem Verkauf ihrer Musik. In Sotschi ging die 35-jährige Ausnahmeviolonistin für Thailand im Riesenslalom an den Start. Als pure Marketing-Idee kritisiert, zeigte die Musikerin aber dann doch eine ganz ordentliche Leistung bei schweren Bedingungen. Mit dem letzten Platz war sie trotzdem nicht unzufrieden. "Immerhin nicht komplett blamiert", sagte sie im Anschluss.

Mit einem anderen Wunsch war Mathilde-Aivi Petitjeamn im klassischen Langlauf der Damen angetreten. Sie wolle Afrika inspirieren, sagte die Frau aus Togo vor ihrem Start. Sportlich gab erwartungsgemäß nichts zu holen. Ein schönes Erlebnis war es für die junge Frau aber allemal: Abseits der Loipe feierte sie in Sotschi ihren 20. Geburtstag und ein bisschen Inspiration für ihre Heimat.

Sotschis dunkler Schatten

Sie war gerade aufgestanden und beim Frühstück, als Evi Sachenbacher-Stehle zurück in den Traum geholt wurde. In ihren "schlimmsten Albtraum", wie sie später sagt. Am Morgen des Staffelrennens der Damen teilte ihr der deutsche Missionschef Michael Vesper mit, dass sie nach dem 4. Platz im Massenstart positiv auf leistungsfördernde Substanzen getestet worden sei.

Der Doping-Skandal rund um die ehemalige Langläuferin erschütterte das deutsche Team und ganz Sotschi. Danach wurden vier weitere positive Proben veröffentlicht. Die zugehörigen Sportler Johannes Dürr (Österreich, Langlauf), Vitalijs Pavlovs (Lettland, Eishockey), Marina Lisogor (Ukraine, Langlauf) und William Frullani (Italien, Bob) wurden genau wie Sachenbacher-Stehle von den Spielen ausgeschlossen. Es ist Sotschis dunkler Schatten, der die feierlichen Sport-Festtage verdunkelt. Ob dumm, ungewollt oder unglücklich: Sachenbacher-Stehles Doping war ein olympischer Moment, auf den alle gerne verzichtet hätten.

Abgang eines Dramaturgen

Er verzückte über Jahre die russischen Wintersport-Fans mit Ausstrahlung, Risiko und Entertainment. Er sei auf dem Eis sein eigener Dramaturg schrieben die Medien über Jewgeni Pluschenko. Der zweifache Eiskunstlauf-Olympiasieger galt auch in Sotschi als ganz großer Hoffnungsträger für Gold. Nach Gold im Team dann das große Drama: Über Nacht sagte Pluschenko seinen Start im Einzel-Wettbewerb ab. Bei einem Sturz war eine Schraube in seinem Rücken gebrochen, die ihm bei einer früheren Operation eingesetzt worden war.

Die Schmerzen seien nicht mehr zu ertragen gewesen, begründete Pluschenko seinen Rückzug. Er wurde daraufhin hart kritisiert. Er hätte starten können, sagten die einen. Er hätte den Platz früher an seinen Teamkollegen Maxim Kowtun abgeben müssen, schimpften die anderen. Mit Pluschenko verabschiedete sich ein ganz großer Star mit Gold, aber dennoch unwürdig, von der Bühne. Ob er nach der nächsten Operation, die diese Woche stattfinden soll, nochmal aufs Eis zurückkehrt, ist fraglich. Als Dramaturg hätte Pluschenko sein Karriereende sicher anders gestaltet.

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