China greift mit militärischem Drill nach Gold

SID

Peking - Schon Mao Tsetung sorgte sich um die körperliche Leistungsfähigkeit der Chinesen, die bis heute eng mit dem Status Chinas in der Welt verknüpft wird.

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"Unserer Nation mangelt es an Stärke", beklagte der Revolutionär 1917 in seiner ersten bedeutenden Schrift, die sich ausgerechnet mit dem Sport beschäftigte. "Wenn unsere Körper nicht stark sind, werden wir Angst bekommen, sobald wir den Feind sehen - wie können wir dann unsere Ziele erfüllen und uns Respekt verschaffen?"

Rund 400 000 Athleten arbeiten heute in 3000 Sportschulen darauf hin, dass China eines Tages auch sportlich als Weltmacht den nötigen Respekt verdient. Dreiviertel der heutigen Spitzenathleten haben ihre Karriere in solchen Schulen begonnen - mit hartem Training, eiserner Disziplin und vielen Entbehrungen.

Drill ersetzt Training

Oft ersetzt militärischer Drill vernünftige Trainingsarbeit. "Als ich kam, wurde der Sportler zehnmal am Tag zusammengeschissen", berichtete Ex-Bundestrainer Joseph Capousek über seine dreieinhalb Jahre als Cheftrainer der chinesischen Kanuten. "Bei schlechter Leistung ist immer der Sportler schuld, weil er nicht fleißig genug trainiert." Der Fehler werde nie bei Trainern gesucht.

Viele seien selbst ehemalige Sportler, schlecht ausgebildet und "kein bisschen qualifiziert". Selbst bei regenerativen Pausen der Sportler werde Faulheit unterstellt. Funktionäre forderten "mit Gewalt" schnelle Erfolge. "Das ganze System ist faul", klagte Capousek, der nach Kontroversen mit Chinas Kanu-Verband im Juni entlassen wurde.

Die Nachwuchsförderung fängt früh an. In der Shichahai-Sportschule in Peking, wo Achtjährige hoch konzentriert trainieren, sagt Turntrainer Zhao Gengbo: "Sie leben ihren Traum." Er räumt ein, dass es "ein langer und schwieriger Weg" sei. Die 1958 gegründete Schule hat Olympiasieger und Weltmeister hervorgebracht - nicht zuletzt den Actionhelden und Hollywoodstar Jet Li.

Rund zehn Ex-Schüler von Shichahai treten bei den Sommerspielen an. Mit mehr als 550 Athleten ist Chinas Olympia-Mannschaft so groß wie nie zuvor. Nichts würde das Gastland mehr freuen, als den USA den Spitzenplatz bei den Goldmedaillen streitig zu machen.

Hoffen auf 46 Medaillen

Die Erwartungen werden heruntergespielt. "Gold ist nicht alles", sagte der Vizedirektor der Sportverwaltung, Cui Dalin. Dabei berichten Trainer, dass nichts anderes als Gold von ihnen erwartet wird. Wer Zweiter wird, verliert. Die Sportler sind schon nervös und fürchten, den hohen Erwartungen nicht gerecht werden zu können.

"Der Druck als Gastgeber könnte negative Auswirkungen auf die Sportler haben", warnte Cui Dalin, was erklärt, warum sich China in den Erwartungen lieber hinter den USA und Russland positioniert. Chinesische Sportfans hoffen gleichwohl auf 41 bis 46 Goldmedaillen. In Athen waren es mit 32 nur 4 weniger als von den USA gewonnen.

US-Teamchef Steven Roush stellt sich auf die Herausforderung ein: "Das gastgebende Land ist sehr stark und hat unglaubliche Verbesserungen zwischen Sydney und Athen gezeigt", sagte Roush. "Es wird für uns in ihrem eigenen Land sehr schwierig, den Status als Nummer Eins zu wahren." Die planwirtschaftliche Förderung in China, die umgerechnet hunderte Millionen US-Dollar in den Sport steckt, betrachtet der US-Teamchef nicht ohne Neid.

Zwar ist der Sport für viele ein Ausweg aus der Armut, doch zögern immer mehr chinesische Eltern, ihre meist einzigen Kinder auf eine Sportschule zu stecken. Die normale Bildung kommt zu kurz, und das Risiko ist zu groß, dass sie es nicht an die Spitze schaffen. "Wir haben immer weniger erfolgversprechende Athleten", klagte Vizesportminister Cai Zhenhua.

"Wir hatten früher die besten Talentreserven der Welt, aber die Situation ist heute anders." Nicht jeder wird auch ein Großverdiener. Für die Mehrheit sieht die Zukunft düster aus: 80 Prozent der früheren Spitzenathleten leiden nach chinesischen Schätzungen unter Arbeitslosigkeit, Armut oder Gesundheitsproblemen durch völlig überzogene Trainingsmethoden.

Kampf gegen Doping

In den 90er Jahren machten vor allem Chinas Schwimmer noch durch Doping von sich reden. Auch flog vor zwei Jahren eine Sportschule in Nordostchina wegen kollektiven Dopings auf. Bei einer Razzia in einem Trainingscamp der Anshan Sportschule in der Provinz Liaoning wurden Mitarbeiter auf frischer Tat ertappt, wie sie den Jugendlichen verbotene Substanzen spritzten.

Chinas zentrale Sportbehörden kämpfen glaubhaft gegen den Einsatz leistungsfördernder Mittel. Gerade auf Provinzebene gibt es aber noch schwarze Schafe.

Doch der Gastgeber will sich seine Spiele in Peking auf keinen Fall durch einen peinlichen Doping-Skandal in den eigenen Reihen verderben lassen. Es drohen harsche Strafen: Dopingsünder werden lebenslang gesperrt. Ihre Teamkollegen leiden mit, da das gesamte Provinzteam von der nächsten nationalen Meisterschaft verbannt wird. "Bloß kein Doping - lieber auf eine Medaille verzichten", lautet der Befehl aus Peking.

Empört schildert Kanutrainer Capousek aber, dass als Gründe nicht die Gesundheitsgefahren für die Athleten oder olympisches Fairplay genannt werden, "sondern der Schaden für das politische Ansehen Chinas. Da zuckt man doch ein bisschen".