"Mein Gefühl sagt Severin Freund"

Von Christoph Köckeis
Auf Severin Freund ruhen die deutschen Hoffnungen auf den ersten Tournee-Erfolg seit 2002
© Imago

Die Vierschanzentournee elektrisiert. Nach Jahren einseitiger deutsch-österreichischer Rivalität ist der Zweiländerkampf wieder neu entbrannt. Bevor die Adler zur 61. Auflage abheben, checkt Andreas "Goldi" Goldberger die Favoriten. SPOX verrät der zweimalige Titelträger, wer die vierjährige Dominanz seiner Landsleute bricht.

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Gregor Schlierenzauer: Der Titelverteidiger

Er jagt einen Jahrhundert-Rekord. Und das mit gerade einmal 22 Jahren. 43 Siege stehen der Ausnahmeerscheinung zu Buche. Dass er die Marke von Skandalboy Matti Nykänen knackt, scheint beschlossene Sache. Noch drei Mal muss Schlierenzauer das oberste Treppchen erklimmen. Zeitdruck verspürt er dabei nicht: "Das Geniale ist, dass ich so viel erreicht habe und alles auf mich zukommen lasse."

Mit dem Gelben Trikot des Weltcup-Spitzenreiters im Gepäck reist er an. Über ihn führt der Weg zum Ruhm. Früher hemmten ihn solche hohen Ansprüche oftmals. Doch der ehrgeizige Österreicher ist gereift, wirkt lockerer denn je. Den Kindheitstraum erfüllte er sich bereits. "Ich habe die Tournee letztes Jahr gewonnen. Sie ist der König. Es ist ein Event mit großer Tradition, sehr geiler Stimmung", schwärmt Schlierenzauer.

"Goldis" Prognose: "Gregor hat gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er ist super in Form, warum sollte er sich da verrückt machen. Ihm liegen die Schanzen, wobei die Unterschiede nicht so eklatant sind wie früher. Nur Bischofshofen fällt da völlig aus der Reihe. Er war allerdings schon überall erfolgreich."

Severin Freund: Der Herausforderer

Die DSV-Armada erlebt zurzeit ungeahnte Höhenflüge. Mit bislang zwei Erfolgen entfachte Freund eine landesweite Euphorie. Nun wartet die Bewährungsprobe. In den folgenden Tagen wird jede Bewegung kritisch verfolgt. Auf ihn konzentriert sich das mediale Interesse. Der 24-jährige Bayer lässt sich von diesen Nebengeräuschen nicht beirren: "Es ist eine Ehre, wenn man als Mitfavorit gehandelt wird", sieht er dem bevorstehenden Spießrutenlauf im "Tagesspiegel" gelassen entgegen.

Freund genießt die Aufmerksamkeit. Im April - nach einem Bandscheibeneingriff - war daran nicht zu denken. Das Aufbautraining verlangte ihm alles ab: "Das war hart. Als ich bei den ersten Sprüngen den Rücken nicht merkte, war alles okay. Skispringen ist auch Kopfsache." Und im Kopf ist er frei. So frei, um Deutschland den ersten Triumph seit Sven Hannawalds Grand Slam 2002 zu bescheren?

"Goldis" Prognose: "Severin konnte letztes Jahr den Premierensieg einfahren, aber war nicht konstant gut. Jetzt weiß er sein Potenzial abzurufen. Er kennt die Erwartungshaltung, machte damit seine Erfahrungen. Daher wird er besser damit umgehen, sie in positive Energie umwandeln. Mein Gefühl sagt Severin Freund. Mich fasziniert, was er geleistet hat."

Andreas Kofler: Der Unberechenbare

Wie man die Tournee gewinnt, weiß Kofler bestens. 2009/10 gelang ihm das Meisterstück. Eine Saison zuvor auf dem Abstellgleis Continentalcup gelandet, überraschte seine imposante Rückkehr. Weniger überraschend ist dagegen seine derzeitige Paradeform. In der Vergangenheit machten Rückenbeschwerden eine gezielte Vorbereitung unmöglich. "Diesen Sommer konnte ich auf einem ganz anderen Level trainieren."

Durch Physiotherapie und spezielle Methoden stärkte er seine Muskulatur. Arbeit, die sich bezahlt macht. Ab Kuusamo, der zweiten Station, brillierte er, rangierte stets unter den Top-Ten. Überdies hat der zweifache Saisonsieger gelernt, auf seinen Körper zu hören: "Jetzt gehe ich meinen eigenen Weg, trage mehr Verantwortung." Während einige Kollegen vor Weihnachten trainierten, gönnte sich Kofler lieber Ruhe. Das zeugt von Selbstbewusstsein.

"Goldis" Prognose: "Oft ist es gut, einen anderen Bewegungsablauf zu lernen, seine Schwachstellen zu bearbeiten. Wenn Körper, Technik, Material und Kopf zusammenspielen, ist für ihn viel möglich. Wenn ein Rädchen nicht in das andere greift, kann es schlecht ausgehen. Er gibt immer Vollgas. Da gibt es keine Gnade."

Andreas Wellinger: Der Shootingstar

Er verblüfft die Fachwelt, wird als Wunderkind gepriesen. Zu Recht. Wellinger ist der Prototyp eines Senkrechtstarters. Aus dem Nichts sprang er mitten in die Weltelite, bei der Olympia-Generalprobe für Sotschi 2014 erstmals auf das Podium. "Dass es so schnell geht, habe ich nicht geglaubt. Bis zum Auftakt in Lillehammer kannte mich niemand. Mittlerweile werfen sie bestimmt ein Auge auf mich."

Der plötzliche Bekanntheitsgrad steigt dem 17 Jahre alten Bayer jedenfalls nicht zu Kopf: "Ich freue mich einfach, als Schüler ein bisschen zu verdienen." Etwa 30.000 Euro sind es schon. Die Tournee könnte seinen Marktwert vervielfachen. "Es ist eine tolle Geschichte, was er geleistet hat", lobt DSV-Trainer Werner Schuster. Wellinger, der Idol Hannawald nacheifert, lässt der Trubel kalt: "Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe."

"Goldis" Prognose: "Es ist schon etwas anderes, ob du in Sotschi oder Engelberg springst. Oder eben in Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen, Innsbruck und Bischofshofen. Dort jubeln dir Tausende zu. Da tut sich ein Norweger leichter, um den kümmert sich keiner. Wellinger wird seine Leistung bringen, das wünsche ich ihm. Für den Gesamtsieg wird es jedoch nicht reichen."

Anders Bardal: Der Außenseiter

"Zlatanera" heißt der jüngste Begriff im schwedischen Sprachgebrauch. Abgeleitet von Stürmerstar Zlatan Ibrahimovic bedeutet dies "etwas mit Kraft dominieren". Absurd. Ob die Nachbarn aus dem hohen Norden einen Neologismus für Bardal kreieren, darf also bezweifelt werden. Es käme aber einer Steigerung von Konstanz gleich.

Keiner springt im Zirkus regelmäßiger in die Spitze als der Norweger. So eroberte er in der Vorsaison den Gesamtweltcup, verwies die dominanten Österreicher auf die Ränge. Und so wird der Routinier den nächsten Angriff auf den Thron planen. Bis auf eine Ausnahme in Engelberg, als er Elfter wurde, klassierte er sich ausschließlich unter den besten Zehn. Sollte die Konkurrenz bei der Tournee überraschend patzen, stünde Bardal wohl dankend bereit.

"Goldis" Prognose: "Er könnte durchaus als lachender Dritter aus dem Zweikampf zwischen DSV und ÖSV hervorgehen. So wie einst Janne Ahonen im Jahr 2008. Er kann sich im Medienrummel locker bewegen, sich bewusster vorbereiten und Kräfte sparen."

Der Weltcup-Kalender im Überblick