Kommentar zum French-Open-Triumph von Novak Djokovic: Vom Gipfelstürmer zum GOAT in 91 Tagen

Novak Djokovic hat zum zweiten Mal in seiner Karriere die French Open gewonnen.
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Mit seinem Comeback-Sieg über Stefanos Tsitsipas im French-Open-Finale hat Novak Djokovic seiner Karriere ein weiteres episches Kapitel hinzugefügt. Der Titel des "Besten Spielers aller Zeiten" dürfte dem Gipfelstürmer aus Serbien in genau drei Monaten endgültig nicht mehr zu nehmen sein. Ein Kommentar.

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"Gegen ihn hier zu gewinnen ist, als ob man den Mount Everest besteigt", sagte ein überglücklicher, aber auch erschöpfter Djokovic nach seinem Viersatzsieg über French-Open-Dominator Rafael Nadal. In einem Match von historischer Qualität - der dritte Durchgang wurde als "bester Satz aller Zeiten" gefeiert - hatte der Djoker seinen Dauerrivalen bezwungen, hatte den ultimativen Gipfel dieser Tennis-Ära erklommen, zum zweiten Mal bereits nach 2015.

Fun Fact: Der Aufstieg zum Mount Everest auf 8.848 Meter Höhe dauert alles in allem rund zwei Monate - und statistisch gesehen gibt es die meisten Unfälle auf dem Abstieg vom Gipfel. Djokovic blieben nicht einmal 48 Stunden, um den Sieg gegen Nadal körperlich und emotional zu verarbeiten und dann mit Stefanos Tsitsipas die nächste Hürde in Angriff zu nehmen.

Um bei diesem Bild zu bleiben: Es durfte insofern nicht überraschen, dass Djokovic im Endspiel gegen seinen zwölf Jahre jüngeren Gegner der Sauerstoff auszugehen drohte - und irgendwie passte es auch ins Bild, dass der Nadal-Bezwinger das Turnier zuvor noch nie gewinnen konnte, auch wenn es dazu lediglich zwei Gelegenheiten (2009 Robin Söderling, 2015 Djokovic) gab. Nach zwei gespielten Sätzen schien Nole platt, beim Griechen waren dagegen keinerlei Ermüdungserscheinungen und keine Nervosität erkennbar: Tsitsipas spielte in den entscheidenden Situationen sein bestes Tennis.

Novak Djokovic: "Ich weiß, wie ich meinen Gegner zermürben kann"

Aber Djokovic wäre nicht Djokovic, wenn er nicht doch irgendwie einen Ausweg aus der scheinbar ausweglosen Situation gefunden hätte - wie schon gefühlt unzählige Male in seiner Karriere. "Ich spiele die jungen Spieler gerne über best-of-five, weil ich immer noch an meine Chance glaube, selbst wenn ich 0:2 in den Sätzen zurückliege", hatte er wenige Tage zuvor nach dem Sieg über Lorenzo Musetti (6:7, 6:7, 6:1, 6:0, 4:0 Aufgabe Musetti) betont. "Ich bin körperlich fit und weiß, wie ich meinen Gegner zermürben kann."

Mit anderen Worten: "Ich stehe mit dem Rücken zur Wand - und habe dich genau da, wo ich dich haben will."

Die Comeback-Qualitäten des Mentalitätsmonsters Novak Djokovic, sie sind längst legendär. An diesem Wochenende fügte er der Sammlung zwei neue Kapitel hinzu: Zunächst der Sieg über Nadal, nachdem er im ersten Satz schon 0:5 zurückgelegen hatte, dann sein erster Sieg in einem Grand-Slam-Finale nach 0:2-Satzrückstand überhaupt. "Wenn ich eines heute gelernt habe, dann dass ein Match erst nach drei gewonnenen Sätzen vorbei ist", sagte ein zerknirschter Tsitsipas nach dem Match. "Zwei Sätze bedeuten überhaupt nichts." Alexander Zverev kann ein Lied davon singen.

Am Ende war Djokovic nicht nur der mental stärkere, sondern auch der fittere Spieler auf dem Platz, ähnlich wie im Match gegen Nadal. Mit mittlerweile 34 scheint er auf einem weiteren Zenit seiner Schaffenskraft angelangt.

Und so drängt sich erneut die Frage nach dem "Greatest of all time" im Herrentennis auf. Es ist ziemlich genau acht Monate her, da lag Nadal drei Slams vor Djokovic und hatte diesen gerade auf dem Philippe Chatrier in Paris gedemütigt. Plötzlich liegt Djokovic wieder auf der Überholspur - nur ein Major fehlt ihm noch, um mit den 20 von Rafa und Roger Federer gleichzuziehen.

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Novak Djokovic: Mit dem US-Open-Titel zum endgültigen GOAT

Das könnte schon in wenigen Wochen der Fall sein, Wimbledon steht vor der Tür. Aber damit ist es längst nicht getan: In dieser Form ist der Djoker bei den nächsten drei anstehenden Grand Slams Favorit. In Wimbledon hat er seit 2016 kein Match mehr verloren (2017 musste er verletzt aufgeben, danach gewann er zwei Titel), die Australian Open sind ohnehin sein Lieblingsturnier.

Und Flushing Meadows? Genau 91 Tage sind es noch bis zum US-Open-Finale am 12. September. Es hätte etwas Poetisches, sollte Djokovic am Ort seiner vielleicht größten Niederlage - der Disqualifikation im vergangenen Jahr - nicht nur um den 21. Slam spielen, sondern gleichzeitig auch um den "Grand Slam" mit vier Titeln in einem Kalenderjahr. Und vielleicht ja sogar um den "Golden Slam", sollte er bei den Olympischen Spielen in Tokio antreten und dort die Goldmedaille gewinnen. Spätestens hier müsste man die GOAT-Diskussion wohl endgültig zu den Akten legen.

Alle vier Grand Slams in einem Jahr - und dazu Olympiagold? Eigentlich eine unüberwindbare Hürde, nicht umsonst hat das in der Open Era seit Rod Laver 1962 kein Spieler mehr geschafft (bei den Damen Steffi Graf im Jahr 1988).

Aber dass er die höchsten Gipfel seines Sportes erklimmen kann, das hat Novak Djokovic ja gerade bewiesen.

French Open, Herren: Die Sieger der vergangenen zehn Jahre

JahrSieger Männer
2021Novak Djokovic
2020Rafael Nadal
2019Rafael Nadal
2018Rafael Nadal
2017Rafael Nadal
2016Novak Djokovic
2015Stanislaw Wawrinka
2014Rafael Nadal
2013Rafael Nadal
2012Rafael Nadal