"Das war gar nichts"

Von Cliff Schmit
Der Schweizer steht zum ersten Mal seit 2003 in keinem Grand-Slam-Finale
© getty

Federers Krisensaison erlebt ihren nächsten Tiefpunkt. Gegen einen spanischen Sandplatzspezialisten scheidet der Großmeister chancenlos aus. Die Zuschauer sind fassungslos. Der Schweizer selbst sucht vergeblich nach Erklärungen. Seine beste Zeit scheint vorbei, doch der 32-Jährige blickt nach vorne. Ein Rivale wünscht sich die alten Zeiten herbei.

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"Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe," versuchte ESPN-Kommentator John McEnroe seinen Unglauben in Worte zu fassen. Der siebenmalige Grand-Slam-Champion war wohl nicht der einzige im Louis Armstrong Stadium der seinen Augen nicht so recht trauen wollte.

Auch die zehntausend Zuschauer waren nach der glatten Dreisatzniederlage des Schweizers wie paralysiert. Die Stimmung auf dem zweitgrößten Court in Flushing Meadows gespenstisch.

Tommy Robredo, der im elften Duell mit Federer zum ersten Mal den Platz als Sieger verließ, konnte einem fast leid tun. So richtig schien sich niemand für den 31-jährigen Spanier zu interessieren, der einige Minuten zuvor eine seiner besten Leistungen aus jüngerer Vergangenheit gezeigt hatte.

"Stand mir selbst im Weg"

Zu tief saß der Schock über das soeben Erlebte. Zum ersten Mal seit 2003 wird das Viertelfinale im Corona Park ohne Federer stattfinden. Um sich an eine Dreisatzpleite des Ausnahmekönners im Big Apple zu erinnern, muss man sogar noch ein Jahr weiter zurückgehen. 2002 schied der damals 21-Jährige in drei Durchgängen gegen Max Mirnyi aus.

"Das war heute rein gar nichts," versuchte ein sichtlich enttäuschter Federer auf der anschließenden Pressekonferenz die Niederlage einzuordnen. "Ich habe einen Riesenrespekt vor Tommy, aber ich denke, dass ich mir heute zu einem großen Teil selbst im Weg stand. Er musste noch nicht einmal außergewöhnliche Sachen machen, um mich zu schlagen."

In der Tat spielte Federer so schwach wie seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr. Vor allem seine Vorhand ließ ihn fast die gesamte Partie über im Stich. 43 unnötige Fehler die logische Konsequenz.

"Konnte den Unterschied nicht machen"

Da auch das Service des Schweizers wackelte und er beim Verwerten der durchaus vorhandenen Breakchancen (2/16) ungewohnte Schwächen zeigte, hatte der 32-Jährige zu keinem Zeitpunkt eine echte Siegchance: "Es gab durchaus Möglichkeiten mich wieder in die Begegnung zurück zu kämpfen, aber ich konnte heute einfach nicht den Unterschied machen."

Etwaige Entschuldigungen, wie die lange Regenpause oder die Verlegung auf den kleineren Court, auf dem er seit acht Jahren nicht mehr gespielt hatte, wollte der Gentlemen in gewohnter Manier nicht gelten lassen: "Diese Dinge haben mich heute in keinster Weise beeinflusst. Ich war gut vorbereitet und habe mich sogar gefreut in diesem etwas engeren Stadion anzutreten. Ich bin dann allerdings sehr schlecht in die Partie reingekommen und hatte in jedem Satz große Schwierigkeiten."

Alarmierende Worte des Baselbieters, der in der vergangenen Dekade womöglich Rekorde für die Ewigkeit aufgestellt hat, in dieser Saison jedoch - für seine Verhältnisse - eine Enttäuschung an die nächste reiht.

Diese unglaublichen Meilensteine entwickeln sich in der öffentlichen Wahrnehmung momentan natürlich zum Boomerang. Dass Federer in dieser Saison zum ersten Mal seit 2002 in keinem Grand-Slam-Finale stehen wird, gibt seinen Kritikern neue Nahrung.

Enttäuschende Saison

Bereits in Wimbledon schied Federer frühzeitig gegen Stakhovsky aus. In den vergangenen Monaten setzte es Niederlagen gegen Spieler wie Brands oder Delbonis. Selbst das gescheiterte Schläger-Experiment wirkt im Nachhinein wie ein verzweifelter Versuch unbedingt irgendetwas ändern zu müssen.

Voting Die besten Spieler aller Zeiten

Dabei schien sich der Schweizer in den ersten drei Runden langsam aber sicher wieder seiner Normalform zu nähern. Zemlja, Berlocq und Mannarino waren zwar beileibe keine echten Prüfsteine, die Vorstellungen Federers jedoch gewohnt souverän und überzeugend.

Gegen den solide aufspielenden Robredo war davon allerdings überhaupt nichts mehr zu sehen. Vom ersten Ballwechsel an war der 17-malige Grand-Slam-Sieger spürbar verunsichert.

Keine Erklärung

Eine richtige Erklärung für sein Formtief scheint Federer auch nicht parat zu haben, vermutet die Blockade jedoch vor allem im mentalen Bereich: "Natürlich ist es mit meinem Selbstvertrauen nicht mehr zum Besten bestellt. Die letzten drei Monate, zuerst mit der Niederlage in Wimbledon, dann mit den Rückenproblemen, waren nicht einfach. Ich muss jetzt versuchen, die Freude am Spielen zurückzugewinnen und nicht zu verbissen auf den Platz zu gehen."

Zunächst einmal ist jedoch wie geplant eine längere Pause angedacht: "Ich werde mich nun mit meinem Team zusammensetzen und entscheiden, wie es weitergehen soll. Mein nächstes Turnier ist Shanghai. Da bleiben rund viereinhalb Wochen. Das gibt bereits etwas Zeit, mich neu zu orientieren."

Ganz neu aufstellen muss sich der Schweizer sicherlich keinesfalls, in der momentanen Form ist allerdings sogar das Verpassen des Masters Cup durchaus vorstellbar. Seinen Turnierplan will der 32-Jährige dafür aber nicht ändern.

Nadal will alte Rivalität zurück

Die überraschende Niederlage gegen Robredo verschärft aber nicht nur die aktuelle Federer-Krise, sondern verhindert auch den seit Turnierbeginn herbeigesehnten Viertelfinalclash mit Rafael Nadal.

Eine Partie, auf die sich auch der Mallorquiner gefreut hätte: "Unsere Rivalität dauert bereits so viele Jahre an und es gab bereits einige große Spiele in tollen Stadien. Ich denke, dass die US Open diese Partie ein weiteres Mal verdient hätten, aber es sollte leider nicht sein. Das bedeutet aber nicht, dass es in Zukunft nicht wieder der Fall sein kann. Man sollte jedoch bedenken, dass wir beide älter werden und uns vielleicht nicht mehr so oft über den Weg laufen wie noch vor fünf Jahren."

Federers diesjährige Saison sowie seine Leistung gegen Robredo lassen befürchten, dass Nadal mit seiner Einschätzung Recht behalten wird.

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