"Die Sender zeigen lieber noch Fußball"

Von Interview: Stefan Maurer
Trainer Jörg Rosskopf (l.) und sein Schützling Dimitrij Ovtcharov beim Coaching in der Satzpause
© Getty

Jörg Roßkopf war jahrelang das Aushängeschild des deutschen Tischtennissports. 1992 wurde er Einzel-Europameister in Stuttgart. Dort findet die EM ab 13. September auch 2009 wieder statt. Grund genug für SPOX mit dem heutigen Bundes-Assistenztrainer der Herren über das Ereignis, Timo Boll und Tischtennis an sich zu sprechen.

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SPOX: Sie wurden 1992 in Stuttgart Europameister: Wie lebendig ist die Erinnerung daran?

Jörg Roßkopf: Sie wurde in den letzten Tagen und Wochen wieder geweckt, weil ich sehr oft darauf angesprochen werde. Davor war es eigentlich so, dass ich nicht ständig in der Vergangenheit wälze, obwohl ich meine Erfolge natürlich nicht vergessen habe.

SPOX: Können Sie sich an das Gefühl des Sieges von damals erinnern?

Roßkopf: Natürlich, aber es ist in der Tat schon sehr lange her. Trotzdem weiß ich noch, wie die Paarungen gelaufen sind, gegen wen ich gespielt habe und wie die Stimmung in der Halle war.

SPOX: War das damals Ihr größter sportlicher Erfolg?

Roßkopf: Ich denke, dass '92 mein bestes Jahr war. Ich stand bei Olympia im Einzel im Viertelfinale, habe im Doppel Silber gewonnen und wurde Europameister. Damals habe ich sicher das beste Tischtennis meiner Karriere gespielt. Aber der wichtigste Titel war mit Sicherheit der Doppel-WM-Titel mit Steffen Fetzner in Dortmund 1989, weil er für den gesamten deutschen Tischtennissport so viel bewirkt hat.

SPOX: Timo Boll war bei Ihrem EM-Triumph elf Jahre alt. Jetzt ist er Titelverteidiger und Topfavorit. Was macht ihn so stark?

Roßkopf: Er ist ein kompletter Spieler, der inzwischen auch in vielen großen und wichtigen Spielen enorme Erfahrungen sammeln konnte. Er ist in Europa immer der Titelfavorit, auch wenn natürlich Dinge passieren können, die man nicht planen kann.

SPOX: Er kämpft seit längerem mit Rückenproblemen: Wie sehr kann ihn das beeinflussen?

Roßkopf: Wenn er antritt, dann ist er fit genug, um die ganze Meisterschaft bis zum Ende durchzuspielen. Wenn die Schmerzen und die Beeinträchtigung derzeit zu groß wären, dann wäre er zum selben Schluss gekommen wie vor der WM - er hätte abgesagt.

SPOX: Gibt es weitere Favoriten für den Einzel-Wettbewerb?

Roßkopf: Wenn man zehn Experten nach dem Ausgang der EM fragt, werden zehn auf ein Finale zwischen Timo Boll und Wladimir Samsonow setzen. Sie sind die unumstrittenen Top-Spieler in Europa, aber sie werden unter anderem von der restlichen deutschen Mannschaft gejagt. Dimitrij Ovtcharov, Patrick Baum, Christian Süß und Bastian Steger haben alle das Potential, in die Medaillenränge vorzudringen. Wenn man erst einmal im Viertel- oder Halbfinale angekommen ist, gibt es für niemanden mehr einfache Spiele.

SPOX: Deutschland hat also ein starkes Team: Ist der Mannschaftstitel das Ziel?

Roßkopf: Ja, natürlich. Wir haben diesen Titel in den letzten Jahren immer geholt und wollen den Sieg auch vor heimischem Publikum einfahren. Bei dem System, das bei der EM gespielt wird, reichen eineinhalb gute Männer, um den Titel zu holen. Man muss sicherlich ein Auge auf Weißrussland, Russland und Österreich werfen, aber mit Timo an der Spitze haben wir natürlich große Chancen.

SPOX: Timo Boll ist inzwischen 27 Jahre alt. Trauen Sie ihm den ganz großen Erfolg auf Weltebene noch zu?

Roßkopf: Ja, auf jeden Fall. Er hat unglaubliche Möglichkeiten. Da kann das Ziel nur heißen: Weltmeister oder Olympiasieger. Er hat auf jeden Fall noch genug Zeit und sich selbst als Fernziel gesetzt, bei den Olympischen Spielen 2012 in Topform zu sein. Bis dahin hat er noch zwei Einzelweltmeisterschaften vor sich und ich denke, dass er es vom Potential her schaffen muss. 2012 und 2013, das könnten seine Jahre werden.

SPOX: An was muss er arbeiten, um die chinesischen Topspieler auf Dauer zu schlagen?

Roßkopf: An nichts Großartigem. Besonders wichtig ist bei ihm die Gesundheit. Er hat leider diese Problematik am Rücken, die ihn immer wieder zurückwirft. Er tut sehr viel, um dieses Problem zu beseitigen. Wichtig ist auch, dass er über einen langen Zeitraum konstant auf sehr hohem Niveau trainieren und spielen kann. Seine Schläge sind überragend. Da kann man ihm nichts mehr beibringen. Er muss einfach einmal in Topform zu einem Großereignis anreisen.

SPOX: Sie sagen, er kann alles. Was ist dann ihre Aufgabe als Bundestrainer?

Roßkopf: Die Aufgabe des Trainer-Teams ist ganz einfach. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Formaufbau zu einer großen Meisterschaft stimmt. Dass die Spieler dort auf ihrem Zenit antreten. Dafür haben wir in drei Lehrgängen vor dieser EM hart gearbeitet. Wir haben mit der Nationalmannschaft natürlich wenig Zeit, um gemeinsam zu trainieren. Deshalb müssen wir sie umso intensiver nutzen.

SPOX: Neben der Trainertätigkeit spielen Sie auch noch aktiv in der Bundesliga. Gibt es Konflikte zwischen beiden Aufgaben?

Roßkopf: Nein, im Prinzip gibt es keine Probleme. Aber es ist schon manchmal schwierig, in der Liga gegen Nationalspieler zu spielen, die man ein, zwei Tage vorher gecoacht hat.

SPOX: Sie spielen in Hanau auf Position eins sind in der deutschen Rangliste ganz weit vorne platziert. Kribbelt es vor einer EM nicht, es noch Mal international zu versuchen?

Roßkopf: Kein bisschen. Ich bin glücklich, dass ich diese Veranstaltung als Trainer und nicht als Spieler besuchen kann. Die deutsche Rangliste ist auch nicht so aussagekräftig, weil die Jungs ja nicht so häufig bei Turnieren in Deutschland an den Start gehen. Die spielen schon auf einem sehr hohen Niveau. Da will ich nicht mehr mitspielen.

SPOX: Kann man den Heimvorteil auch zu den eigenen Gunsten nutzen?

Roßkopf: Klar. Vor allem, wenn es ohnehin schon gut läuft. Dann werden die Zuschauer die Spieler noch mehr nach vorne pushen. Das haben wir in Deutschland schon oft erlebt. Das Publikum hier ist sehr sachkundig und die deutschen Spieler haben bei Großveranstaltungen vor eigenem Publikum immer sehr gute Leistungen abgerufen und Erfolge gefeiert.

SPOX: Sehr gute Leistungen werden auch von Dimitrij Ovtcharov erwartet. Er ist erst 21 Jahre alt und inzwischen die Nummer 13 der Welt. Wo geht seine Entwicklung hin?

Roßkopf: Er hat bei einer EM schon eine Bronzemedaille gewonnen und wird auch diesmal um eine Medaille kämpfen. Er hat ein sehr gefährliches Spiel und kann gegen nahezu jeden Spieler auf der Welt gewinnen. Die kleinen technischen Mängel, die er noch hat, versucht er im Training abzustellen - er arbeitet sehr hart.

SPOX: Sie sprechen die Technik an. Hat sich da im Vergleich zu früher etwas verändert?

Roßkopf: Bei der Technik hat sich nicht so viel getan. Allenfalls Kleinigkeiten. Die größte Veränderung der vergangenen Jahre war sicherlich die Umstellung auf die Sätze bis elf. So gibt es frühere und mehr wichtige Momente, die einen Spieler psychisch fordern. Deshalb muss man heute mehr im mentalen Bereich arbeiten, als früher.

SPOX: Außer mentaler Stärke, was braucht ein Spieler, um erfolgreich zu sein?

Roßkopf: (lacht) Titel. Im Ernst, vor allem ein starkes passives Spiel, da war ich immer recht schwach. Aber die jungen Spieler heute können das alle. Eine hohe Konzentrationsfähigkeit ist sicherlich auch von Nutzen.

SPOX: Wie hat sich der Sport in Deutschland in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren entwickelt?

Roßkopf: Wir hatten immer große Erfolge und haben nun seit einigen Jahren mit Timo Boll einen der bekanntesten Sportler in Deutschland. An Persönlichkeiten im deutschen Sport fehlt es ja leider ein bisschen. Allerdings verhilft das dem Sport leider nicht zum Durchbruch auf medialer Ebener, weil die Sender lieber auch noch ein viertes Fußballspiel am Tag zeigen. Ich sehe das sehr kritisch. Man sollte dem Zuschauer auch mal eine andere Sportart zeigen. Die EM in Deutschland müssen wir natürlich mit Erfolgen als Plattform für eine mediale Weiterentwicklung nutzen. Eigentlich haben mir mit einem nationalen Aushängeschild wie Timo Boll im Tischtennis gute Voraussetzungen. Dazu kommt noch, dass ja wirklich jeder schon mal an einer Platte stand.

SPOX: Warum schafft es Tischtennis trotzdem nicht in den medialen Fokus?

Roßkopf: Da müssen sie die Herren Fragen, die bei ARD und ZDF die Programme machen. RTL hat es geschafft aus Skispringen, das nicht so interessant ist, ein TV-Event zu machen. Es liegt mit Sicherheit nicht daran, dass Tischtennis kein attraktives Spiel ist. Man kann jedes Spiel durch andere Kameraposition und ähnliches telegen aufbereiten.

SPOX: Was kann der Deutsche Tischtennis Bund zu einer positiven Entwicklung beitragen?

Roßkopf: Das ist einfach. Wir müssen so viele Großveranstaltungen wie möglich in Deutschland austragen, dann werden die Medien aufmerksam. Ansonsten sind wir mit dem Verband sehr gut aufgestellt.

SPOX: Was macht für Sie persönlich die Faszination Tischtennis aus?

Roßkopf: Mich hat zum Beginn meiner Karriere einfach begeistert, dass ich den Sport mit vielen Freunden ausüben konnte und dann war da noch die Geschwindigkeit des Sports, die sich auf diesem kleinen Raum extrem auswirkt.

SPOX: Ist diese enorme Geschwindigkeit nicht auch ein Problem für die Darstellung in den Medien?

Roßkopf: Das sehe ich nicht als Problem, weil es ja auch andere sehr schnelle Sportarten gibt, die viel Anklang durch die Medien finden. Aber Sie haben natürlich recht: Es ist für Laien aufgrund der Geschwindigkeit und des Effets schwierig, richtig tief in den Sport einzudringen. Aber ich denke, man könnte das aufarbeiten, wie zum Beispiel den Absprung im Skispringen. Mit der heutigen Technik ist es möglich, jede Aktion in ihre Einzelteile zu zerlegen und dem Zuschauer näher zu bringen.