Tour de France - Maximilian Schachmann: Gelingt nach dem Seuchenjahr noch der große Wurf?

Von Ruben Stark
Maximilian Schachmann
© Imago

Es war bisher nahezu eine Saison zum Vergessen für Maximilian Schachmann. Sein Start bei der 109. Tour de France stand lange auf der Kippe, nun geht er am Freitag doch in der 1. Etappe für sein Team Bora-hansgrohe an den Start. Bei SPOX lässt er seine vergangenen Wochen Revue passieren, blickt auf die anstehende Rundfahrt - und verrät sein großes Ziel für die Zukunft.

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Wer einmal im Spätherbst am Bodensee war, der kennt das: Zähe Schleier wabern übers Wasser, die ganze Landschaft ist getaucht in ein eintöniges Grau, das sich doch auch merklich auf die Stimmung legen kann. Für einen Radprofi ist das nicht unbedingt die Atmosphäre, die man sich beim Formaufbau für die nächsten Highlights wünscht, weil es die stundenlange Quälerei noch etwas quälender macht.

Der Gardasee bietet da doch ein anderes Trainingsrevier. Niederschläge gibt es kaum, die Temperaturen sind in der Regel deutlich milder, da fällt eine hochintensive Intervalleinheit schon leichter. Für Maximilian Schachmann war das der wesentliche Grund, sich aus der Nähe von Konstanz aufzumachen in die neue Wahlheimat Norditalien, und dort auch an der Basis für eine erfolgreiche Tour de France 2022 zu arbeiten.

"Ich wollte weiter in den Süden", erzählt Schachmann im Gespräch mit SPOX. "Uns hat es gefallen am Bodensee, aber wenn der Herbst kommt, dann beginnen die zähen Monate mit Nebel, Kälte und Niederschlag."

Nur ahnte der 28-Jährige nicht, dass er völlig losgelöst vom Wohnort vor einer überaus belastenden Zeit stehen würde. Krankheiten zur Unzeit. Stürze, die ihn zurückwarfen. Es war alles dabei, was der gebürtige Berliner gerne vermieden hätte.

Und doch hat Schachmann es noch hingekriegt, er wird bei der 109. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt am Freitagnachmittag beim Auftaktzeitfahren in Kopenhagen (ab 16:00 Uhr im Liveticker) von der Startrampe rollen - nach einer Punktlandung. Denn es sah danach aus, als hätte dieses vermaledeite Jahr noch eine besonders boshafte Pointe für ihn zu bieten.

Schachmann: "Ohne Tour wäre eine Welt zusammengebrochen"

Annähernd eine Woche war die Große Schleife mitsamt dem 24. Grand Depart außerhalb Frankreichs noch entfernt. Schachmann hatte eine ansehnliche Tour de Suisse in den Beinen, die Form endlich gefunden, war guter Dinge - und dann das: ein positiver Coronatest. Tage zwischen Hoffen und Bangen folgten.

"Ohne die Tour wäre für Max eine kleine Welt zusammengebrochen", sagt sein Manager Jörg Werner. Gerade weil Schachmann im Frühjahr schon einmal infiziert war und sich danach noch eine Bronchitis einhandelte, die ihn richtig flachlegte. Wochenlang war kein adäquates Training möglich, die großen Ziele für das Frühjahr dahin. Die Tour war so noch mehr als ohnehin schon der zentrale Fixpunkt, der Antrieb. "Ich habe eine Menge Arbeit investiert", erklärt Schachmann. So strukturiert und fleißig, wie er seine Pläne verfolgt, kann man sich vorstellen, welch herber Rückschlag das Tour-Aus für ihn gewesen wäre.

Aber Schachmann hatte das Glück doch nicht ganz verlassen, er blieb vollkommen symptomfrei und der negative Befund kam auch rechtzeitig. Also schnappte er sich sein Gepäck und jettete am Dienstagabend erleichtert nach Kopenhagen. "Ich möchte erstmal gut durch die erste Woche kommen", betont er mit Blick auf seine Tour-Ziele, "da kann es chaotisch werden, vor allem, wenn es in Dänemark richtig Wind gibt und es bei der Roubaix-Etappe regnet. Vielleicht ergeben sich aber auch da schon Chancen."

Ein Etappensieg soll es sein für den vielleicht vielseitigsten deutschen Radprofi. Ambitionen für die Gesamtwertung hat Schachmann keine, nicht in diesem wirklich suboptimalen Jahr. Er wird im deutschen Team Bora-hansgrohe den Russen Alexander Wlassow unterstützen, der am 24. Juli in Paris gerne auf dem Podium stehen möchte.

Aber was nicht ist, kann noch werden.

Schachmann hat das Potenzial für eine große Rundfahrt

Schachmann gilt als jemand, der grundsätzlich das Rüstzeug besitzt für einen Klassementfahrer bei dreiwöchigen Landesrundfahrten. Im Gespräch mit ihm ist zu spüren, dass er sich mindestens einmal in der Karriere einen solchen Anlauf wünscht. "Es kam bisher immer etwas dazwischen vor großen Rundfahrten. Ich würde gerne einmal am Start stehen und sagen: Jetzt hat alles gepasst und ich kann mein volles Vermögen ausspielen."

Ob das dann ausreichen würde, um Tadej Pogacar und Co. tatsächlich die Stirn zu bieten - diese Antwort könnte nur im Ernstfall gegeben werden. Schachmann setzt dafür auf Kontinuität: "Ich war nie der extreme Durchstarter und sehe mich weiter auf einem guten Weg, jedes Jahr besser zu werden."

Den Peak seiner Leistungsfähigkeit hofft er ähnlich timen zu können wie der Brite Geraint Thomas, der 2018 mit 32 Jahren die Große Schleife gewonnen hat. Mit seinem Trainer Dan Lorang, der den diesmal abwesenden Emanuel Buchmann 2019 bei seinem Ritt auf den vierten Tour-Gesamtrang anleitete, feilt Schachmann an vielen Details wie etwa seinem Klettervermögen im Hochgebirge.

Dabei kann sich seine Erfolgsliste schon jetzt sehen lassen. Zweimal holte er den Gesamtsieg bei Paris-Nizza, gewann 2018 eine Etappe des Giro d'Italia, war im selben Jahr Teamweltmeister und zweimal bereits deutscher Meister im Straßenrennen.

Aber Schachmann will mehr. Er gehört zu denen, die sich eine größere öffentliche Anerkennung für ihre Leistungen wünschen. In Deutschland ist der Radsport abseits der Tour de France eher Randsportart, dazu kämpfen Profis wie er noch immer mit dem fragwürdigen Erbe der Jan-Ullrich-Generation. Mit Schachmann lässt sich auch über schwierige Themen diskutieren, er kann detailliert erklären, warum die Zeiten nicht mehr zu vergleichen sind.

Tour: Deutsche Fahrer "können überall vorne dabei sein"

Aber er weiß auch, dass es bei der Vergangenheit seines Sports weiter einen kritischen Blick von außen braucht. Doping in der Breite so wie in den 1990er und 2000er Jahren hält Schachmann für nicht mehr an der Tagesordnung, es habe sich viel verändert. Blauäugig ist er allerdings keineswegs. "Ich hoffe nicht, dass mit unfairen Mitteln gearbeitet wird", betont er, will aber in Mutmaßungen über Eventualitäten auch nicht zu viel Energie stecken: "Ich schaue auf mich selbst, andere Gedanken bringen mir nichts."

Neben acht anderen Landsleuten will Schachmann diesmal zeigen, wie breit der deutsche Radsport inzwischen aufgestellt ist. Es gibt zwar keinen Marcel Kittel oder Andre Greipel mehr für die Sprints, keinen Tony Martin für die Zeitfahren. "Aber wir können überall vorne dabei sein", ist er sich sicher.

Dass der dänische Moderator bei der offiziellen Teampräsentation am Mittwochabend Schachmanns Namen bei der Auflistung des Bora-Aufgebots vergaß, dürfte ihm nur noch mehr Ansporn sein. Und das stimmungsvolle Ambiente vor zahlreichen begeisterten dänischen Fans im Tivoli genoss er sowieso. Am vergangenen Wochenende wusste Schachmann ja noch nicht mal, ob er das größte Radsport-Spektakel des Jahres überhaupt erleben würde.

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