"Dieser EM-Sieg steht über allem"

Von Philipp Dornhegge
Henning Harnisch (#9) war mit 12 Punkten pro Spiel ein zentraler Spieler des EM-Siegers von 1993
© getty

Henning Harnisch war Teil des deutschen Teams, das 1993 sensationell Europameister wurde. Auch im Verein war da, wo der heute 45-Jährige spielte, stets der Erfolg zu Hause. Mit seiner spektakulären Spielweise wurde "Flying Henning" zum Idol der 90er. Vor dem Start der EuroBasket 2013 (GER-FRA um 21 Uhr im LIVE-STREAMbei SPOX) denkt Harnisch an die EM 1993 zurück, erklärt den ausgebliebenen Boom und die aktuelle Nachwuchsförderung. Den DBB sieht er für die Zukunft gut aufgestellt.

Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Harnisch, als Sie Basketball gespielt haben, stand für Sie, das klang und klingt in vielen Interviews durch, immer der Spaß im Vordergrund.

Harnisch: Da muss ich gleich einschreiten und sagen, dass man klar differenzieren muss zwischen Spaß und Spaß. Was ich meine, hat nichts mit oberflächlichem Spaß, mit Spaßgesellschaft und dergleichen zu tun. Mir geht es um eine sehr tief empfundene Freude, nicht um Jux. Es geht darum, wie das intensive Spiel eine Freude am eigenen Dasein auslöst. Wenn man eine solche Tätigkeit zum Beruf machen kann, dann ist das, glaube ich, ein großes Glück.

SPOX: Auf jeden Fall war Ihre Spielweise stets Ausdruck dieser Freude: Sie haben den Dunking in der Bundesliga salonfähig gemacht, waren quasi der erste Popstar im deutschen Basketball. Wie haben Sie diese besondere Zuneigung der Fans wahrgenommen?

Harnisch: Das ist mit so großem Abstand schwierig wieder herzustellen. Aber aus der heutigen Sicht ist es angenehm zu wissen, dass man mit der eigenen Art zu spielen positive Reaktionen ausgelöst hat. Meine Art, aggressiv zum Korb zu gehen, war damals in Deutschland sicher noch nicht der Standard. Und das athletische, schnelle Spiel nicht sehr weit verbreitet, auch weil damals noch nur zwei Ausländer pro Team erlaubt waren.

SPOX: Sie waren sportlich ein großes Vorbild, Anfang und Mitte der 90er sah man überall langhaarige Basketballer mit Stirnbändern. Wer war eigentlich Ihr Vorbild?

Harnisch: Das war Detlef Schrempf, und zwar schon lange bevor ich die Ehre hatte, mit ihm zusammen die Olympischen Spiele 1992 spielen zu dürfen. Man hat sich ja damals schwer getan, überhaupt Basketball zu sehen, musste regelrecht nach Vorbildern wühlen. Für mich als gebürtigen Marburger gab es vor Ort vor allem Damenbasketball, ansonsten konnte man mal fünf Minuten in der Sportschau was sehen. Ausnahme war 1983, als der College-Spieler Schrempf mit der Nationalmannschaft in Frankreich die EM gespielt hat. Da gab es längere Zusammenfassungen in der "ARD". Schrempf hat mir imponiert, weil er scoren konnte, aber auch alles andere drauf hatte. Damals galt er für eine Weile ja als weißer Magic Johnson.

SPOX: Noch mal zurück zum Spaß: Sind Sie der lebende Beweis dafür, dass man mit Spaß genauso viel erreichen kann wie mit harter Arbeit? Oder ist es umgekehrt vielmehr so, dass nur harte Arbeit den von Ihnen beschriebenen Spaß auslösen kann?

Harnisch: Oberflächlicher Spaß geht auch ohne Arbeit. Das, was ich meine, kommt natürlich daher, dass man sich lange mit etwas beschäftigt und lange übt. Das ist eine Wechselwirkung. Harte Arbeit hört sich immer so streng an. Jeder Sportler kennt das ja: Wenn man etwas besonders oft und intensiv übt, umso reicher sind die Früchte, die man im Spiel ernten kann. Gelingt es einem, diese Wechselwirkung für sich zu nutzen und wenn man sieht, dass immer mehr Dinge im Spiel klappen, dann ist das der Spaß, auf den ich abgezielt habe. Und wenn man diesen Spaß mit seiner Spielweise transportieren kann, dann merken das auch die Zuschauer.

SPOX: Mit sieben Meisterschaften mit Leverkusen, zwei mit Alba, insgesamt fünf Pokalsiegen hatten Sie nicht nur viel Spaß, sondern auch extrem viel Erfolg. Wo rangiert der EM-Titel 1993 im internen Harnisch-Ranking?

Harnisch: Ich muss sehr dankbar sein, dass ich als Mannschaftssportler und Teil eines Teams all das erreichen durfte, aber es kulminiert natürlich alles in diesem EM-Titel, der steht über allem.

SPOX: Waren Sie sich im Vorfeld des Turniers eigentlich sicher, dass Sie den Titel holen können?

Harnisch: Nein. Aber ich finde, dass man an diesem EM-Team Dinge ablesen kann, die im Sport Allgemeingültigkeit haben. Wir hatten ja eine Vorgeschichte über fünf, sechs Jahre, in denen der Kern zusammenspielte. Und wir hatten einige Misserfolge, hatten zwei Mal die EM verpasst. Das hat aber nicht dazu geführt, dass wir auseinandergefallen sind, sondern wir konnten diese Erfahrungen dank Trainer Svetislav Pesic für uns nutzen und mit der knappen Qualifikation für Barcelona 1992 etwas auf der Habenseite verbuchen, was sicher dann den entscheidenden Anstoß für diese EM gegeben hat. Wir hatten plötzlich unsere Ruhe gefunden und das Bewusstsein entwickelt, dass wir etwas hinbekommen können. Der "BR" macht jetzt eine einstündige Doku über dieses Team und hat uns kürzlich Bilder vom verpatzten Auftakt gegen Estland gezeigt, den viele gar nicht mehr auf dem Zettel hatten. Solche Sachen haben dann, eben weil wir so gefestigt waren, nicht dazu geführt, dass Panik ausgebrochen ist. Das geht nur mit den richtigen Leuten, mit einem richtigen Team und einer klaren Idee, wie man mit Niederlagen umgeht.

SPOX: Mit Siegen über Belgien und Slowenien haben Sie die Zwischenrunde dann noch erreicht, wo allerdings dann wieder Pleiten gegen Frankreich und Kroatien folgten. Das letzte Spiel gegen die Türkei war deshalb ein Do-Or-Die-Spiel, es ging um alles.

Harnisch: Solche Turniere haben immer Phasen. Die wenigsten Mannschaften marschieren ohne Probleme durch. Wir wollten zunächst das Viertelfinale erreichen, unter die besten Acht kommen. Frankreich und Kroatien waren immer schon Nationen, die uns eigentlich überlegen waren. Wir waren mehr als solide, ein eingeschworenes Team, konnten aber - siehe Estland - an schlechten Tagen auch gegen viele verlieren. Was wir aber hingekriegt haben, und das haben wir unter anderem gegen ein enorm gutes Slowenien gezeigt, war dass wir ein Gefühl dafür hatten, in welchen Spielen es um die Wurst geht und wir noch mal ein paar Prozentpunkte mehr abrufen müssen. Solche Spiele sind keine Selbstläufer, aber mit einer inneren Ruhe und der Gewissheit, in wichtigen Momenten das Richtige tun zu können, haben wir es gepackt.

SPOX: In den K.o.-Spielen wurden Spanien, Griechenland und schließlich Russland bezwungen. Es gibt leichtere Wege zum Titel.

Harnisch: Aber wenn man Titel gewinnen will, gibt es spätestens ab den K.o.-Spielen sowieso keine leichten Gegner mehr. Ich glaube im Nachhinein, dass das Viertelfinale gegen Spanien der ganz besondere Moment war. Wenn da alles normal gelaufen und keine Magie im Spiel gewesen wäre, hätten wir das verloren und wären irgendwo zwischen Platz 5 und Platz 8 gelandet. Die Spanier hatten schon weit vor der Gasol-Generation eine tolle Mannschaft, die um Jordi Villacampa aufgebaut war. Der Gegner war eigentlich souveräner, aber wir haben das Ding am Ende gedreht. Mike Jackel trifft einen wichtigen Dreier, ein Spanier vergibt einen Freiwurf: Plötzlich läuft alles für uns und wir gewinnen. Der Rest des Turniers war sicher kein Selbstläufer, aber dieser Erfolg hat uns den nötigen Rückenwind gegeben.

SPOX: Wie war denn das Gefühl vor den letzten zwei Spielen?

Harnisch: So absurd es aus der heutigen Sicht klingen mag, aber vor dem Halbfinale waren wir uns sicher: Die Griechen schlagen wir. Und was soll ich zu dem Finale sagen? Es wirkte ein bisschen so, als würden wir gar nicht dahin gehören. Aber wir waren tatsächlich da, und dann gewinnen wir auch noch.

SPOX: Können Sie denn die Emotionen nach diesem sensationellen Finalsieg über Russland noch einigermaßen reproduzieren?

Harnisch: Das verwischt alles, am Ende stellt man sich die Frage: Sind das noch meine eigenen Erinnerungen, oder habe ich nur noch die Fernsehbilder vor Augen? Die Freude war sicher unfassbar, gleichzeitig waren alle fix und fertig. Die Party nach dem Sieg war schon um 2 Uhr zu Ende, das sagt eigentlich alles. Woran ich mich aber noch erinnere, sind die Reaktionen der Leute anschließend. Die "ARD" hatte Sonntagabend nach der Tagesschau - wenn normalerweise der Tatort läuft - die zweite Halbzeit des Finals live übertragen. Plötzlich waren wir ein Fernsehereignis. Dass wir Leute berühren konnten, hat lange nachgewirkt. Jetzt noch höre ich von Menschen, die damit Dinge verbinden. Und das ist eben der Grund, warum sich eine Deutsche Meisterschaft mit diesem Erfolg überhaupt nicht vergleichen lässt.

Seite 2: Harnisch über den Nachwuchs und die Deutschen in der NBA