"Dieser EM-Sieg steht über allem"

Von Philipp Dornhegge
Henning Harnisch (#9) war mit 12 Punkten pro Spiel ein zentraler Spieler des EM-Siegers von 1993
© getty
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SPOX: Wenn man etwas herausstellen müsste, was diese Mannschaft ausgezeichnet hat, dann war es wohl die Ausgeglichenheit: Mit Welp, Jackel, Gnad, Nürnberger, Behnke, Koch, Rödl und Harnisch punkteten acht Spieler während der neun Spiele mal zweistellig...

Harnisch: Das war sicher auch ein Beleg für unseren Zusammenhalt. Der Stabilisator Detlef Schrempf bei den Olympischen Spielen 1992 hat dafür gesorgt, dass wir alle aus diesem Turnier etwas mitgenommen haben, dass wir selbstbewusst sein konnten. Es wäre toll gewesen, hätte Detlef auch bei der EM mitgemacht, aber sein Anteil am Titel ist auch so nicht zu unterschätzen. Auch dank ihm haben wir ein Vertrauen auf die eigene Stärke und die der Mitspieler entwickelt. Bei der EM hat jeder sein eigenes Ego hinten angestellt, jeder konnte irgendwann irgendwie seinen Beitrag leisten. Also wenn es so etwas gibt wie eine Idee, wie eine Mannschaft sein sollte, dann würde ich das schon für uns beanspruchen wollen. Und man kann nicht oft genug auf die Rolle von Pesic hinweisen, der diesen Teamgedanken stets vorgelebt hat. Letztlich war der Titel auch sein Werk.

SPOX: Sie hatten kürzlich ein 20-Jahrestreffen: Gibt es diesen Zusammenhalt der Truppe auch heute noch, oder normalisiert sich das Verhältnis über die Jahre?

Harnisch: Bei Abiturtreffen ist es ja oft so, dass man sich völlig aus den Augen verloren hat und sich fragt: Kenne ich die Leute überhaupt noch, die ich da sehe? Das ist bei uns ganz anders. Bis auf Teoman Öztürk und Chris Welp waren alle da, und es ist einfach erstaunlich, mit welcher Schnelligkeit man wieder in dieses Gefühl kommt, wie man als Team miteinander harmoniert hat. Man verbringt ja bei so einem Turnier so viel Zeit miteinander, hat Trainings, Reisen und viel tote Zeit, wo man aufeinander hockt. Und diese zwei Tage beim Treffen waren einfach nur schön, nett, lustig. Wir haben dann auch ein kleines Spiel gemacht, und das ist eh das Tollste: Die Jungs können noch so alt sein, man erkennt immer noch den einzelnen Spieler wieder an seiner Art und seinen Eigenheiten. Diese Mannschaft war etwas Besonderes, und da geht es nicht darum, dass man sich ständig wiedersehen muss.

SPOX: Bis heute war dieser EM-Titel der größte Erfolg im deutschen Basketball. Noch immer fragt man sich allerdings: Warum hat dieser Titel nicht den gewünschten nachhaltigen Boom ausgelöst?

Harnisch: Die Rahmenbedingungen waren eigentlich optimal: Ein Jahr zuvor gab es bereits das Dream Team, Lou Richter hat "jump ran" auf "Sat.1" gemacht und vor allem wurde in Deutschland die Streetball-Welle losgetreten. Wenn die erste Euphorie über den Titel verflogen ist und man sich überlegt, wie es jetzt weitergeht, dann trifft so ein Ereignis allerdings auf Strukturen. Es braucht Leute, die eine Idee haben, wie so ein Erfolg zu nutzen ist. Die gab es nicht. Und es gibt keinen Grund zu glauben, dass ein EM-Titel automatisch zu strukturellen Veränderungen führt. Journalisten schreiben natürlich am Tag des Erfolgs davon, was der EM-Sieg alles auslösen wird. Und ein Jahr später stellt man fest, dass gar nichts ausgelöst wurde. Die entscheidenden Fragen wurden nicht beantwortet: Welche Trainer- und Sportlehrer-Traditionslinien haben wir? Welche Strukturen haben wir für die Vereine? Wie bringt man Verein und Schule zusammen? Wie schafft man neue Ideen? Der Nährboden war damals einfach nicht da. Jetzt ist der strukturelle Nährboden da, wir haben eine - aus guten Gründen - selbstbewusste deutsche Liga, die sich als Motor für die Idee des deutschen Basketballs versteht.

SPOX: Bei Ihrer Arbeit für Alba Berlin ist die Nachwuchsförderung Ihr zentrales Thema. Auch hier geht es wieder um Ihr Lieblingsthema: den Spaß an der Sache...

Harnisch: Mir geht es vor allem um eine Dankbarkeit dafür, was mir das Spiel gegeben hat. Und diese Erfahrung möchte ich weitergeben. Wir reden viel von Spaß, aber ich nehme meine Verantwortung in der Hinsicht sehr ernst. Wir nehmen es aus meiner Sicht manchmal sogar nicht ernst genug, was es für einen Menschen bedeuten kann, wenn er Basketballer wird. Das hat für diesen Menschen unter Umständen einen enormen Wert, kann identitätsstiftend sein. Wir müssen nur zunehmend darum kämpfen, dass möglichst viele Kinder unseren Sport kennenlernen. Meiner Erfahrung nach finden alle Kinder, ob Mädchen oder Jungen, Basketball klasse, wenn sie nur einen Sportlehrer und Trainer haben, der die Begeisterung dafür mitbringt und ihnen unser Spiel näherbringt. Bei uns in Berlin haben wir in den letzten Jahren 2000 junge Menschen zum Basketball gebracht, und wenn man mit Ihnen arbeitet und Ihnen den Spaß am Spiel ansieht, erkennt man auch sich selber wieder. Letztlich wird dabei auch der eine oder andere Nationalspieler herauskommen, das ist natürlich das zentrale Ziel. Aber darüber hinaus geht es mir natürlich darum, dass möglichst viele Kinder spielen können und wollen. Es ist nämlich keineswegs mehr so, dass die Mode und der Zeitgeist rund um den Streetball automatisch bei den 12- und 13-Jährigen ankommt. In Berlin gibt es Freiplätze ohne Ende, aber wenn man dahinguckt, spielt da entweder niemand oder es sind ältere Jugendliche und Erwachsene.

SPOX: In einem Interview haben sie den revolutionären Gedanken geäußert, dass man sich im Jugendbereich vom Leistungsgedanken freimachen und erst differenzieren sollte, wenn es Richtung Profibereich geht.

Harnisch: Aus dem Kontext gerissen klingt das in der Tat revolutionär und hippie-esque. Es geht mir lediglich darum, den Jugendbereich möglichst lange möglichst breit zu halten. Wir neigen einfach zu früh zum Selektieren. So richtig ernst wird es im Basketball ja mit 15 oder 16 Jahren, davor sollte man es völlig offen lassen. Ich glaube nicht daran, dass man bei den 11- und 12-Jährigen schon weiß, wer derjenige ist, der später mal richtig gut ist. Wir möchten viele Zugänge schaffen, es breit halten und am Ende - das ist das große Ziel - kommen trotzdem Nationalspieler dabei heraus. Gleichzeitig können wir so aber mehr Kinder an den Basketball binden, etwas für den sogenannten Breitensport tun. Dieser Breitensport ist ja in Deutschland insgesamt in einer prekären Lage, das trifft sogar den Fußball. Anfangs kann jeder mitmachen, aber ab einem gewissen Alter wird man, wenn man nicht richtig gut ist, im Regen stehen gelassen.

SPOX: Die angesprochenen Strukturen haben in der Vergangenheit auch dazu geführt, dass unsere Nationalmannschaft nicht allzu viel erreichen konnte und die Talente fehlten. Was erwarten Sie von der aktuellen Mannschaft?

Harnisch: Man muss klar sagen, dass uns nach Dirk und vor Robin Benzing und Co. praktisch eine komplette Generation fehlt, die es einfach nicht auf das höchste Niveau geschafft hat. Es gibt aber ein paar Ältere wie Heiko Schaffartzik und viele ganz junge Spieler, die sehr talentiert sind und mit denen man in der Zukunft rechnen kann. Das macht schon Spaß, und mit der Quote von 6+6 in der BBL werden immer mehr Deutsche zu Repräsentanten der Liga. Schritt für Schritt werden wir in Deutschland besser und vor allem tiefer. Und diese Konkurrenz ist enorm wichtig.

SPOX: Mit Dennis Schröder, Elias Harris und Tim Ohlbrecht haben wir jetzt drei junge Spieler, die in der NBA spielen werden. Die fehlen allerdings in Slowenien. Wie bitter sind die Absagen?

Harnisch: Sind das denn schon NBA-Spieler? Wenn ich mir den französischen Kader anschaue, sehe ich Leute wie Tony Parker, bei denen die Betonung auf "spielen" liegt. Alle drei Deutschen sind in der Situation, dass sie drüben überhaupt erst mal ankommen müssen. Alle drei haben ohne Frage großes Potenzial, aber der Weg ist weit und steinig. Tim Ohlbrecht hat die D-League-Erfahrung bereits gemacht. Wir sollten nicht den Fehler machen, alles auf diese Drei zu fokussieren. Wie gesagt gibt es in Deutschland einen Pool von Spielern, die jetzt nachkommen und die hungrig sind.

Der Spielplan der EuroBasket 2013