Die neue Basketball-Spezies

Von Haruka Gruber
Deutschland trifft in der Vorrunde auf Frankreich, Russland und Lettland
© Getty

Sie kommen aus der Uni oder sogar der 3. Liga - und doch stehen sie für die Zukunft des DBB-Teams. Bei der EM schlägt die Stunde von "Mister Fantastic", "Prototyp" und "Steve Nash". Die deutschen Nationalspieler im Porträt.

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Center

Patrick Femerling (ohne Verein, 34 Jahre)

Seit 13 Jahren in der Nationalmannschaft, mit 215 Länderspielen Rekordhalter - und doch zuckt man nach wie vor zusammen, wenn Femerling den Ball hat. Die Chancen stehen fifty-fifty. Entweder: Kurzes Dribbling, einigermaßen koordinierter Post-Move, Korbleger. Oder: Kurzes Dribbling, unkoordinierter Post-Move, Turnover.

Und: Wiegt die von allen so gerühmte Erfahrung seine Foulanfälligkeit auf? Nach dem Flop-Jahr in Berlin sichtlich nicht in Topform, beim Vorbereitungsturnier in der Türkei unterliefen dem Reaktivierten etwa in drei Spielen 14 Fouls.

 

Tim Ohlbrecht (Telekom Baskets Bonn, 21 Jahre)

Der Grat zwischen "überschätztem Vollpfosten" (geschönte Umschreibung aus diversen Internet-Foren) und "einer der Besten in diesem Jahrgang in Europa" (Bonn-Coach Mike Koch) ist schmal. Niemand polarisiert wie Ohlbrecht, der nach dem Zerwürfnis mit Bamberg-Trainer Fleming - trotz Angebote europäischer Topteams - nach Bonn wechselt.

Mittelfristig plant er den Sprung in die NBA. Im Idealfall entwickelt sich Ohlbrecht zum deutschen Kevin Garnett mit Center-Fähigkeiten, im Worst-Case-Szenario beerbt er Peter Fehse. Bei der EM als Leistungsträger eingeplant.

 

Tibor Pleiß (Brose Bamberg, 19 Jahre)

Derart dünne Ärmchen und Beinchen hat sonst nur Mister Fantastic, die Comic-Figur mit der Fähigkeit, sich flexibel in jede Form zu dehnen. Pleiß vermag es zwar nicht, sich in ein lebendiges Katapult oder in einen Fallschirm zu verwandeln, aber immerhin ist er ein solch talentierter Basketballer, dass er beste Aussichten auf die NBA hat, wie mehrere Scouts betonen.

Erstaunlich, wie schnell Pleiß sprinten und den Break mitlaufen kann. Yassin Idbihis EM-Aussortierung ist ein klares Bekenntnis zu Pleiß. Nächstes Jahr spielt der Ex-Kölner in Bamberg, wo er auf Ohlbrecht-Hater Fleming trifft. Mal sehen...

 

Power Forward

Jan Jagla (ohne Verein, 28 Jahre)

Babyface - optisch und basketballerisch. Noch nicht der gewünschte Leader, machte in seinem letzten Vertragsjahr bei Joventut einen Schritt zurück. Muss konstanter werden und darf sich nicht so schnell verunsichern lassen.

Steht unter Druck wie kaum ein anderer Deutscher: Bei der EM geht es um einen neuen Klub - und um seinen Ruf. Ein mittelmäßiges Turnier und Jagla wird seine Reputation als verweichlichter Möchtegern-Nowitzki nur schwer los. Vom Talent her (Wurf, Rebounding, Blocking) gibt es kaum einen Besseren in Deutschland als Jagla.

Sven Schultze (ohne Verein, 31 Jahre)

Anerkannt als Stimmungskanone, geschätzt als Routinier. Aber: Von seinen Soft Skills und gelegentlichen Dreiern abgesehen, hält sich Schultzes Input in Grenzen. Auffällig, dass der sonst schon nicht sprintstarke Schultze noch einmal an Geschwindigkeit verloren hat. Als Verteidiger ist er demnach nur bedingt zu gebrauchen.

Immerhin: Wenn Schultze mal heiß läuft, ist er mit Staiger der beste Distanzschütze des DBB-Teams. Und: Eine gute EM ist Pflicht, um einen neuen Klub zu finden.

 

 

Small Forward

Robin Benzing (ratiopharm Ulm, 20 Jahre)

Gilt als "Prototyp des modernen Forwards" (DBB-Homepage). Extrem lange Arme, spielintelligent, ordentlicher bis guter Wurf. Wenn es die Small-Forward-Position nicht geben würde, man hätte sie für Benzing erfinden müssen. War letzte Saison in der 2. Liga für Langen einer der auffälligsten Akteure. Sein komplettes Spiel in Zahlen: 17,8 Punkte, 4,6 Rebounds, 50,3 Prozent Wurfquote, 30,1 Prozent Dreierquote, 78,6 Prozent Freiwurfquote.

Der Lohn: Benzing hat den eindimensionalen Wysocki in der Starting Five abgelöst. Und: Er bekam ein Angebot aus der NCAA von Michigan, musste aber absagen, weil wegen der Einsätze in der professionellen 2. Liga eine Sperre gedroht hätte.

 

Elias Harris (Gonzaga University/USA, 20 Jahre)

Benzings Antagonist - und dadurch die perfekte Ergänzung. Gegensätzlicher als Benzing und Harris kann man die Small-Forward-Position nicht interpretieren. Während Benzing den nüchternen, klassischen Euro-Basketball bevorzugt, erinnert Harris an einen typischen NBA-Swingman. Mit allen Vorzügen (Dynamik, Sprungkraft, Penetration), aber auch mit allen Nachteilen (inkonstanter Wurf, fehlende Übersicht).

Wird seinen amerikanischen Spielstil nach der EM weiter kultivieren, wenn er aus der deutschen 3. Liga (20,5 Punkte und 8,7 Rebounds für Speyer) zur Gonzaga University wechselt.

 

Konrad Wysocki (Turow Zgorzelec/Polen, 27 Jahre)

Letztes Jahr der Shootingstar, dieses Jahr der große Verlierer des deutschen Basketballs. Mit großen Ambitionen von Ulm nach Frankfurt gewechselt, war aber dann nur eine Randfigur (4,3 Punkte, 1,4 Rebounds) und stand nach dem Playoff-Aus auf der Straße, bis er kurz vor der EM beim polnischen Vizemeister Turow unterschrieb.

Droht gegen Benzing und Harris ins Hintertreffen zu geraten und weicht daher gelegentlich auf die Shooting-Guard-Position aus. Ob das aber bei einer BBL-Dreierquote von 28,6 Prozent eine gute Idee ist...

 

Shooting Guard

Demond Greene (ohne Verein, 30 Jahre)

Die Hoffnung früherer Tage auf eine große internationale Karriere ist längst gestorben. Aus Greene wird nie mehr als ein respektabler Rollenspieler - diese Aufgabe füllt er aber zur allgemeinen Zufriedenheit aus, weswegen Bauermann sofort einem Comeback des 30-Jährigen zustimmte.

Konnte im DBB-Trikot in der Vorbereitung aber den absteigenden Trend aus der BBL-Saison (in allen wichtigen Kategorien verschlechtert) nicht stoppen, vom guten Spiel gegen Lettland (14 Punkte) abgesehen. Sucht wie Femerling, Jagla und Schultze einen neuen Verein.

 

Lucca Staiger (Iowa State University/USA, 21)

Schmeiße Pascal Roller, Mithat Demirel und Steffen Hamann in einen Mixer, füge ein paar Zentimeter hinzu, herauskommt eine neue Spezies. Staiger hat einen grandiosen Wurf (wie Roller), spielt klug und effizient (Demirel), verfügt mittlerweile über eine ordentliche Athletik (Hamann) - und ist groß (1,96 Meter). Einzigartig.

Anfangs von Bauermann als Starting-Shooting-Guard eingeplant, knallte Staiger in der Vorbereitung aber in eine Art Nationalmannschaftsdebüt-Wall und musste um seine Nominierung bangen. Könnte in Bestform und mit Selbstvertrauen aber eine Waffe sein, die von Downtown so gut trifft wie sonst keiner im DBB-Team. Sein Ziel nach der College-Karriere: die NBA.

 

Point Guard

Steffen Hamann (Alba Berlin, 28 Jahre)

Der erhoffte Leistungssprung blieb nach dem Wechsel zu Alba aus, nichtsdestotrotz ist Hamann ein respektabler Spielmacher und gefürchteter Kettenhund. In Berlin war er zwar Starter, musste sich einen Großteil der Spielzeit aber mit Rashad Wright teilen. So überragend sein Drive zum Korb, so eklatant weiterhin sein Wurf.

Die Aufgabenteilung: Hamann bleibt trotz Schaffartziks starker Vorbereitung in der ersten Fünf und ermüdet mit seiner Defense den gegnerischen Point Guard. Wenn Punkte gefragt sind, kommt Schaffartzik. Oder: Schaffartzik und Hamann gemeinsam auf dem Parkett. Der Mangel an Körpergröße wird offensiv mit Variabilität (Hamann per Penetration, Schaffartzik per Wurf) kompensiert.

 

Heiko Schaffartzik (Phantoms Braunschweig, 25 Jahre)

Der Basketball-Freigeist. Erinnert mit seinem unorthodoxen, teils wilden Basketball an Steve Nash. Kein DBB-Spieler kann dank Schnelligkeit und Ballhandling-Skills so viele gefährliche Aktionen für sich und für andere kreieren wie Schaffartzik. Und: Kein Deutscher ballert derart gewissenlos (und häufig hochprozentig) in entscheidenden Spielsituationen.

Nach Jahren der Rastlosigkeit und einiger Skandale hat Schaffartzik zu sich gefunden - was ihn aber nicht davor schützt, gelegentlich den Verstand auszuschalten und zu überdrehen. Dennoch: So viel Streetball-Flair und Spielwitz gab es im DBB-Team seit Misan Nikagbatse (zu seinen besseren Zeiten) nicht mehr.

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