"Brand-Nachfolger muss große Schuhe anhaben"

Von Interview: Florian Regelmann
Markus Baur
© SPOX

München - Es gibt gibt sicher leicht glamourösere Orte für ein Interview als einen Supermarkt. 

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Im Schweizerischen Winterthur aus dem Bahnhof raus, dann nach links orientieren, an der Post vorbei, noch einmal um die Ecke. Schon steht man vor einem gigantischen Supermarkt-Komplex und trifft keinen geringeren als Markus Baur.

Den Kapitän der deutschen Weltmeister-Handballer, aktuellen Spielertrainer bei Pfadi Winterthur und demnächst neuen Chefcoach beim TBV Lemgo.

Flugs die Rolltreppe hinauf, sich noch kurz etwas aus dem reichhaltigen Angebot des Restaurants geholt, "scho kas losgo" wie man um uns herum sagen würde. Schon kann es losgehen.

Seit der Bekanntgabe, dass Markus Baur nach Lemgo gehen wird, sind in der Handball-Szene Diskussionen entstanden. Was bedeutet die fehlende Spielpraxis für seine Zukunft in der DHB-Auswahl und für Olympia?

Im SPOX-Interview äußert sich Baur zu der Problematik, zu einer möglichen Nachfolge von Heiner Brand und erzählt, wie er von seinen Nationalmannschafts-Kollegen aufgezogen wurde.  

SPOX: Herr Baur, wie schätzen Sie angesichts der EM im Januar und Olympia im Sommer Ihre Situation in Sachen Nationalmannschaft ein? 

Baur: Ich weiß nicht, ob es ein Problem geben wird. Das werden wir die nächsten Wochen mal angehen und schauen, was es für Möglichkeiten gibt, wie man das lösen kann. Fakt ist: Den Januar werde ich noch komplett spielen. Es geht nur um Februar bis Mai, vier Monate. Anfang Juni würde dann die Vorbereitung beginnen, in denen man acht Wochen zusammen trainiert. Es ist identisch, wie wenn ein Spieler mal zwei, drei Monate verletzt ist. Der kommt dann ja auch wieder dazu.

SPOX: Aber es würde Ihnen schon sehr schwer fallen, auf die Erfahrung Olympische Spiele zu verzichten?

Baur: Wir haben ja 2004 schon einiges erreicht und Silber geholt. 2000 haben wir schon die Chance gehabt und sind unglücklich ausgeschieden. Olympia ist für jeden Sportler das Größte, das es gibt. Das ist als Ziel in meinem Kopf drin, aber man wird dann abwägen müssen, geht's oder geht's nicht.

SPOX: Haben Sie sich beim letzten Treffen mit der Nationalmannschaft schon einige Sprüche anhören müssen. Immerhin sind Sie quasi als Trainer angereist...

Baur: Vor allem hatte ich genau davor drei Spiele in Folge verloren. Da kamen dann schon so tolle Sprüche wie "Da kommt der Erfolgstrainer aus der Schweiz" oder "Ob ich meinen Pass dabei habe, dass sie mich überhaupt hereingelassen haben", da wird dann natürlich geflachst, das ist ganz normal.

SPOX: Wie sehr ist der WM-Titel eigentlich noch im Kopf? Holt man da schon mal die DVD raus und schwelgt in Erinnerungen?

Baur (schmunzelt): Ja, die DVD gibt es ja noch nicht...die kommt ja jetzt erst im Weihnachtsgeschäft. Aber klar sind die Bilder im Kopf, gerade wenn man den Höhner-Song hört, wenn wir uns sehen, gehen einem die Bilder immer noch durch den Kopf und es gibt immer noch Gänsehaut.

SPOX: Im Grunde steht die nächste Europameisterschaft in Norwegen schon wieder vor der Tür. Wünscht man sich manchmal einen Vierjahres-Rhythmus der Großveranstaltungen wie bei den Fußballern?

Baur: Es ist jedes Jahr das Gleiche. Man muss auch das Positive sehen. Der Handball lebt von den Nationalteams und wie er in der Öffentlichkeit präsentiert wird. Die meiste Fokussierung liegt eben auf einer WM und EM. Natürlich muss man aber schauen, ob und wie man das irgendwie entzerren kann. Es ist für jeden Sportler eine Katastrophe. Man spielt am 29. Dezember noch Bundesliga, dann trifft man sich am 2. Januar mit der Nationalmannschaft, spielt die EM vom 17.-27. und am 2. Februar geht es in der Bundesliga wieder los. Es geht permanent weiter, da kann man sich gar nicht so richtig auf etwas einstellen. Man gewöhnt sich zwar daran, aber es ist sicher nicht von Vorteil für die Sportler in Sachen Belastung, Verletzungen, usw..

SPOX: Pascal Hens hat letzte Saison 94 Spiele absolviert. Die Termin-Hatz ist unglaublich. Nun wurde angeregt, dass sich die Spieler wehren sollten. Haben Sie überhaupt eine Chance?

Baur: Das ist schwierig. Ich wüsste jetzt auch nicht, was zum Beispiel eine Spielergewerkschaft in Deutschland bewirken könnte. Gut, es gibt eine im Fußball, aber ob die so große Macht hat, wage ich zu bezweifeln. Es gibt eigentlich keine Möglichkeit, entgegen zu wirken, das ist leider so. In Spanien gibt es eine Gewerkschaft, die wirklich Einfluss hat auf die Liga. Aber hier ist es natürlich schwierig, wir werden nun mal von den Vereinen bezahlt und die müssen sich den internationalen Richtlinien fügen. Da bleibt den Spielern nicht viel übrig.

SPOX: Stichwort Ausländerbeschränkung. FIFA-Präsident Sepp Blatter träumt von der "6+5"-Regelung im Fußball. Was sollte man im Handball machen?

Baur: Wir im Handball sind ja noch lange nicht so weit. Wir diskutieren über vier Deutsche pro Mannschaft, das sind vielleicht gerade mal 30 Prozent. Das wäre aber schon mal ein Anfang. Ich bin auf jeden Fall dafür, dass man versucht, Lösungen zu finden.

SPOX: Die Zuschauerzahlen sind etwas zurückgegangen, schon wird ein Ende des Handball-Booms ausgemacht, wie sehen Sie das?

Baur: Das kann man denke ich überhaupt nicht sagen. Überall, wo die Nationalmannschaft hinkommt, ist die Hütte voll. Es ist einfach so, dass die Nationalmannschaft schon länger bei keinem großen Turnier gewesen ist, die WM ist jetzt auch schon wieder zehn Monate her. Von dem her ist die Entwicklung ganz normal.

SPOX: Heiner Brand hat seinen Vertrag bis 2013 verlängert. Auch wenn es zugegebener Maßen viel zu früh ist, wäre der Bundestrainer-Job ein Lebensziel für Sie?

Baur: Grundsätzlich schon, aber das ist noch ein weiter Weg. Jetzt bin ich noch nicht einmal richtiger Bundesliga-Trainer, da wird schon über anderes gesprochen, das ist natürlich absoluter Quatsch. Ich möchte mich peu a peu weiterentwickeln und hoffe, dass ich irgendwann soweit bin und sagen kann: Ich bin ein Trainer, der angekommen ist, der weiß was er kann, was er bewegen kann. Und dann muss man mal sehen, was kommt. Der direkte Nachfolger von Heiner Brand möchte ich eigentlich sowieso nicht sein. Der muss nämlich richtig große Schuhe anhaben.

In Teil 2 spricht Baur über die Turbulenzen der letzten Monate und erklärt seinen Job in Lemgo.