Ein Mix aus Pep Guardiola und Jürgen Klopp: Roberto De Zerbi, Europas größtes Trainertalent

Von Mark Doyle / Patrik Eisenacher
Roberto De Zerbi
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Adam Lallana kannte den italienischen Teammanager Roberto De Zerbi bei seiner Verpflichtung nicht einmal. Nun ist er der begehrteste Trainer auf dem Markt

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Am Abend des 22. Oktober 2022 stand Roberto De Zerbi unter Druck. Er war erst seit etwas mehr als einem Monat Trainer von Brighton & Hove Albion, hatte aber noch kein Spiel in der Premier League gewonnen. Die 1:3-Niederlage bei Manchester City bedeutete die dritte Niederlage in seinen ersten fünf Partien.

Die Verantwortlichen hatten Angst, dass der Italiener die Arbeit vom zu Chelsea abgewanderten Vorgänger Graham Potter an der Südküste Englands zu Nichte macht. Die "Seagulls" waren inzwischen in der Tabelle von Platz vier auf Rang neun zurückgefallen.

Vielleicht hatte der stets kritische schottische TV-Experte Graeme Souness Recht, als er ätzte, dass De Zerbi "unsere (britische) Spielweise nicht kennt".

Doch diejenigen, die wirklich Bescheid wussten, erkannten, dass der riskante taktische Ansatz des Italieners in Brighton langsam Wurzeln schlug. Nach 32 Spielen ist De Zerbi mittlerweile sogar dabei, Brighton in den Europapokal zu führen. Mit einigen Spielen Rückstand auf Tottenham, Liverpool und Manchester United liegen die Seagulls derzeit auf Rang sieben.

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Pep Guardiola adelt Roberto De Zerbi: "Er wird in England einen enormen Einfluss haben"

City mag an besagtem Abend im Etihad-Stadion triumphiert haben, aber etwas sehr Merkwürdiges war passiert: Der amtierende englische Meister hatte weniger Ballbesitz gehabt als der Gegner. Pep Guardiolas Schützlinge mussten sich mit 48 Prozent begnügen.

"Sie haben eine Spielweise, die wir nicht gewohnt sind", gab Pep Guardiola hinterher zu, bevor er kühn voraussagte: "De Zerbi wird in England einen enormen Einfluss haben." Guardiola neigt dazu, seine Gegner mit nichtssagendem Lob zu überhäufen, aber in diesem Fall meinte er jedes Wort ernst. Und er sollte auch Recht behalten.

Nur sieben Monate nach seiner Ankunft in England, die von vielen Fachleuten mit Skepsis aufgenommen worden war, wird De Zerbi als taktisches Genie gefeiert. Ihm ist es gelungen, die besten Züge von Peps Ballbesitzspiel mit Jürgen Klopps kontrolliertem Gegenpressing zu verbinden.

Aber er lässt sich das Lob nicht zu Kopf steigen. "Ich bin seit zehn Jahren Trainer und habe gelernt, in dieser Welt zurechtzukommen", sagte er letzten Monat der Gazzetta dello Sport. "Jetzt, wo die Ergebnisse uns anlächeln, gibt es viele Komplimente und nette Worte. Aber es ist wichtig zu wissen, wie sie zustande kommen. Ich will nichts ändern, sondern nur das tun, wozu ich in der Lage bin: der Mannschaft meinen Stempel aufzudrücken. Ich denke, das ist mir hier in kurzer Zeit gelungen, aber das Lob gebührt den Spielern."

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Roberto De Zerbi: Adam Lallana kannte seinen neuen Trainer nicht

Die Mannschaft von Brighton war nicht dagegen, ihm zum neuen Trainer zu machen. Das lag aber vor allem daran, dass sie noch nie etwas von De Zerbi gehört hatte, wie Mittelfeldspieler Adam Lallana jetzt "beschämt" zugibt. Der ehemalige Liverpooler behauptet jedoch auch, dass er der erste Brighton-Spieler war, der verstanden hatte, was der Nachfolger Potters vorhatte. Lallana spielte eine Schlüsselrolle dabei, dass seine Mannschaftskameraden den neuen Ansatz des Trainers akzeptierten.

"Auch wenn er nicht gut Englisch und ich nicht Italienisch spreche, haben wir uns schon verstanden, wenn wir uns nur angesehen haben", sagte Lallana der Gazzetta. "Am Anfang war es schwer für uns, denn Potter hatte uns verlassen, als wir auf dem vierten Platz der Tabelle standen. Wir waren alle traurig und sind nicht gerade Spieler, die gerne den Trainer wechseln. Aber ich wusste, dass wir weitermachen mussten, auch weil wir sofort wichtige Spiele zu spielen hatten."

Der Engländer fuhr fort: "Und ich erinnere mich, wie De Zerbi der Gruppe sofort etwas vermitteln wollte. Er wollte, dass wir seine Taktik schnell kennenlernen. Er vermittelte direkt seine Leidenschaft und Liebe zum Fußball. Es hat ein bisschen gedauert. Aber ich glaube, wir haben uns trotzdem sehr, sehr schnell angepasst, mit einem offenen Geist und der Bereitschaft, zu hören, was er uns sagen wollte."

Lallana kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. "Wir begannen zu erkennen, dass die Dinge auf seine Art und Weise funktionierten, weil er ein Mensch ist, der fast eine Vater-Sohn-Beziehung zu den Spielern aufbaut. Ich weiß noch, wie ich ihm sagte, er solle mir sagen, was er wolle - und dass ich bereit sei, meinen Teamkollegen zu erklären, warum sie seinen Anweisungen folgen müssten. Und das habe ich auch getan: Ich habe erklärt, dass es am Anfang schwierig sein würde, aber dass wir dann erfolgreich sein würden."

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Roberto De Zerbi: Nur wenige Teams spielen besser als Brighton

Und er hatte nicht unrecht. Brighton verpasste den Einzug ins FA-Cup-Finale nur knapp und unterlag im Elfmeterschießen gegen Manchester United (6:7 nach 0:0). Dafür rächten sie sich jedoch am vergangenen Donnerstag in der Liga, mit dem Siegtreffer in der 9. Minute der Nachspielzeit durch Alexis MacAllister.

Das Beeindruckendste an den Ergebnissen von Brighton ist jedoch die Art und Weise, wie sie erzielt wurden. Es gibt derzeit nur wenige bessere Mannschaften in Europa, ganz zu schweigen von Teams aus England.

Während er gelegentlich noch mit Potters Dreierkette spielt, hat De Zerbi erfolgreich seine bevorzugte 4-2-3-1-Formation etabliert. Wenn sich die Gegner bei diesem Brighton-System eine Verschnaufpause gönnen, versucht Brighton sie mit viel Ballbesitz und einigen der verbleibenden Prinzipien des "Potter-Balls" auseinandernehmen. Wenn sie sich jedoch für Gegenpressing entscheiden, versucht Brighton so schnell und mit so vielen Direktpässen wie möglich an ihnen vorbeikommen.

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Roberto De Zerbi: "Lang und hoch ist wie Glückspiel"

Natürlich erfordert eine solch gewagte Taktik ein Höchstmaß an Qualität und Ruhe von jedem einzelnen Spieler, der in Ballbesitz ist. Gerade in England wählen einige lieber einen langen Ball, als von hinten herauszuspielen.

De Zerbi sieht das jedoch ganz anders. "Für mich ist es ein Glücksspiel, den Ball nach vorne zu schlagen und zu versuchen, den zweiten Ball zu gewinnen", sagte er einmal gegenüber Bobo TV, "und da ich nicht gerne wette, trainiere ich lieber eine Mannschaft, die vorsichtig von hinten herausspielt."

Wie er nun selbst zugibt, ist dieses Brighton das beste Beispiel für seine Fußballphilosophie. Er führt den Erfolg ganz bescheiden auf die Grundlagen seines Vorgängers Potter zurück und lobt die Intelligenz seiner Spieler. Lallana ist erstaunt, wie schnell "er es geschafft hat, so viele Jungs dazu zu bringen, auf diese bestimmte Weise zu spielen. Ich denke, das ist es, was ihn so unglaublich macht", sagte der Engländer. "Er hat eine Gruppe von 25 Spielern dazu gebracht, ihm zu folgen, immer konzentriert zu bleiben und seinen Spielstil zu akzeptieren."

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Roberto De Zerbi stellt klar: "Zielstrebigkeit ist nicht Arroganz"

Die Frage ist nun natürlich, wie weit er mit Brighton kommen kann. Der Mannschaft droht im Sommer ein Ausverkauf: Alexis Mac Allister, Kaoru Mitoma, Even Ferguson und Moisés Caicédo könnten allesamt für hohe Ablösesummen zu noch besseren Mannschaften wechseln.

Letzterer wäre im Januar beinahe von Arsenal abgeworben worden. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Brightons exzellente Scouting-Abteilung weitere versteckte Perlen aufzuspüren.

De Zerbi weiß sehr genau, wie die Fußballwelt funktioniert. Gerade sein Erfolg bei der vorherigen Station Sassuolo mit geringem Budget hat ihn für Brighton so interessant gemacht. Aber er hat bereits deutlich erklärt, dass er wenig Interesse daran hat, zu bleiben, wenn seine besten Spieler verkauft werden. De Zerbi hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich bei den größten Vereinen der Welt beweisen will.

"In diesem Job läuft man Gefahr, missverstanden und als arrogant wahrgenommen zu werden, aber für mich ist Ehrgeiz keine Arroganz", erklärte er. "Es ist ein Traum, den man erreichen will und der einen motiviert. Er ermöglicht es, die Menschen zu begeistern - die Menschen, die das Stadion füllen. Es motiviert deinen Verein. Es ist riskant, die Messlatte hoch zu legen, denn man kann auch scheitern. Aber dadurch kann man auch noch besser werden, als wenn man die Messlatte niedrig hält."

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Roberto De Zerbi: Sommer-Wechsel in die Serie A?

Es wäre also keine Überraschung, wenn er Brighton schon am Ende der Saison verlassen würde. Tottenham soll interessiert sein, aber auch eine Rückkehr nach Italien ist durchaus denkbar - zumal in diesem Sommer mehrere Stellen in der Serie A frei werden könnten. An Optionen wird es dem erfolgreichen De Zerbi sicher nicht mangeln.

Bereits im September, als Experte Souness seine Verpflichtung als "Risiko" bezeichnete, verriet der Schotte, dass er sich über den Premier-League-Neuling informiert habe. "Wenn Sie bei Google nach ihm suchen, werden Sie sehen, dass er in neun Jahren sieben Jobs hatte", sagte er bei TalkSPORT. "Wenn du ein außergewöhnlicher Trainer bist, wollen die Leute, dass du bleibst..."

Wenn man bedenkt, wie wenig Zeit er benötigt hat, um sich im englischen Fußball zu etablieren, wird Roberto De Zerbi in diesem Sommer sicher einer der heißesten Namen auf dem Trainerkarussell sein.

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