"Federführend bei dummen Aussagen war Hans-Joachim Watzke": Fan-Sprecher Salzweger vom FC Bayern München im Interview

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Sportlich haben die Fans des FC Bayern München aktuell wenig zu feiern, dafür gelangen zuletzt beachtliche Erfolge abseits des Rasens: Im Interview mit SPOX streift Alexander Salzweger, Sprecher der Fanvereinigung Club Nr. 12, die wichtigsten Fan-Themen rund um den FC Bayern.

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Das Katar-Sponsoring ist ausgelaufen, der DFL-Investoren-Deal wurde verhindert: Wie mächtig fühlt man sich in der aktiven Fanszene aktuell?

Alexander Salzweger: Es ist schön, was wir in letzter Zeit erreicht haben. Mächtig fühlen wir uns aber nicht, weil wir das alleine nicht hinbekommen hätten. Beide Themen wurden durch sehr kritische mediale Berichterstattung flankiert. Die Proteste gegen den DFL-Deal haben die Fanszenen zwar organisiert und kommuniziert. Getragen wurden sie aber von einer Mehrheit aller Stadionbesucher.

Hätten Sie gedacht, dass die Proteste den Deal tatsächlich kippen?

Salzweger: Nein. Wir haben die Proteste auch deshalb organisiert, um uns später nicht vorwerfen zu müssen, wir hätten es nicht versucht. Die aus meiner Sicht einzige Chance bestand darin, das Produkt kaputt zu machen. Offenbar waren die Vereine überrascht, dass wir das dermaßen konsequent durchziehen. Das zeigt mal wieder, dass die Vereine oft gar kein Gefühl für ihre eigenen Fans haben. Generell hätten wir eher erwartet, dass der Investor aussteigt, als dass die Liga einen Rückzieher macht.

Wie war der Austausch mit der Klubführung des FC Bayern?

Salzweger: Welcher Austausch? Denen war klar, welche Meinung wir haben und dass wir protestieren werden. Aber es war ihnen egal.

Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen mutmaßte, dass es aktiven Fans bisweilen "nicht mehr um den Fußball geht, sondern in erster Linie um Machtdemonstration".

Salzweger: Bei solchen Aussagen schüttelt man den Kopf. Tatsächlich kennt Jan-Christian Dreesen einige Vertreter aus der Fanszene sehr persönlich. Er weiß zu 100 Prozent, dass es nicht um Machtdemonstrationen ging, sondern nur um die Sache. Solche Aussagen führen nicht zu mehr Kompromissbereitschaft beim Gegenüber. Das war ungeschickt und dumm. Federführend bei dummen Aussagen war aber Hans-Joachim Watzke.

Jan-Christian Dreesen, FC Bayern München
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Ganz unabhängig von der DFL-Thematik: Wie erleben Sie die Kommunikation mit der neuen Bayern-Führung im Vergleich zur vorherigen um Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic?

Salzweger: Mit Kahn und Salihamidzic hätte es in der jetzigen Situation noch mehr gebrannt. Ich habe das Gefühl, dass wieder mehr miteinander geredet wird. Die Kommunikation ist besser und nahbarer geworden. Im Arbeitskreis Fandialog wird vor allem Michael Diederich regelmäßig gelobt. Mit ihm kann man ordentlich diskutieren.

Nach jahrelangen Protesten lief im vergangenen Sommer das umstrittene Sponsoring von Qatar Airways aus. Nachfolger als Platin Partner wurde die nationale Tourismus-Kampagne des diktatorisch regierten Landes Ruanda. Gab es vorab einen Austausch mit den Fans?

Salzweger: Nein. Wir waren davon auch überrascht.

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit Ruanda?

Salzweger: Ruanda ist ein ähnlich problematischer Sponsor wie Katar, politisch ist das Land eine absolute Katastrophe. Für uns ist das Thema aber deutlich entspannter, weil die Werbung nicht auf dem Trikot steht. Damit verzichtet Bayern zwar auf ein paar Millionen, erspart sich aber die gleichen Diskussionen wie bei Katar.

Zurück zum verhinderten Investoren-Deal der DFL: Wie soll es aus Sicht der Fanszenen mit dem deutschen Fußball weitergehen?

Salzweger: Unser größter Wunsch ist, dass alle Vereine ordentlich wirtschaften. Vor allem die Spielergehälter müssen schrumpfen. Bayern ist das beste Beispiel: Wir geben Unsummen für Spieler aus, die ihre Gehälter mit ihren Leistungen seit Jahren nicht rechtfertigen. Generell müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, die Bundesliga könnte international immer weiter wachsen. Die Liga ist nun mal nicht so attraktiv, wie man es gerne hätte. Wolfsburg gegen Hoffenheim interessiert kein Schwein. Große Traditionsvereine wie Schalke oder der HSV sind in der Zweitklassigkeit verschwunden. Selbstverschuldet. Aber auch, weil sie von Investoren-Klubs wie Leipzig verdrängt wurden. Außerdem spielen 16 von 18 Vereinen unattraktiven Fußball, die Ausnahmen sind Leverkusen und Stuttgart.

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Die Proteste gegen den Investoren-Deal wirkten exakt abgestimmt. Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen den Fanszenen vorstellen?

Salzweger: Fast alle großen Fanszenen sind über ein Netzwerk verbunden, es fehlt aber zum Beispiel Eintracht Frankfurt. In diesem Kreis haben Vertreter der jeweiligen Szenen intensiv diskutiert: Was wollen wir machen? Wie weit wollen wir gehen? Und wann? Letztlich wurde ein Weg gefunden, mit dem alle leben konnten.

Welche Fanszenen waren federführend?

Salzweger: Da gab es ungefähr eine Hand voll. Wie bei eigentlich allen Themen waren die Dortmunder auch diesmal sehr engagiert. Außerdem zu nennen sind Nürnberg und Hannover, das wegen Martin Kind eine Sonderrolle eingenommen hat.

Mindert die intensive Zusammenarbeit bei solchen Thematiken die traditionelle Rivalität auf den Rängen?

Salzweger: Hinter den Kulissen arbeitet man zwar intensiv zusammen, beim Fußball bleibt aber alles beim Alten. Auch, weil jeweils unterschiedliche Leute beteiligt sind. Bei den Netzwerk-Treffen tauschen sich Personen aus, die schon seit vielen Jahren Fanpolitik betreiben und sich unabhängig von Rivalitäten kennen und schätzen. Das sind keine 16-jährigen Jung-Ultras, die auch mal eine Fahne ziehen oder sich auf die Fresse hauen wollen.

Kommen denn aktuell viele junge Fans nach?

Salzweger: Wir sind in dieser Saison schon um eine dreistellige Personenzahl gewachsen. Darunter sind sehr, sehr viele 16- und 17-Jährige. Themen wie Katar oder der DFL-Investoren-Deal schaden diesbezüglich sicher nicht. Für Teenager ist es aufregend, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen - und sogar zu gewinnen. Natürlich macht es ihnen auch Spaß, Tennisbälle auf den Platz zu schmeißen.

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Im SPOX-Interview vor eineinhalb Jahren haben Sie vor dem Hintergrund der damals noch allgegenwärtigen Corona-Pandemie von einem "deutlichen Rückgang der Ticket-Nachfrage" beim FC Bayern gesprochen. Beim Bundesligaspiel gegen Union Berlin im Januar gab es bis kurz vor Anpfiff noch Karten zu kaufen. Ist die Nachfrage weiterhin rückläufig?

Salzweger: Nein. Das Union-Spiel war aufgrund der Verschiebung eine Sondersituation. Viele Personen mit Tickets waren beim Nachholtermin am Dienstagabend verhindert. Deshalb gab es eine extreme Karten-Schwemme. Insgesamt hat die Ticket-Nachfrage mittlerweile wieder mindestens Vor-Corona-Niveau erreicht.

Wie erleben Sie die Stadion-Stimmung in dieser Saison?

Salzweger: Bei Highlightspielen gegen Topmannschaften oder gegen unsere Freunde aus Bochum wunderbar. Wenn es aber beispielsweise gegen Hoffenheim geht, kann es auch zäh werden.

Trainer Thomas Tuchel kritisierte im Januar den Stimmungsboykott in den ersten zwölf Spielminuten aufgrund der Proteste. Er wünschte sich "wieder mal ein Heimspiel mit Enthusiasmus".

Salzweger: Mit so einer Aussage bewirkt er exakt das Gegenteil. Das sollte ihm eigentlich klar sein. Wenn die Herren Fußballprofis ohne Anfeuerungen ihre Leistungen nicht bringen können, sind die Fans vielleicht doch Herz und Seele des Fußballs. Tuchels Aussage war ein bisschen die alte Uli-Hoeneß-Taktik: Läuft es auf dem Platz nicht, suchen wir die Verantwortung woanders und schaffen einen Nebenkriegsschauplatz.

Der Rückstand auf Tabellenführer Bayer Leverkusen beträgt mittlerweile zehn Punkte, im DFB-Pokal ist die Mannschaft schon ausgeschieden, in der Champions League muss am Dienstag ein 0:1-Rückstand gegen Lazio Rom gedreht werden. Es droht die erste titellose Saison seit zwölf Jahren. Was macht das mit Ihnen?

Salzweger: Ich kann damit absolut leben. Ich glaube, dass eine Saison ohne Titel vielen Bayern-Fans gut tun wird. Danach werden wir Meistertitel wieder anders wahrnehmen. Wobei auch der letzte ziemlich emotional war. Eigentlich hatten wir es in der vergangenen Saison schon nicht verdient, in dieser Saison aber noch weniger. Ärgerlich ist nur, dass ausgerechnet einer der Klubs gewinnen wird, die von der 50+1-Ausnahmeregelung profitieren. Lassen muss man Leverkusen, dass sie super Fußball spielen. Ich bin aber überzeugt, dass es nächstes Jahr wieder deutlich in unsere Richtung kippt. Es ist eine Situation wie nach Jürgen Klinsmann 2009 und nach dem Finale dahoam 2012. Max Eberl wird jeden Stein umdrehen. Wir werden eine runderneuerte Mannschaft bekommen und im Sommer den Großangriff starten.

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Wie kommt die aktuelle Mannschaft bei den Fans an?

Salzweger: Die aktiven Fans unterstützen die Jungs immer bedingungslos, solange sie das rote Trikot tragen - oder das weiße oder das hässliche schwarze. Nach der Niederlage in Bochum haben aber viele Normalo-Fans gepfiffen, als die Mannschaft in die Kurve gekommen ist. Das habe ich seit zehn, zwölf Jahren nicht mehr erlebt. Bei vielen Fans hat sich der Eindruck verfestigt, dass diese Mannschaft nicht alles gibt.

Ein kleiner Lichtblick ist Aleksandar Pavlovic. Erstmals seit langem scheint sich ein Eigengewächs durchzusetzen.

Salzweger: Er ist ein absoluter Glücksfall für den Verein! Bei ihm ist es ein bisschen wie damals bei Thomas Müller oder David Alaba: Er ist zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Pavlovic merkt man an, dass er es zu schätzen weiß, für Bayern spielen zu dürfen. Bei Mathys Tel habe ich übrigens den gleichen Eindruck.

Tel sucht sichtlich die Nähe zu den Fans. Selfie-, Autogramm- oder Trikot-Wünsche erfüllt er bereitwillig. Vergangene Woche fuhr er Augenzeugenberichten zufolge sogar einen Fan vom Trainingsgelände nach Hause.

Salzweger: Als in Bochum die ganze Mannschaft ausgepfiffen wurde, blieb er am längsten vor der Kurve - und hat dann Applaus bekommen. Ihm gelingt auch nicht alles, aber er gibt immer 120 Prozent. In seinen kurzen Einsatzzeiten hat er sich so in die Herzen vieler Fans gespielt.

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Lob bekam Tel auch schon vom neuen Sportvorstand Max Eberl. Wie beurteilen Sie dessen Verpflichtung?

Salzweger: Wenn Max Eberl direkt aus Gladbach gekommen wäre, hätte es jeder gefeiert. Er hat aber die unheimlich dumme Schleife über Leipzig gedreht. Seinen Abgang aus Gladbach aufgrund von psychischen Problemen nehme ich ihm ab. Auch, dass er sich danach schnell erholt hat und wieder einsteigen wollte. Dass er trotz seiner vorherigen Kritik ausgerechnet nach Leipzig gewechselt ist, war sehr merkwürdig. Bei Bayern hat es aber ohnehin schon Tradition, dass Vorstände manchmal komische Aussagen treffen. Während Eberls Zeit in Leipzig hatte man nicht den Eindruck, er würde hinter dem Konstrukt stehen. Das finde ich einerseits gut. Andererseits frage ich mich, warum er überhaupt hingegangen ist.

Eberl gilt als Wunschkandidat von Uli Hoeneß. Was gibt es Ihnen für ein Gefühl, wenn der 72-jährige Patron im Hintergrund immer noch mitmischt?

Salzweger: Genau wie Karl-Heinz Rummenigge hängt auch Uli Hoeneß so sehr an seinem Lebenswerk, dass er nicht loslassen kann. Langsam wird es an der Zeit für eine funktionierende Nachfolgeregelung und einen kompletten Rückzug von Hoeneß.

Bei der Gedenkfeier für Franz Beckenbauer positionierte sich Hoeneß öffentlichkeitswirksam gegen die AfD. Wie kam das in der Fanszene an?

Salzweger: Sehr gut! Ich habe mich zunächst zwar gefragt, ob eine Trauerfeier der richtige Ort dafür ist. Aber es hat schon gepasst, weil Beckenbauer auch ein politischer Mensch war. Wir haben danach den Geschäftsführer des e.V. gefragt, ob Hoeneß' Aussage irgendwelche Auswirkungen gehabt habe. Er meinte, dass am Tag darauf zahlreiche Austrittsschreiben auf dem Tisch lagen. Denen wurde geantwortet: "Wenn ihr deswegen austretet, wart ihr hier ohnehin falsch - und tschüss!" Es ist auch schön, dass sich der Verein bei vielen Aktionen gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus engagiert.

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