"Seine Zukunft stand auf der Kippe": Aleksandar Pavlovics beschwerlicher Werdegang beim FC Bayern München

Aleksandar Pavlovic, FC Bayern München
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In der aktuell trüben Welt des FC Bayern erscheint Aleksandar Pavlovic wie ein einsamer Lichtblick. Als angehendes Wunderkind galt Pavlovic nie, sein Werdegang vom Balljungen zum Münchner Shootingstar war von Schwierigkeiten geprägt - in der U16 stand er am Scheideweg.

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Aleksandar Pavlovic spielte schon im Alter von 14 Jahren bei den Profis des FC Bayern München mit, zumindest ein bisschen. Als Balljunge in der Allianz Arena warf er seinen heutigen Mitspielern damals pflichtbewusst die Bälle zu. Zuletzt kursierte ein Video, in dem er Joshua Kimmich und Thomas Müller bedient. Prädikat: süß.

Mittlerweile hat sich das Zusammenspiel zwischen Pavlovic und all den berühmten Bayern-Spielern längst von der Seitenlinie auf den grünen Rasen verlagert. Das Faszinierende dabei: Mit den Füßen verteilt der 19-jährige Mittelfeldspieler die Bälle ähnlich präzise wie einst mit den Händen.

Ende der vergangenen Saison stand Pavlovic erstmals im Profi-Kader, im Herbst feierte er sein Debüt, seitdem absolvierte er zwölf Pflichtspiele. Anfang des Jahres erzielte er bei den Siegen gegen den FC Augsburg und Borussia Mönchengladbach wichtige Tore. Die Fans wählten Pavlovic zum Spieler des Monats Januar. Gegen Bayer Leverkusen bekam er auf der Doppelsechs neben Leon Goretzka den Vorzug vor dem wiedergenesenen Kimmich. Gegen RB Leipzig musste der Platzhirsch - auch wegen der dortigen Verletzungsmisere - nach rechts hinten ausweichen.

Die Führungsspieler um Kimmich und Goretzka stehen beim FC Bayern massiv in der Kritik. Sie gelten als hauptverantwortlich für die sportliche Misere, die in der Sommer-Trennung von Trainer Thomas Tuchel gipfelte. In dieser aktuell trüben Welt des FC Bayern erscheint Pavlovic wie ein einsamer Lichtblick.

Münchner Identifikationsfigur: Pavlovic bedient die Sehnsüchte des FC Bayern

Mittlerweile wird Pavlovic sogar als Kandidat für den deutschen Kader bei der Heim-Europameisterschaft im Sommer gehandelt. "Das wäre schon ein Traum von mir", sagte er nach dem Sieg gegen Leipzig und lächelte sein Lausbuben-Lächeln. Spricht man Pavlovic in der Mixed Zone an, bekommt man zwar keine ausführlichen Antworten, dafür aber per Garantie ein verschmitztes Grinsen. Das anstehende Turnier sei jedenfalls "eine große Extra-Motivation" für ihn.

Beim FC Bayern bedient das Eigengewächs Sehnsüchte, die zuletzt Thomas Müller vollumfänglich erfüllte. Trainer Louis van Gaal machte diesen 2009 zum Stammspieler, innerhalb kürzester Zeit war Müller nicht mehr wegzudenken. Waschechter Bayer, aus dem eigenen Nachwuchs, volle Identifikation mit dem Klub. Attribute, die allesamt auch auf Pavlovic zutreffen. "Der FC Bayern bedeutet mir alles", sagte er neulich.

Bei den Münchner Profis tauchen aber alljährlich vermeintlich vielversprechende Eigengewächse auf und bald wieder ab. Traditionell machen sie ein paar Spiele, werden ordentlich gehypt, um dann in der Ferne zu verschwinden. Sagen wir beim SV Stripfing oder vielleicht beim FC Lugano. Wenn es gut läuft, landen sie wie Niklas Dorsch beim FC Augsburg oder wie Angelo Stiller beim VfB Stuttgart. Pavlovic aber scheint gekommen zu sein, um zu bleiben. Wobei: Pssst, nur nicht verschreien!

Aleksandar Pavlovic: Seine Leistungsdaten beim FC Bayern

SaisonMannschaftPflichtspieleToreAssists
2020/21 (Abbruch wegen Corona)U171--
2021/22U1916--
2022/23U192233
2022/23Reserve6-1
2023/24Reserve3--
2023/24Profis1222
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Scheideweg in der U16: Als Aleksandar Pavlovic beim FC Bayern "auf der Kippe" stand

Als Sohn serbischer Eltern wurde Pavlovic im Mai 2004 in München geboren. Sein erster Klub war der SC Fürstenfeldbruck im Westen der Stadt, dort spielte einst übrigens auch Josip Stanisic. Aktuell an Bayer Leverkusen verliehen, könnte der 23-jährige Rechtsverteidiger nach dem überfälligen Kaderumbau genau wie Pavlovic eine wichtige Rolle einnehmen.

Pavlovic wechselte bereits im Alter von sieben Jahren aus Fürstenfeldbruck zum FC Bayern, wo er fortan sämtliche Nachwuchsmannschaften durchlief. Als größtes Talent seines Jahrgangs galt er jedoch nie. Nein, Pavlovic musste um seinen Platz kämpfen. Bisweilen nicht nur um den in der Startelf, sondern um überhaupt im Kader zu stehen.

"Seine unglaubliche fußballerische Qualität war schon damals offensichtlich: seine enorme Ballsicherheit, Spielintelligenz, Handlungsschnelligkeit und die Fertigkeit, Spielsituationen zu lesen", erinnert sich Danny Schwarz im Gespräch mit SPOX. Der ehemalige Bundesliga-Profi trainierte Pavlovic in der U16 und U17, mittlerweile ist er für den FC 08 Homburg in der Regionalliga Südwest tätig. Trotz all dieser Vorzüge habe Pavlovic laut Schwarz damals aber "wenig Spielzeit bekommen".

Und zwar aus zwei Gründen: "Einerseits hatte er auf der Sechs starke Rivalen, beispielsweise unseren Kapitän Eyüp Aydin. Zudem war er mitten in der Pubertät und Wachstumsphase. Andere waren in dieser Phase schon einen Schritt weiter." Ein Blick auf das süße Balljungen-Video lässt erahnen, was sein Ex-Trainer meint. Der 14-jährige Aleksandar wirkt noch sehr kindlich, nicht wie ein Teenager.

"Seine Zukunft bei Bayern stand immer wieder auf der Kippe. In der U16 befand er sich am Scheideweg", sagt Schwarz. "Haching und 1860 haben ihn und andere Talente, die bei Bayern weniger Spielpraxis bekommen haben, auf dem Schirm gehabt. Er hat aber immer gesagt: 'Ich will unbedingt bei Bayern bleiben und mich hier durchbeißen.'" Sein ehemaliger Trainer spürte bei Pavlovic schon damals "volle Identifikation" mit dem FC Bayern, ein Wechsel zu einem Lokalrivalen sei für ihn nicht in Frage gekommen.

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FC Bayern: Aleksandar Pavlovics "rasante Entwicklung" in der U17

"Man hat immer gesehen, was er für ein unfassbar guter Fußballer ist", sagt auch Halil Altintop, sportlicher Leiter des Campus, zu SPOX. "Aber er hatte es zunächst schwerer, weil er sich physisch erst recht spät entwickelt hat. Wir haben uns aber stets gegenseitig großes Vertrauen geschenkt. Er hat immer an sich geglaubt und an sich gearbeitet, sowohl im fußballerischen Bereich als auch in Sachen Persönlichkeitsentwicklung."

Den wohl entscheidenden Schritt ging Pavlovic ausgerechnet, als der Meisterschaftsbetrieb ausgesetzt war. Im Sommer 2020 rückte er in die U17, an den ersten fünf Spieltagen gewährte ihm Danny Schwarz exakt eine Einsatzminute. Dann beendete die Corona-Pandemie die Saison vorzeitig, Spielpraxis gab es fortan keine mehr. Just in dieser Zeit habe sich Pavlovic laut Schwarz "rasant entwickelt". Nach nur einem Kurzeinsatz für die U17 war Pavlovic in den darauffolgenden beiden Spielzeiten bei der U19 gesetzt und trug zeitweise sogar die Kapitänsbinde.

Als vielversprechendste Talente seines 2004er-Jahrgangs galten aber eher Lucas Copado oder Yusuf Kabadayi. Pavlovics Sechser-Rivale Aydin ließ die U19 sogar ganz aus und stieg direkt zur Reserve auf, mittlerweile spielt er für die Profis von Galatasaray Istanbul. Auch auf den jeweils ein Jahr jüngeren Tarek Buchmann, Arijon Ibrahimovic und Paul Wanner ruhten größere Hoffnungen als auf Pavlovic. Nominierungen in deutsche U-Nationalmannschaften standen bei ihm zunächst nicht zur Debatte.

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Debüt, Vertrag, DFB-Nominierung: Aleksandar Pavlovic startete im Herbst durch

Eine ernsthafte Profi-Perspektive tat sich erst in der Rückrunde der vergangenen Saison auf: Pavlovic absolvierte erste Einsätze für die viertklassige Reserve, der jetzige Bundestrainer Julian Nagelsmann sowie sein Nachfolger Thomas Tuchel ließen ihn bei den Profis mittrainieren. Geraunt, so wie man eben den Namen einer großen Nachwuchshoffnung raunt, wurde "Aleksandar Pavlovic" an der Säbener Straße erstmals im Mai, als er bei einem öffentlichen Training vor rund 1000 Fans brillierte.

In der Sommer-Vorbereitung nahm ihn Tuchel mit auf die Asien-Reise, dort glänzte aber eher der mittlerweile an Austria Wien verliehene ein Jahr ältere Frans Krätzig. Pavlovic fehlte anschließend wegen einer hartnäckigen Grippe. Mit Palhinha wollte der FC Bayern des Trainers Traum von einer defensivstarken "Holding Six" erfüllen, die Verpflichtung zerschlug sich aber kurz vor Ende der Transferphase. Tuchel klagte daraufhin über seinen zu kleinen Kader, Pavlovic profitierte davon.

Ende Oktober fehlte Kimmich gesperrt und Leon Goretzka verletzt, Pavlovic nutzte seine Chance und etablierte sich. Wenige Tage nach seinem Profidebüt unterschrieb er einen Vertrag bis 2027. "Als echter Münchner hat er es in die erste Mannschaft des FC Bayern geschafft. Unsere Fans träumen davon, dass solche Geschichten Realität werden, und uns im Club geht es genauso", sagte der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen.

Im November berief U20-Nationaltrainer Hannes Wolf den auch für Serbien spielberechtigten Pavlovic erstmals in eine deutsche Nachwuchsauswahl. Nach Informationen von SPOX begeisterte er Wolf beim Lehrgang nicht nur als Fußballer, sondern auch als Persönlichkeit. Sein Ex-Trainer Danny Schwarz hat Pavlovic als "bodenständigen, höflichen, ganz ruhigen Typen" in Erinnerung. "Er war damals eher unscheinbar. Manchmal musste ich zweimal nachschauen, ob er tatsächlich da ist. Im persönlichen Gespräch war er immer wissbegierig und selbstkritisch. Man konnte ihm wunderbar Dinge erklären und Tipps geben."

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Lob und Tadel: Thomas Müllers besonderer Umgang mit Aleksandar Pavlovic

Tipps bekommt Pavlovic beim FC Bayern dem Vernehmen nach regelmäßig von Müller. Die Klub-Ikone kümmert sich gerne um junge Talente. Vor allem, wenn es sich wie bei ihm selbst um waschechte Bayern handelt. "Aleks ist ein super Junge. Ich mag seine Spielweise. Er kann arbeiten, lässt sich nicht unterkriegen, hat den Blick immer oben und einen guten Touch", lobt Müller. Tunlichst ist der 34-Jährige aber auch bedacht darauf, den Hype um Pavlovic einzubremsen.

Seine zwei Standard-Vorbereitungen gegen Stuttgart? "Die ersten beiden Ecken kommen an den kurzen Pfosten und werden geklärt, das war erstmal gar nichts. Danach wurde es besser, dann haben wir Tore daraus gemacht", sagte Müller lapidar. Pavlovics Tor gegen Gladbach? "Wenn er den Ball so butterweich serviert bekommt, dann muss er ihn auch machen." Verantwortlich für den butterweichen Service übrigens: Müller.

Tuchel nennt Pavlovic "einen feinen Fußballer und super feinen Kerl". Das Verhältnis zwischen den beiden ist bestens, Pavlovic entsprechend "traurig" über die bevorstehende Trennung. Das 19-jährige Eigengewächs in die Profi-Mannschaft integriert zu haben, könnte Tuchels größtes Vermächtnis beim FC Bayern werden. Hoffnung auf weitere Spielpraxis dürften Pavlovic aber die Aussagen des neuen Sportvorstands Max Eberl machen. Bei seiner Vorstellung am Dienstag betonte Eberl, dass der künftige Bayern-Trainer "Bock darauf haben muss", mit jungen, unerfahrenen Spielern zu arbeiten.

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Pavlovic auf der Sechs? "Er erfüllt das Anforderungsprofil vor der Abwehr perfekt"

Noch bevor sich Pavlovic auf einen neuen Trainer beim FC Bayern einstellen muss, kommt es womöglich zu einem Wiedersehen mit Nagelsmann bei der Nationalmannschaft. Müller reiste nach seiner ersten Profi-Saison beim FC Bayern einst zur Weltmeisterschaft 2010 nach Südafrika. Tut es ihm Pavlovic gleich?

Eine Nationalmannschafts-Nominierung Pavlovics könnte durchaus Sinn ergeben. Rückkehrer Toni Kroos und Ilkay Gündogan fühlen sich im Mittelfeld auf der Acht am wohlsten, mit Kimmich plant Nagelsmann dem Vernehmen nach eher als Rechtsverteidiger. Was in der Nationalmannschaft wie beim FC Bayern fehlt, ist ein tiefer Sechser.

Als Kandidaten gelten der arg kriselnde Emre Can von Borussia Dortmund, Pascal Groß von Brighton & Hove Albion und Robert Andrich von Bundesliga-Tabellenführer Bayer Leverkusen. Nun mischt auch Pavlovic mit - wobei die Frage nach seiner besten Position noch nicht so ganz geklärt ist. Tuchel sieht ihn als "spielenden, sehr mobilen Sechser - so wie Konny (Laimer), Leon (Goretzka) und Josh (Kimmich) auch". Gegen Leipzig agierte Pavlovic zuletzt etwas vor dem tiefer positionierten Goretzka.

Sein Ex-Trainer Schwarz erachtet den 1,88 Meter großen Pavlovic unterdessen als Holding Six: "Er erfüllt das Anforderungsprofil vor der Abwehr perfekt." In der U16 und U17 hatte Schwarz noch "die Befürchtung, dass ihm seine Geschwindigkeit zum Problem werden könnte. Aber Aleks hat sich super angepasst. Auf der Sechs ist es ohnehin eher wichtig, handlungsschnell zu sein, Situationen im Kopf richtig einzuordnen und dann fußballerisch zu lösen - das kann er wunderbar."

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