Spieler stärken Thomas Tuchel - Dissonanzen zwischen Trainer und Klub-Führung? Das Ringen um die Deutungshoheit beim FC Bayern München

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Am Mittwoch verkündete der FC Bayern München die Sommer-Trennung von Trainer Thomas Tuchel, am Samstag gelang der erste Sieg nach drei Pleiten hintereinander. Die Führungsspieler stellten sich anschließend hinter Tuchel, der Trainer schürte Zweifel an der Einvernehmlichkeit der Trennung - und der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen lobte die Transferpolitik. Ein Ringen um die Deutungshoheit.

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Kein Spieler des FC Bayern München sorgt mit seinen Taten und Worten für eine größere Wucht als Thomas Müller. Insofern waren die Bilder, die die 34-jährige Klub-Ikone nach diesem 2:1-Sieg gegen RB Leipzig lieferte, von allerhöchster Symbolkraft. Es war der erste Sieg nach drei Niederlagen hintereinander. Es war der erste Sieg nach der Entscheidung, dass Trainer Thomas Tuchel den Klub im Sommer trotz Vertrags bis 2025 "einvernehmlich" verlassen wird.

Der längst ausgewechselte Müller bejubelte Harry Kanes Siegtor in der Nachspielzeit jedenfalls ausgesprochen innig mit Tuchel. Es war das Bild zu den darauffolgenden Aussagen der Führungsspieler, die sich nach dem Abpfiff erstmals zur umstrittenen Entscheidung der Klubführung äußerten. Sie gaben sich selbstkritisch und stärkten den scheidenden Trainer.

"Das Tischtuch ist nicht zerschnitten", erklärte Müller bei Sky und ergänzte später in der Mixed Zone: "Wir Spieler stehen auf dem Platz. Wir nehmen uns nicht aus der Verantwortung." Kapitän Manuel Neuer wurde sogar noch deutlicher: "Jeder Spieler sollte ein schlechtes Gewissen haben und sich an die eigene Nase fassen." Es sei nicht immer "der Lehrer schuld, wenn Zeugnisnoten schlecht sind. Wir haben die Verantwortung, wenn ein guter Trainer entlassen wird."

Die Aussagen passen zur öffentlichen Durchschnitts-Meinung, wonach eher nicht Tuchel am Scheitern des Projekts Tuchel Schuld ist. Sondern vielleicht eher die nach elf Meistertiteln in Folge etwas satte Mannschaft. Laut Sportdirektor Christoph Freund seien die Spieler "überrascht" gewesen, als ihnen am Mittwoch die Entscheidung der Klubführung mitgeteilt wurde. Am Samstag vermittelten Spieler und Trainer Einheit. "Jetzt gegenseitig irgendwelche Sticheleien zu verteilen, darauf springen wir nicht an", verkündete Müller.

FC Bayern München, FCB, Thomas Müller
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Tuchel und Dreesen: Unterschiedliche Definitionen des Wortes "einvernehmlich"

Zwischen Tuchel und der Klubführung waren unterdessen leichte Dissonanzen herauszuhören, speziell bei der Definition des Wortes "einvernehmlich". So wurde die Sommer-Trennung nach einem Vieraugen-Gespräch zwischen Tuchel und dem Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen in der am Mittwoch verschickten Pressemitteilung genannt.

Schon bei Tuchels Pressekonferenz am Freitag war durchgeklungen, dass die Entscheidung womöglich doch nicht ganz so einvernehmlich ist. Am Samstag verstärkte sich der Eindruck. Ob Tuchel gerne über diesen Sommer hinaus Trainer beim FC Bayern geblieben wäre, wurde er im Sky-Interview nach Abpfiff gefragt. "Das ist so viel Konjunktiv, ich bin nicht mehr mitgekommen", wich er zunächst aus. Der Vertrag wäre noch bis 2025 gelaufen? "Dann haben Sie es ja selbst beantwortet." Die klare Botschaft, dass er seinen Posten lieber behalten hätte.

Laut Dreesen hätte man dagegen "miteinander entschieden, dass es für die Mannschaft, den Klub und auch für ihn besser ist, wenn wir im Sommer auseinander gehen. Wenn man neu anfangen will, dann ist es richtig, in Gänze einen Neustart zu machen. Also auch mit einem neuen Trainer." Diese Aussage steht einerseits etwas im Widerspruch zu Tuchels Ausführungen, andererseits impliziert sie auch die Notwendigkeit eines großen Kader-Umbruchs.

Gleichzeitig verwies Dreesen in der Mixed Zone aber mehrmals auf die "hervorragende Mannschaft" und die "sehr, sehr guten Transfers" des vergangenen Jahres. "Ich kann nicht sehen, dass wir im Transfer-Sommer nur Schlechtes gemacht haben, ganz im Gegenteil", ergänzte Dreesen. "Wir haben eine hervorragende Mannschaft. Ich glaube nicht, dass es angemessen ist, darüber zu reden, dass wir nicht genügend Qualität haben."

Präsident Herbert Hainer wehrte sich außerdem gegen die Annahme, dass diese Ansammlung von Topstars untrainierbar sei: "Ach, das würde ich so nicht sagen!" Die Klubführung versuchte sich aus der Verantwortung zu nehmen, es war ein Ringen um die Deutungshoheit. Tuchel hatte sich in den vergangenen Monaten wiederholt ratlos über die Leistungen seiner Mannschaft geäußert und den seiner Meinung nach generell zu dünnen Kader beklagt, der Wunsch nach einem defensivstarken Sechser wurde ihm nicht erfüllt.

FC Bayern München, FCB, Jan-Christian Dreesen
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Tuchels Startelf gegen Leipzig: Die ganz großen Überraschungen blieben aus

Bevor am Samstag viel geredet und gedeutet wurde, wurde übrigens auch Fußball gespielt - und auch dabei gab es Erkenntnisse zu gewinnen. "Meine Entscheidungen sind jetzt von größerer Freiheit geprägt", hatte Tuchel vorab vielsagend betont. "Weil ich weiß, dass ich nicht mehr abwägen muss, welche Langzeitwirkung eine bestimmte Entscheidung hat." Seine Startelf war dementsprechend mit großer Spannung erwartet worden, die ganz großen Überraschungen blieben dann jedoch aus.

Etwas unerwartet begann Eric Dier statt Min-Jae Kim in der Innenverteidigung, der 30-jährige Engländer galt in der Winterpause als Wunschspieler Tuchels. Die Klubführung zweifle Gerüchte zufolge aber bereits an Dier, dessen zum Saisonende auslaufender Vertrag sich bei einer geringen Anzahl an Startelf-Einsätzen automatisch verlängert.

Joshua Kimmich gab den Rechtsverteidiger. Das habe laut Tuchel aber nichts mit seiner neugewonnenen Entscheidungs-Freiheit zu tun gehabt, sondern mit der nachweislichen Verletzungsmisere. Kimmich zeigte eine unauffällige Leistung auf der ungeliebten Position, dafür überzeugte sein Mittelfeld-Ersatz Aleksandar Pavlovic einmal mehr.

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FC Bayern besiegt RB Leipzig: Kleine Leistungssteigerung, mehr Spielglück

Tuchel habe die Mannschaft "super eingestellt", lobte Neuer. Die Münchner spielten eine ordentliche erste Halbzeit, wankten nach Kanes Führung in der zweiten Halbzeit, kassierten den nicht unverdienten Ausgleich und gewannen dank Kanes Treffer in der Nachspielzeit mit 2:1. Es war eine kleine Leistungssteigerung im Vergleich zu den Niederlagen gegen Lazio Rom und den VfL Bochum, anders als zuletzt hatten die Münchner diesmal das Spielglück auf ihrer Seite.

Tuchels Lieblingsrubrik gewann der FC Bayern auch, der xG-Wert sprach mit 1,41 zu 0,71 zu erwartenden Tore für die Münchner. Noch wichtiger für Stimmung und Tabelle: Der Sieg nach tatsächlichen Toren. Statt sieben Punkte bei einer Niederlage beträgt der Vorsprung auf den ersten Nicht-Champions-League-Qualifikationsplatz nun 13 Zähler - der Rückstand auf Tabellenführer Bayer Leverkusen aber weiterhin acht Punkte. Hoffnungen liegen auf der Champions League, das Achtelfinal-Rückspiel gegen Lazio Rom (Hinspiel 0:1) steigt am 5. März.

FC Bayern München: Die nächsten Spiele des FCB

DatumWettbewerbGegner
01. März, 20.30 UhrBundesligaSC Freiburg (A)
05. März, 21 UhrChampions LeagueLazio Rom (H)
09. März, 15.30 UhrBundesligaMainz 05 (H)
16. März, 15.30 UhrBundesligaSV Darmstadt 98 (A)
30. März, noch offenBundesligaBorussia Dortmund (H)